# taz.de -- Modeschauen in Paris: Kleider für die arbeitende Frau
       
       > Was man aus den Prêt-à-porter-Schauen in Paris lernen kann? Jede Frau
       > braucht einen Hosenanzug, die Siebzigerjahre-Silhouette ist wieder in –
       > und Individualität wird überbewertet.
       
 (IMG) Bild: Das Motto "sachliche Eleganz" trifft auch auf die Kollektion von Stella McCartney zu.
       
       Die Mode für den nächsten Winter hat eine neue Heldin: Es ist die
       arbeitende Frau. Sie wird Anzug tragen, also das Gleiche wie die Männer
       auch.
       
       Der Hosenanzug war denn auch der rote Faden der Prêt-à-porter-Schauen in
       Paris, die eben zu Ende gegangen sind. Was uns erwartet? Tweedhosen mit
       Jacketts, gemacht aus standfester Wolle. Jede Menge wehrhaftes Material war
       auf den Laufstegen zu sehen, in sachlich-elegante Silhouetten gebracht.
       Oftmals war es ein rasanter Sprung zurück in die Siebzigerjahre - aber die
       Bezüge sind so subtil gesetzt, dass es nicht vergangen wirkte, sondern
       modern. Überhaupt, das Moderne: Mit dem ist die Mode derzeit wieder
       befasst. Nur meint sie damit nicht wie bisher die eine neue Farbe oder die
       aktuelle Habenwollen-Tasche, sondern eher eine Haltung, oder besser: einen
       Typus. Sie hat ihn in der modernen Frau gefunden.
       
       Wie richtig sie damit liegt, lässt sich schon an der Begeisterung ermessen,
       mit der man jetzt den Kollektionen applaudiert, in denen dieser Typus zu
       sehen ist. Allen voran beim französischen Modehaus Céline, wo die Britin
       Phoebe Philo ihre zweite Kollektion gezeigt und mit ihr das lange
       vergessene Modehaus in die erste Liga hinaufgespielt hat. Philo brachte ihr
       Defilee auf drei Begriffe: "Stark. Energisch. Reduziert." Zu sehen waren
       Variationen auf den Anzug: eine kragenlose, überlange Jacke etwa, seitlich
       geknöpft, mit einer Dreiviertelhose, die unten weit das Bein umspielte. Und
       es gab Kleider mit derselben formellen Sachlichkeit, die dem Anzug eigen
       ist - getragen übrigens zu Loafers mit festem Absatz, die im Vergleich zu
       den Killerheels der letzten Saisons als vernünftiges Schuhwerk durchgehen.
       Wer mit solchen Schuhen auf dem gepflasterten Weg bleibt, kann zur
       allergrößten Not auch auf Wanderschaft gehen - was wohl Céline Vipiana
       gefallen hätte.
       
       Die hat Céline 1945 gegründet. 1979 sagt Vipiana, sie habe beim Entwerfen
       eine Frau wie sich selbst vor Augen: "Sie ist dynamisch, sie arbeitet, sie
       reist viel und sie verlässt sich nicht auf extravagante, allzu exzentrische
       Kleidung, um die Leute davon zu überzeugen, dass sie sei eine großartige
       Persönlichkeit ist." Könnte der Satz der Saison sein - und gleichzeitig
       erklären, warum die Siebziger derzeit so viele Modemacher umtreiben.
       
       In den Siebzigern nämlich hat es letztmals einen Typus in der Mode gegeben,
       der zudem ein Versprechen bereithielt. Emanzipation war ja nicht die Aktion
       von einer, sondern von vielen - und die konnte man sehen. Die androgynen
       Anzüge waren die Uniform derer, denen die Berufstätigkeit nicht nur
       Selbstverwirklichung, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe versprach.
       
       Die Silhouette der Siebzigerjahre war dabei keineswegs zufällig, genauso
       wie in den Zwanzigerjahren, als mit der Neuen Frau zum ersten Mal ein
       Kollektivtypus in die Welt kam. Bubikopf, knielanger Rock, tiefgezogene
       Taille, das war deren Erscheinung. Sie wurde symbolisch gelesen: Man
       begriff die neue Linie als Befreiung - vom Korsett, aber auch von einer
       überkommenden Idee dekorativer Weiblichkeit. Was hätte moderner sein
       können, als Teil dieses Umbruchs zu sein, folglich diesen Typus zu
       verkörpern?
       
       Denn modern war ja nicht die Kleidung - modern war die Haltung, die in ihr
       zum Ausdruck kam. Dieser Typus hielt ein Versprechen bereit. So ist das
       einmal gewesen in der Mode. Und viel spricht dafür, dass es bald wieder so
       ist.
       
       Auf den Laufstegen für den nächsten Winter waren also
       Siebzigerjahre-Silhouetten zu sehen. Die Models bei Yves Saint Laurent
       trugen alte YSL-Entwürfe als silberne Anhänger an langen Ketten um den
       Hals. Das Schweizer Modehaus Akris, sonst für architektonische Anleihen
       bekannt, zeigte Anzüge aus Doubleface-Kaschmir und Tweed - die Hosen hoch
       in der Taille, die Jacketts mit der langen, herrenhaften, leicht
       taillierten Lässigkeit der Siebzigerjahre. Stella McCartney bringt
       Zweiteiler jenseits der konventionellen Anzugform: ein Oberteil, fest wie
       eine Jacke, getragen zu Zigarettenhosen. Wobei es natürlich alle anderen
       Hosenformen auch noch gibt - Marlene, Jodhpur, Zigarettenhosen mit
       Aufschlag. Keine Form ist hier aus der Mode, alles geht - und eben doch
       nicht. Das ist das Aufregendste an dieser Saison: dass es plötzlich wieder
       einen gemeinsamen Nenner dessen gibt, was als zeitgemäß zu verstehen ist.
       Man muss diese neue, alte Liaison von Mode und Modernität auch als
       lebensrettende Maßnahme der Modeindustrie begreifen: Bloß neue Muster oder
       eine neue Farbe zu zeigen, das bringt heute keine mehr zum Kauf. Und
       globalisiert gesprochen gilt ohnehin: Die sachliche Eleganz ist die Notwehr
       des alten Europa.
       
       Aber diese sachliche Eleganz ist eben auch viel interessanter als das, was
       die Mode in den letzten zehn Jahren umgetrieben hat: die Besessenheit mit
       dem Individuellen. Scott Schumann, mit seinem Blog [1][The Sartorialist]
       eine der bildprägendsten Gestalten der Modewelt, hält diese Eleganz schon
       seit längerem fest. Schumann fotografiert in New York, wo er zu Hause ist,
       ebenso wie in Paris, Mailand oder Rio, wo er die Modewochen besucht.
       Sicher, er fängt auch ein paar Poseure ein. Meist aber sind es
       Großstadtbewohner, eilig in ihrem Alltag, stets unterwegs, denen die Straße
       immer auch ein bisschen Behausung ist.
       
       Es mochte anfangs so aussehen, als würde die Welt hier in eine gigantische
       Modestrecke überführt: als fände jetzt alles nur mehr im Gestus des "als
       ob" statt. Doch es ist anders gekommen. Tatsächlich wird die globale
       Metropolenmode hier gleichzeitig abgebildet und überhaupt erst hergestellt.
       Wenn es einen Ort gibt, wo sich ein Typus formiert und die Bereitschaft zu
       ihm, dann hier. Schumann kann sich, ähnlich wie die Hunderte der
       Kommentatoren, über die Kombination zweier Blautöne, das Hochkrempeln eines
       Jackettärmels oder das Apartsein eines Cardigans begeistern. So dicht am
       Stoff, so konzentriert auf die Kleiderfunktion der Mode war man lange
       nicht. Was Schumann so gelingt, ist eine Momentaufnahme. Was er so
       einfängt, ist Modernität - genau so, wie Baudelaire im Aufsatz "Der Maler
       des modernen Lebens" am Beispiel des Zeichners Constantin Guys beschreibt:
       als Erfahrung von Gegenwärtigkeit. Guys, ein Flaneur in der Menge, der
       schaut und das Gesehene nachträglich im schnell hingemalten Aquarell
       verdichtet, ist dieser "Maler des modernen Lebens". Zeichnend rapportiert
       er nicht zuletzt die Veränderungen in der Mode. Die liefert nicht ihre
       eigenen Fußnoten zur Erklärung mit. Sie sagt nur: Jetzt, jetzt, jetzt.
       
       Nach Allerlei aus aller Welt sah die Globalisierung der Mode an ihrem
       Anfang aus. Jean Paul Gaultier hat das auch in dieser Saison gezeigt:
       Mexiko trifft auf Haremshosen trifft auf Massai trifft auf Turban. Auch
       John Galliano brachte einen globalen Ethnomix. Die Kollektionen erinnern an
       die Zeit, als ein Modeschöpfer eine Reise tat und mit erquicklichen
       Eindrücken zurückkehrte, aus denen bunte Kleider wurden. Heute sagt die
       Kundin eher: Erspar mir deine Fantasien. Schließlich reist sie längst
       selbst. Und wer wollte auf den Straßen einer Großstadt schon aussehen wie
       ein Eskimo? Eben - keine mehr. Wie sieht sie jetzt aus, die Modernität? Man
       muss sie sich ein wenig so vorstellen wie Faye Dunaway in der Medienkomödie
       "Network" von 1976: Deren Jerseyröcke mit Kellerfalte, die Seidenblusen
       waren ja nichts anders als das Vehikel ihrer hochtourigen Agilität. In
       ihnen nimmt Dunaway mit verschlungenen Beinen für die informelle
       Unterredung auf Schreibtischen Platz oder entflammt mit ausladender Gestik
       mürbe Kollegen für eine Idee. Sie ist weit ausschreitend und unverzagt -
       nicht das schlechteste Modell.
       
       Der neue Typus ist dem ähnlich, den Céline Vipiana damals entworfen hat:
       Die Kleider sollen nicht mehr von der Persönlichkeit überzeugen. Das
       verspannte Bemühen, noch mit jeder Gürtelschnalle oder kunstvoll
       zerschlissenen Jeans eine Facette der Persönlichkeit auszudrücken, wird
       damit aus der Mode verschwinden. Lange genug war sie ängstlich mit dem
       Ausdruck des Individuellen befasst. Gut hat es ihr nicht getan: Denn Mode
       ist per definitionem das, was viele tun - Überschneidungen in der Garderobe
       sind da unausweichlich.
       
       Das ist also die große Neuerung in der Mode: Das ängstliche Bemühen, anders
       als die anderen zu sein, wird abgelöst durch den Wunsch, zu sein wie die
       anderen. Nicht, weil man die Masse schätzt oder das Verschwinden in ihr.
       Sondern weil die anderen modern sind - wie man selbst.
       
       15 Mar 2010
       
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