# taz.de -- Kinder von indischen Leihmüttern: Gefangen zwischen den Grenzen
       
       > Zwei kleine Kinder sitzen seit Jahren staatenlos in Indien fest. Sowohl
       > Delhi als auch Berlin verweigert ihnen die Staatsbürgerschaft, weil sie
       > von einer Leihmutter geboren wurden.
       
 (IMG) Bild: Bei Familie Schmidt ringen Eltern und zwei Regierungen um eine Lösung.
       
       Man kann sich darüber streiten, ob die Schmidts* ehrlich oder einfach nur
       naiv waren. Als vor zwei Jahren die Zwillinge Nils und Lukas in Indien
       geboren wurden, riefen sie die Botschaft an, um Ausweise zu organisieren.
       Die Antwort war für die Eltern ein Schock: Die Botschaft wollte ihnen keine
       Papiere ausstellen. Denn die Jungen wurden von einer indischen Leihmutter
       zur Welt gebracht und Leihmutterschaften sind in Deutschland verboten. Die
       Regierung erkennt die so geborenen Zwillinge nicht als Staatsbürger an.
       Gleichzeitig geht die indische Regierung davon aus, dass die Kinder wie
       ihre "Bestelleltern" Deutsche sind.
       
       Nils und Lukas haben deshalb keine Papiere und können nicht ausreisen. Seit
       zwei Jahren lebt Jonas Schmidt mit den Kindern in Indien und versucht
       irgendwie ihre Ausreise zu organisieren. Inzwischen wird die Zeit knapp,
       denn Ende dieser Woche läuft sein Visum ab. Das indische Innenministerium
       hat angekündigt, es nicht mehr zu verlängern. Am Dienstag könnte aber die
       indische Regierung vor dem Obersten Gericht den Weg für eine Adoption frei
       machen, indem es entsprechende Gesetze für den "Sonderfall" lockert. Wenn
       nicht, muss Jonas Schmidt ohne die Kinder ausreisen. Was dann mit den
       Jungen passieren würde, weiß niemand genau.
       
       Jonas Frau Sybille kann keine Kinder bekommen, trotzdem wollten die
       Schmidts unbedingt Nachwuchs. Leihmutterschaften sind in Indien erlaubt und
       kostengünstig. Die Behandlung kostet um die 20.000 Euro, in den USA wäre
       der Preis sechsmal so hoch. Die Schmidts wandten sich also an die Klinik
       von Nayna Patel im westindischen Bundesstaat Gujarat. Eine anonyme Inderin
       spendete die Eizelle, Jonas Schmidt den Samen und eine weitere indische
       Frau ließ sich künstlich befruchten.
       
       Für die Schmidts erfüllte sich so der Traum: Anfang 2008 kamen Nils und
       Lukas auf die Welt. Für die Frauenärztin Patel ein Routinefall, denn in
       ihrer Klinik tragen regelmäßig indische Frauen die Schwangerschaften
       ausländischer Wunschmütter aus. Nach einer Richtlinie der indischen
       Regierung zu Leihmutterschaften wurden auf der Geburtsurkunde die Namen der
       Schmidts eingetragen.
       
       Die deutsche Botschaft verweigerte den Zwillingen aber Ausweise und wurde
       darin auch vom Berliner Verwaltungsgericht bestätigt. Da die
       Leihmutterschaft nach deutschem Verständnis sittenwidrig ist, sei die
       Richtlinie der indischen Regierung "mit wesentlichen Grundsätzen des
       deutschen Rechts unvereinbar" und dürfe nicht angewandt werden. Stattdessen
       argumentierte das Verwaltungsgericht mit einem indischen Gesetz aus dem
       Jahr 1872. Das gibt ähnlich wie das deutsche Recht vor, dass die Mutter
       eines Kindes "die Frau ist, die es geboren hat". Aus Sicht des
       Verwaltungsgerichts Berlin sind die indische Leihmutter und ihr Mann die
       Eltern von Nils und Lukas. Und nicht Jonas und Sybille.
       
       Der deutsche Botschafter in Indien, Thomas Matussek, schlussfolgert: "Wenn
       nun zwei kleine Inder in die Welt gesetzt sind, kann ich sie nicht qua
       deutscher Staat automatisch zu Deutschen machen." Eine Sprecherin des
       Auswärtigen Amts bestätigte diese Auffassung.
       
       Doch weder die indische Leihmutter noch ihr Ehemann wollen die Kinder
       behalten. Im Vertrag mit der Klinik steht, dass die Schmidts die Eltern der
       Kinder sind. "Die einzige genetische Abstammung, die bei den Kindern sicher
       ist, ist die ihres deutschen Vaters", sagt Klinikleiterin Patel. Für sie
       wie für die indische Regierung ist klar: Die Kinder sind Deutsche.
       "Amerikaner, Engländer, Iren - mit allen hatten wir keine Probleme", sagt
       Patel, "aber nach der tragischen Geschichte mit den Schmidts lehne ich alle
       Anfragen aus Deutschland ab."
       
       Auch für den Experten für Fortpflanzungsmedizin am Freiburger Max-Planck
       Institut für internationales Strafrecht, Hans-Georg Koch, ist die deutsche
       Haltung nicht ganz nachvollziehbar: "Was die Botschaft da gemacht hat, ist
       formell richtig, aber man muss sich fragen, was das jetzt noch soll, wo die
       Kinder schon geboren sind. Wird man da dem Kindesschicksal gerecht?"
       
       Weil keiner der beiden Staaten die Verantwortung für Nils und Lukas
       übernehmen will, sind sie seit zwei Jahren ohne Papiere, leben mit Jonas
       Schmidt in wechselnden Hotelzimmern und lernen Deutsch. Mit ihrer
       Leihmutter haben sie schon längst nichts mehr zu tun. Da Jonas Schmidt in
       Indien kein Geld verdient und von Sybilles Gehalt leben muss, ist es eine
       teure Angelegenheit. Ihr Anwalt in Deutschland, Thomas Oberhäuser, arbeitet
       kostenlos für sie und nennt das Vorgehen der deutschen Behörden erbärmlich:
       "Wie es den Kindern oder den Eltern geht, ist dem Staat vollkommen egal. Es
       geht nur darum, ein Zeichen zu setzen." Würde die deutsche Regierung die
       Staatsbürgerschaft der Zwillinge zulassen, wäre ein legaler Weg geschaffen,
       um das Verbot in Deutschland zu umgehen. Offenbar will sie das verhindern.
       
       Auch in Indien geht es um Grundsätze. "Es gibt keine Präzedenzen für die
       Frage, ob die Kinder einer indischen Leihmutter und eines ausländischen
       Mannes Anspruch auf indische Staatsbürgerschaft haben", verkündeten die
       Richter K. S. Radhakrishnan und Anant Dave im Obergericht von Gujarat. Sie
       urteilten, dass Nils und Lukas einen Anspruch auf die indische
       Staatsbürgerschaft haben. Die Pässe würden es den Schmidts ermöglichen, die
       Kinder zu adoptieren. Die indische Regierung will den Zwillingen die Pässe
       nicht ausstellen und ficht das Urteil vor dem Obersten Gericht von Indien
       an. Dennoch kündigte Justizminister Veerappa Moily an, er wolle den Fall
       der Schmidts so human wie möglich behandeln.
       
       Die indische Regierung nimmt diese zweideutige Haltung ein, weil auch sie
       einen Präzedenzfall vermeiden möchte. Schließlich sind Leihmutterschaften
       in Indien ein boomendes Millionengeschäft. Allein in der Klinik, wo Nils
       und Lukas geboren wurden, gebaren Leihmütter in den letzten zwei Jahren 160
       Kinder, 50 sind derzeit schwanger. Sollten Nils und Lukas indische Pässe
       bekommen, wäre die indische Regierung im Zweifelsfall für tausende Kinder
       verantwortlich, die von Leihmüttern geboren werden.
       
       Beispielsweise für das Mädchen Manji, das im Sommer 2008 zur Welt kam. Auch
       hier wurde der Kinderwunsch eines japanischen Paares durch eine indische
       Leihmutter erfüllt. Allerdings trennten sie sich während der
       Schwangerschaft voneinander, die Mutter wollte nichts mehr mit dem Baby zu
       tun haben, und nach indischem Recht kann einem alleinstehenden Mann nicht
       das Sorgerecht übertragen werden. Letztendlich bekam seine Mutter, Manjis
       Großmutter, das Sorgerecht und das Baby durfte ausreisen.
       
       Das Oberste Gericht Indiens wird den Konflikt um die Schmidt-Zwillinge laut
       indischen Presseberichten wahrscheinlich als "Sonderfall" entscheiden: Beim
       heutigen Termin soll die indische Regierung versichern, mit einer lockeren
       Auslegung der Gesetze die Adoption der Zwillinge zu ermöglichen. Damit
       würde kein Präzedenzfall geschaffen, die indische Regierung wäre zufrieden.
       
       "Nils und Lukas sollen indische Reisepapiere bekommen und dann nach
       Deutschland reisen können", sagte die indische Anwältin der Schmidts,
       Kamini Jaiswal. "Die Eltern würden versichern, die indischen Dokumente
       wieder abzugeben, wenn die Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft
       erhalten." Botschafter Thomas Matussek hat angekündigt, wohlwollend zu
       handeln, wenn die Zwillinge indische Papiere bekommen.
       
       Wären Jonas und Sybille Schmidt weniger ehrlich - oder vielleicht weniger
       naiv - gewesen, hätten sie es gemacht wie die Familie, die hier Müller
       heißen soll. Ihre Tochter wurde von einer Leihmutter in der Ukraine
       geboren. Der deutschen Botschaft sagten die Müllers nicht, dass eine
       Leihmutter die Kinder zur Welt gebracht hat. Und niemand fragte danach.
       
       * Namen geändert
       
       16 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lalon Sander
       
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