# taz.de -- Erfolgreiche Migranten: Die Unbequeme
       
       > Sie kam als Vierjährige aus Polen nach Deutschland. Für ihre Aussprache
       > würde sie nie eine Eins bekommen, sagte die Lehrerin. Agnes Malczak fing
       > an zu kämpfen. Heute sitzt sie im Bundestag.
       
 (IMG) Bild: Fällt auf: Agnieszka Malczak.
       
       Sie lächelt entspannt - als wäre nicht gerade ein anstrengender Tag
       vorüber. Mit aufmerksamem Blick sitzt sie aufrecht, die Beine
       übereinandergeschlagen. Bordeauxrote Ankle Boots, olivgrüne Strumpfhose,
       grau karierter Rock, grüner Rollkragenpulli, grüner Schal. Agnes Malczak
       ist Politprofi. Zwei Tage zuvor ist sie 25 geworden, und an diesem Mittwoch
       saß sie ab 14 Uhr als Grünen-Mitglied im Untersuchungsausschuss zur
       Kundus-Affäre. Überraschend hatte sich der für die Bombardierung des
       Tanklasters verantwortliche Oberst Klein zu einer Aussage vor dem Ausschuss
       bereit erklärt. "Mein Respekt für Oberst Klein, dass er trotz laufenden
       Verfahrens vor der Oberstaatsanwaltschaft für uns Rede und Antwort
       gestanden hat", sagt die überzeugte Pazifistin, auch wenn alles, wofür
       Klein steht, ihren eigenen Überzeugungen widerstrebt. Sie ist unbequem,
       auch gegenüber sich selbst.
       
       Jetzt nach 18 Uhr ist es auf den Gängen des Bundestagsbürohauses Unter den
       Linden 50 ruhiger geworden. Offene Bürotüren geben den Blick frei auf
       schwarze Bildschirme. Malczak hat ihr Büro erst vor knapp zwei Monaten
       bezogen. Sie steht hinter ihrem mit Papieren und Ordnern überdeckten
       Schreibtisch. Im Oktober letzten Jahres zog sie als jüngste Frau in den
       Bundestag ein - doch die Zeitungen interessierten sich vor allem für ihren
       Körperschmuck.
       
       "Gestatten, die schrillste Politikerin Deutschlands", schrieb der Kölner
       Express. Über das "Piercing-Mädchen" und den "neuen Paradiesvogel" im
       Bundestag fabulierte die Bild: "Bei offiziellen Terminen sticht sie allein
       wegen der Nasen- und Lippenpiercings heraus."
       
       Malczak lacht über solche Schlagzeilen. "Ist schon nervig, wenn sogar
       hochwertige Zeitungen das Piercing aus der Überschrift nicht rauskriegen."
       Im nächsten Moment konzentriert sich wieder ihr Blick, und sie wählt ihre
       Worte sorgsam: "Natürlich nervt es mich auf das Äußerliche, reduziert zu
       werden, andererseits weiß ich auch, dass viele Zeitungen genau deshalb über
       mich geschrieben haben. Man will ja Aufmerksamkeit. Ich könnte es auch
       bequemer haben und das Piercing einfach rausnehmen. Aber ich würde mich
       verbiegen, wenn ich das nur auf Druck von anderen mache."
       
       Agnes Malczak wurde 1985 in Legnica (Liegnitz) in Polen geboren und kam mit
       vier Jahren nach Deutschland. Ihre Eltern waren in der Solidarnosc aktiv.
       Diese Streikbewegung sorgte Anfang der 80er für wachsenden Protest gegen
       das polnische Regime. Nachdem dieser 1981 niedergeschlagen und das
       Kriegsrecht ausgerufen wurde, glitt die Gesellschaft, vor allem ihre
       kritischen Teile, immer mehr in eine politische und wirtschaftliche
       Depression ab. Viele wanderten auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs
       nach Deutschland aus - wie auch die Eltern von Malczak: "Sie erhofften sich
       mehr Demokratie hier. Außerdem lebten meine Großeltern schon hier." Ihre
       Eltern vermittelten ihr früh, sich gegen Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen
       - auch wenn es nicht leicht ist: "Sie sagten mir, du musst dagegen
       aufstehen, auch als Kind gegen deine Lehrerin. Das war zwar oft schwierig,
       hat mir aber auch viel Selbstbewusstsein gegeben." Es half ihr auch mit den
       kleinen Diskriminierungen im Alltag fertig zu werden.
       
       Einmal sagte die Grundschullehrerin zu ihr und ihrer Mutter an einem
       Elternsprechtag, dass sie nie eine Eins in mündlicher Sprache haben werde.
       "Das war nicht böse gemeint, wahrscheinlich habe ich einfach noch nicht
       perfekt Deutsch gesprochen. Aber es war unheimlich verletzend, dass sie das
       so kategorisch ausgeschlossen hat." Das weckte ihren Ehrgeiz.
       
       Im Gymnasium hatte sie dann im Deutschleistungskurs als einzige 15 Punkte,
       also die Höchstleistung. "Ich musste sofort an diesen Elternsprechtag
       denken. Ich will weder benachteiligt werden, weil ich nicht hier geboren
       bin, noch weil ich eine Frau bin."
       
       Diese erst persönliche Auseinandersetzung wurde irgendwann politisch. Mit
       19 trat sie der Grünen Jugend bei, engagierte sich für Umweltschutz und die
       Friedensbewegung. 2007 wurde sie über das Chatprogramm ICQ gefragt, ob sie
       nicht als Vorstand kandidieren will, es gebe nämlich außer ihr niemanden.
       Sie wurde gewählt. Bereits zwei Jahre später landete sie als grüne
       Direktkandidatin für Ravensburg auf Platz 11 der baden-württembergischen
       Liste für die Bundestagswahl.
       
       Seit Anfang ihres Mandats kämpfte sie dafür, in ihren politischen
       Arbeitsschwerpunkten arbeiten zu können - nicht in den erwartbaren jugend-
       oder migrationspolitischen, sondern in einem der begehrtesten und
       umkämpften Bereiche innerhalb der Fraktionen: der Sicherheits- und
       Abrüstungspolitik. Malczak sagt: "Ich war ziemlich hart, ich wollte für
       diese Felder zuständig sein, was gar nicht so einfach war. Es ging bis zum
       Fraktionsvorstand, hat sich dann aber so geregelt, wie ich mir das
       vorgestellt hatte." Jetzt ist sie Mitglied im Verteidigungsausschuss und
       verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Mit ihrer ersten
       Rede im Parlament ist ihr Welpenschutz abgelaufen, darin forderte sie, die
       USA sollten ihre "Atomwaffen abziehen" aus Deutschland. Als oft einzige
       Frau in Männerrunden wie dem Informatikkurs oder Boxverein hat sie gelernt
       sich durchzusetzen.
       
       Das iPhone mit rotem Gummischutz summt: "Hey, du, ich kann grad nicht, bin
       noch in einem Interview, kann ich dich später zurückrufen?"
       
       Während ihres Politikstudiums in Tübingen wohnte sie in der 9er-WG eines
       alternativen und selbst verwalteten Hausprojekts. Seit ihrem Umzug nach
       Berlin lebt sie mit ihrem Freund in einer Wohnung in Kreuzberg. Wenn sie
       vom Alltag als Abgeordnete abschalten will, geht sie in den begehrten
       Italiener "Il Casolare", dessen Wände mit Unterschriften und Sprüchen von
       Punkbands verziert sind und der auch mal Solidaritätskonzerte für den von
       der Schließung bedrohten linken Club SO36 organisiert.
       
       Armeeeinsatz abgelehnt 
       
       Malczak gehört der größten Zuwanderergruppe Deutschlands an: 2007 waren es
       knapp 141.000 Menschen, die aus Polen hierher auswanderten, im Jahr 2008
       nur noch knapp 120.000. Ihr Migrationshintergrund ist Malczak wohl nie so
       bewusst geworden wie in den Tagen nach ihrem Einzug in den Bundestag:
       "Vorher habe ich mich gar nicht so sehr als Mensch mit polnischen Wurzeln
       gefühlt", sagt sie. "Und auf einmal lagen Hoffnung und Verantwortung auf
       mir wegen des deutsch-polnischen Verhältnisses."
       
       Während sie von deutschen Medien vor allem wegen ihres Alters und ihres
       Erscheinungsbildes mit Fragen bestürmt wurde, stand bei polnischen
       Zeitungen ihre Herkunft im Vordergrund. Dazu zählten unter anderem Konkrety
       oder Medien für ausgewanderte Polen wie das polnischsprachige Magazin Samo
       Zycie mit der Headline "Polin im Bundestag". "Gebürtige Liegnitzerin in den
       Bundestag gewählt" titelte Schlesien Heute und fragte Malczak, ob sie sich
       für die deutsch-polnischen Beziehungen "insbesondere Niederschlesiens"
       einsetze. Malczak antwortete diplomatisch: Sie habe weder Verwandte noch
       Freunde in Legnica, sei lange nicht mehr dort gewesen, möchte aber, sobald
       es ihr Terminkalender zulasse, auch noch mal dorthin und der
       deutsch-polnischen Parlamentariergruppe beitreten. Fühlt sie sich als Polin
       oder als Deutsche? "Das ist unheimlich schwer zu beantworten. Zwar spreche
       ich polnisch, war aber erst vier Jahre alt, als ich hierherkam.
       Gleichzeitig hat mich das natürlich geprägt. Ich bin und fühle mich als
       Europäerin, und da trifft sich das Polnische und das Deutsche."
       
       Durch Malczaks Wahl zur Abgeordneten ist ihr Migrationshintergrund wieder
       mehr in den Vordergrund gerückt. Doch wichtiger, als diesen zu betonen, ist
       ihr, nicht ihre politischen Visionen zu verlieren. Unbequem zu bleiben. Im
       Verteidigungsausschuss gab es nur ein Votum, das sich gegen eine
       Verlängerung des Isaf-Mandats für die Bundeswehr in Afghanistan aussprach.
       Es war auch das einzige Ablehnungsvotum der Grünen-Mitglieder. Es war
       ihres.
       
       17 Mar 2010
       
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