# taz.de -- Grünes Männermanifest: "Nicht länger Machos sein müssen"
> "Wir wollen nicht länger Machos sein müssen, wir wollen Menschen sein!
> Man wird nicht als Mann geboren, man wird dazu gemacht... Wir sind
> Feministen!" Die taz dokumentiert das "Grüne Männermanifest".
(IMG) Bild: Wollen keine Machos sein: Die Männermanifestler Jan Philipp Albrecht und Sven-Christian Kindler umarmen sich am Abend der Bundestagswahl 2009.
Eine Frau ist Bundeskanzlerin. Frauen machen die besseren
Bildungsabschlüsse, können Bischöfin werden, mischen in Rap und Hip-Hop mit
und sind im Fußball international erfolgreicher als ihre männlichen
Kollegen. Gleiche Rechte in Deutschland anno 2010? Ist Alice im Wunderland
angekommen?
Mitnichten. Wir Männer sehen, dass unsere Gesellschaft noch immer von einem
tief sitzenden Geist der geschlechtlichen Polarität durchflutet ist, der
Frauen auf Weiblichkeit und Männer auf Männlichkeit reduziert. Damit muss
endlich Schluss sein. Wir wollen nicht länger Machos sein müssen, wir
wollen Menschen sein!
Man wird nicht als Mann geboren, man wird dazu gemacht.
Bedeutende Frauen wie Olympe de Gouges, Louise Otto-Peters, Simone de
Beauvoir und die Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert waren Pionierinnen für
Gleichberechtigung und Feminismus. Einen Makel haben einige feministische
Diskurse aber leider gerade in Deutschland bis heute: Männer spielen in ihm
nur selten eine Rolle. Dabei ist wirkliche Gleichberechtigung, sind gleiche
Rechte und gleiche Pflichten nur mit den Männern zu erreichen – nicht gegen
sie. Frauen haben durch den Feminismus ihre Möglichkeiten erweitert,
Männern steht dieser Schritt noch bevor.
Das Diktum des sozialen Geschlechtes, des Rollenzwangs und der festgelegten
Verhaltensmuster gilt nämlich ebenso für Männer. Weil diese davon aber
materiell und sozial immer profitiert haben, wurde erst in jüngerer Zeit
zum Thema, dass Geschlechterrollen auch für Männer ein Korsett sind, das
ihnen mehr schadet als nützt.
Nach dem Selbstmord von Nationaltorhüter Robert Enke ging eine Debatte über
die Gesundheit von Männern, über Schwäche und Depressionen, über
Versagensängste durch die Republik – endlich! Wir fragen uns jedoch: Sind
die Männer, die öffentlich trauerten und weinten, aber nicht auch
diejenigen, die eine Woche später in den Stadien und Fankneipen einen
Fußballer als Schwuchtel beschimpfen würden, wenn er sich als homosexuell
outet? Oder als Weichei, wenn er ein Jahr Babypause nimmt und seine Frau
für den Lebensunterhalt sorgen lässt?
Wir brauchen ein neues Bewusstsein für eine neue Männlichkeit. Wir als
männliche Feministen sagen: Männer, gebt Macht ab! – es lohnt sich.
Wir wollen Neue Werte – Neue Arbeit – Neue Perspektiven!
Die Krise ist männlich. Klimakrise, Finanz- und Wirtschaftskrise, Hunger-
und Gerechtigkeitskrise, all dies sind direkte Folgen einer vor allem
„männlichen“ Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise, die unseren Planeten
an den Rand des Ruins getrieben hat. Entfesselter Wachstum und ungehemmter
Profit müssen ein Ende haben. Wir wollen anders leben!
Wir wollen entlang von Werten leben und arbeiten, die auf Wertschöpfung,
Gemeinwohlorientierung, individueller Freiheit, Nachhaltigkeit und
Entschleunigung basieren. Dazu müssen politische Weichen gestellt werden.
Neue Zeitmodelle in den Unternehmen müssen es Männern ermöglichen, ihre
Wochen- und Lebensarbeitszeit zu reduzieren, Teilzeitphasen oder
Sabbatjahrmodelle zu verwirklichen. Entschleunigung ist auch hier
Schlüssel: Viel zu selten werden Männern im Erwerbsarbeitsleben
„nicht-klassische“ Erwerbsbiografien ermöglicht. Das Bild vom männlichen
Hauptverdiener schwebt auch hier noch in den Köpfen vieler
Personalverantwortlicher.
Es ist weder schlau noch gut, Menschen lediglich eindimensional in
wirtschaftliche Wachstumsprozesse einzubinden. Familienleben und soziales
wie gesellschaftliches Engagement sind gerade für Männer eine Möglichkeit,
an einem qualitativen Wachstum mitzuwirken. Vernetztes Denken,
ganzheitliche Bildung und Kreativität können sich nur vollends entfalten,
wenn Menschen alle Lebensbereiche gemeinsam gestalten. Das Ende der
Rollenaufteilung ist auch wirtschaftlich notwendig, denn ein Ende der
Ungleichbehandlung führt für alle Beteiligten zu einer größeren
Zufriedenheit.
Wir brauchen Neue Wege für Jungs!
Die Wiege der Gleichberechtigung ist wie so oft die Bildung und Erziehung.
Hier fallen die Würfel. Viel ist in den letzten Jahren von der
Bildungsmisere der Jungen geschrieben und gesprochen worden und vieles ist
richtig. Jungen fallen viel häufiger als „Verlierer“ aus dem
Bildungssystem: Sie brechen die Schule öfter ab, erreichen schlechtere
Leistungen und Abschlüsse, sind häufiger schulmüde als Mädchen. Deshalb
braucht es eine emanzipatorische Erziehung und eine individuelle Förderung,
die die Stärken von Jungen und Mädchen gleichermaßen wertschätzt und
fördert.
Zwischen emanzipierten Müttern und frauenverachtenden Hip-Hoppern bekommen
Jungen heute ein breites Repertoire zur Orientierung geboten. Was oft
fehlt, sind die positiven Rollenbilder einer anderen, neuen Männlichkeit.
Längst wissen wir, dass mit zunehmender Gleichberechtigung das Patriarchat
umso härter zurückschlägt: mit Gewalt, medialem Sexismus oder
Schein-Bastionen der Männlichkeit in Sport und Musik. Wir wollen role
models aus Sport, Medien, Politik und Kultur, die nicht den Macker spielen
müssen, weil sie eben selber stark genug sind, auch schwach sein zu dürfen.
Wir wollen mehr geschlechtersensible Männer in „klassischen“ Frauenberufen:
mehr Erzieher, mehr Grundschullehrer, mehr Sozialpädagogen. Und wir wollen,
dass Jungen selbstbewusst ihren Interessen nachgehen können und nicht in
tradierte Schemata gedrängt werden. Deswegen fordern wir neue Wege für
Jungs durch die Etablierung von „Boy’s Days“ und ein geschlechtersensibles
Bildungs- und Berufsberatungsangebot. Denn das Interesse am Maschinenbau
ist nicht angeboren.
Wir fordern: Neue Väter statt „Vater morgana“!
Seit der Einführung der Partnermonate im Elterngeld durch Ursula von der
Leyen bejubeln viele Medien die „neuen Väter“ und den Run auf die beiden
Monate zwischen Wickeltisch und Sandkasten. Und, in der Tat: Die beiden
Partnermonate waren ein Erfolg, ein Einstieg in die Übernahme von
Verantwortung von Vätern in Haushalt und Erziehung. Aber werden Männer
damit wirklich zu „neuen Vätern“? Oder handelt es sich nicht in
Wirklichkeit um eine „Vater morgana“, die Vätern lediglich eine verlängerte
Auszeit vom Job ermöglicht, und zwar in der Regel dann, wenn die ersten
zwölf Monate nach der Geburt glücklich überstanden sind?
Wir wollen auch hier Gleichberechtigung: Die Aufteilung der Elternzeit muss
paritätisch sein. Dies würde nicht nur Männern mehr Verantwortung
abverlangen, sondern auch die Unternehmen und Arbeitgeber zum Umdenken
zwingen. Zwei Monate ist ein Arbeitnehmer für den Arbeitgeber zu entbehren,
sechs Monate oder länger jedoch verlangen neue Zeit- und Jobmodelle, die
wir dringend brauchen – hin auf dem Weg zu echter Gleichberechtigung.
Männer leiden unter ähnlichen Vereinbarkeitsproblemen wie Frauen: Gerade
junge Männer haben mittlerweile den Anspruch, Kind(er), Karriere,
Engagement und Freizeit miteinander vereinbaren zu können, anstatt sich für
das eine oder gegen das andere entscheiden zu müssen. Sie wollen nicht
länger daran scheitern, Berufs- und Privatleben in eine gute Balance zu
bringen, sondern moderne Partnerschaftskonzepte durchgängig leben und die
Rolle des “neuen Vaters” tatsächlich einnehmen. Als moderne Väter wollen
sie ihren Kindern beim Aufwachsen helfen, selbstbestimmt die
Erziehungsarbeit teilen – statt Zuschauer zu bleiben. Auch deshalb muss
Teilzeit für Chefs sowie Männer in Kitas und Grundschulen zur
Selbstverständlichkeit werden.
Wir stehen für ein Neues Gesundheitsbewusstsein!
Männer sterben noch heute im Schnitt sechs Jahre früher als Frauen –
Schlaganfälle und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Zeichen chronischer
Überlastungen sind die häufigsten Todesursachen. Jahrhundertelang gehörte
es nicht um Selbstbild eines Mannes, sich um seine Gesundheit zu kümmern.
Dumme Sprüche wie “Ein Indianer kennt keinen Schmerz” führen dazu, dass
viele Männer körperliche Warnsignale überhören oder bagatellisieren. Doch
der Körper lügt nicht.
Männer sollen krank werden dürfen – ohne als Versager dazustehen. Umso
wichtiger ist ein großer Aufbruch für die Männergesundheit. Wir brauchen
mehr Konzentration auf die Prävention von Männerkrankheiten, in den
Krankenkassen und in der Betrieblichen Gesundheitsförderung.
Die bestehende Rollenaufteilung der Geschlechter führt immer wieder zu
schweren psychischen Belastungen. Sowohl Frauen als auch Männer leiden
unter den enormen gesellschaftlichen Anforderungen, die ihnen auf Grund
ihres Geschlechts abverlangt werden. Dies ist vor allem dort ein Problem,
wo die eigene Entwicklung den Normvorstellungen wenig entspricht. Für
Körper und Psyche des Menschen ist es daher dringend nötig, die Rollen
endlich aufzubrechen.
Wir sind Grüne Feministen und haben gute Erfahrungen gemacht, Macht und
Einfluss zu teilen. Wir sind mit Quoten und Doppelspitzen groß geworden.
Wir kennen und schätzen gleiche Rechte und gleiche Pflichten sowie die
Verantwortung, als Beispiel voranzugehen. Uns trägt die Vision einer
Gesellschaft verschiedenster Individuen, die unter gleichen Bedingungen
zusammenleben.
Wir sind keine Dinosaurier mehr. Wir wollen auch keine Alleinernährer sein.
Wir wollen weniger Leistungsdruck, bessere gesundheitliche Prävention und
mehr wertvolle Zeit. Wir wollen keine Helden der Arbeit sein, wir wollen
leben. Wir wollen Macht, Verantwortung und Pflichten teilen und das Korsett
alter Geschlechterrollen von uns reißen. Wir wollen neue Perspektiven für
Männer im 21. Jahrhundert!
13 Apr 2010
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