# taz.de -- Protestform Menschenkette: Hand in Hand gegen Unrecht
       
       > Mit einer Menschenkette wird am Samstag kommender Woche gegen Atomkraft
       > demonstriert. Den Ursprung hat diese Aktionsform in der Friedensbewegung
       > der achtziger Jahre.
       
 (IMG) Bild: Und verloren geht so auch keine(r): Menschenkette gegen AKW-Laufzeitverlängerung in München.
       
       Nein, die zwei Atomkraftwerke "anketten" wolle er in dem Sinne nicht: "Ein
       Hund, der angeleint ist, kann ja trotzdem noch bellen. Das reicht uns
       nicht", sagt Jochen Stay. Der Sprecher der Initiative "ausgestrahlt" und
       Frontmann der Anti-Atom-Bewegung organisiert die Menschenkette, die am
       Samstag kommender Woche vom Atomkraftwerk Brunsbüttel quer durch Hamburg
       bis zum AKW Krümmel führen soll.
       
       Über hundertzwanzig Kilometer will die Bewegung zwei Tage vor dem 24.
       Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ein deutliches Zeichen
       setzen gegen die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung, die Laufzeiten
       der Kraftwerke zu verlängern. Wie lange, darüber ist sich die Regierung
       selbst noch uneins. Derzeit werden verschiedene Szenarien geprüft - auch
       eines für eine Verlängerung um 28 Jahre. Bundesumweltminister Norbert
       Röttgen (CDU) hatte sich hingegen öffentlich für eine Verlängerung um bis
       zu 8 Jahre ausgesprochen.
       
       "Wir wollen weder 8 noch 28 Jahre", sagt Stay. Und dafür setzt er alle
       Hebel in Bewegung. Entscheidend für den Erfolg der ambitionierten Aktion
       sei vor allem die gesellschaftliche Stimmung. "Derzeit rennen wir überall
       offene Türen ein", sagt Stay. Doch wie viele tatsächlich kommen werden, das
       vermag er nicht vorherzusagen: "Keine Ahnung - zigtausende?!" Er rechnet
       so: Wenn alle fünf Meter ein Teilnehmer steht, dann würden 24.000 Menschen
       reichen.
       
       Einer glaubt dagegen fest an den Erfolg: Ulli Thiel. Er hat schließlich
       schon selbst gute Erfahrungen mit einer Menschenkette gemacht. Mehr noch,
       er hat sie als Protestform der Neuen Sozialen Bewegungen ins Leben gerufen.
       Am 22. Oktober 1983 bildete sich eine Menschenkette über 108 Kilometer von
       Stuttgart nach Neu-Ulm. Die Friedensbewegung demonstrierte damals gegen die
       Stationierung von Atomwaffen in der Region. Manche wollten eine Großdemo in
       Stuttgart, andere eine Blockade in Neu-Ulm. "Ich habe versucht, die beiden
       Ansätze und die beiden Orte miteinander zu verbinden", sagt Thiel, "so ist
       die Idee einer Menschenkette eher aus der Not entstanden."
       
       Noch heute würden ihn viele darauf ansprechen. "Die schönste Aktion, die es
       in der Friedensbewegung je gegeben hat", heiße es dann immer. Im Vorfeld
       habe das damals noch ganz anders geklungen. "Mit einer Menschenkette kann
       man überhaupt nichts bewegen", glaubten Skeptiker. "Das wird ein großer
       Flop, und die politischen Gegner reiben sich die Hände", warnten andere.
       
       So kam es nicht: Die 108 Kilometer wurden lückenlos geschlossen. 400.000
       Teilnehmer waren laut Thiel damals dabei.
       
       Den Anspruch der Lückenlosigkeit verfolgt Stay nicht - und mindert damit
       von vornherein das Risiko des Scheiterns.
       
       Das sieht Dieter Rucht anders: "Das Gelingen einer solchen Aktion wird
       daran gemessen, ob die Kette geschlossen wird", sagt der Bewegungsforscher
       von der Freien Universität Berlin. "Es wäre peinlich, wenn eine große Lücke
       in der Kette klaffen würde."
       
       Signal: Massenhaftigkeit 
       
       Sollte es aber am Samstag halbwegs klappen, sorge die Menschenkette nicht
       nur für schöne Bilder, sondern signalisiere auch Massenhaftigkeit. "Am
       Wochenende werden zwei Pannenreaktoren symbolisch miteinander verbunden",
       sagt Rucht. "Das zeigt: Die Atomkraft muss im Paket abgeschafft werden."
       
       Ulli Thiel sieht in der Idee der Menschenkette vor allem das Verbindende:
       "Das spielt eine ganz große Rolle. Ich bin ein Teil von soundso viel
       tausend Menschen. Dieses Gefühl kommt bei einer Menschenkette wesentlich
       besser zum Ausdruck, als wenn man auf einem großen Platz steht und Reden
       hört. Und es macht den Leuten Spaß", sagt Thiel.
       
       Die Menschenkette kann symbolisch nicht nur zwei Punkte miteinander
       verbinden. Sie wird auch oft eingesetzt, um mit ihr beispielsweise ein
       Gebäude oder einen Platz zu umringen und so Schutz zu bieten. Oder sie
       kesselt etwas ein und stellt eine Bedrohung dar, wie es ebenfalls am
       Samstag am hessischen Atomkraftwerk Biblis gemacht werden soll. Zusätzlich
       wird es eine Demonstration am nordrhein-westfälischen Zwischenlager Ahaus
       geben.
       
       Ulli Thiels Vorstoß von 1983 fand seitdem viele Nachahmer. Im Dezember 1989
       formierte sich eine Menschenkette mit hunderttausenden Menschen quer durch
       die DDR, eine von Nord nach Süd, eine von Ost nach West, was anschließend
       ein symbolisches Menschenkreuz ergab. Ihr Motto: "Erneuerung und
       Demokratisierung unserer Gesellschaft - Ein Licht für unser Land". Knapp
       vier Monate zuvor hatten die Bürger der baltischen Sowjetrepubliken
       Estland, Lettland und Litauen mit einer rund 620 Kilometer langen
       Menschenkette an den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des
       Hitler-Stalin-Paktes erinnert. Teilnehmerzahl: 1,5 Millionen Menschen.
       Zuletzt bildeten Mitte Februar in Dresden 15.000 Demonstranten eine
       Menschenkette um die Altstadt und protestierten damit gegen den Aufmarsch
       von 5.000 Rechtsradikalen.
       
       Lichterketten für Frieden 
       
       Seit 1992 in München 300.000 Menschen mit einer Lichterkette gegen den
       aufkommenden Fremdenhass protestiert haben, ist auch diese Form der
       Demonstration ein wichtiges Mittel des demokratischen Ausdrucks geworden.
       Die letzten großen Lichterketten-Aktionen gab es anlässlich des
       bevorstehenden Irakkrieges im Jahr 2003.
       
       Damit am Samstag alles klappt, hat sich Jochen Stay von Thiel, dem "Vater"
       der Menschenkette, Tipps geben lassen. Am wichtigsten sei die Zuordnung der
       Leute zu einzelnen Streckenabschnitten, hat er gelernt. "So eine Einteilung
       muss man vornehmen", sagt Thiel, "damit die Leute wissen, wer sich aus
       welcher Region wo einzufinden hat." Er hat damals mit seiner Gruppe
       zusätzlich farbige Luftballons verteilt: orangefarbene, wenn derjenige vom
       Ausgangspunkt nach links gehen sollte, blaue, wenn er nach rechts gehen
       sollte.
       
       Experte Rucht sieht hingegen nicht nur die Schwierigkeiten der
       außergewöhnlichen Organisation: Durch die Einteilung in einzelne Regionen
       entstehe auch eine Art interner Wettbewerb. "Es wäre peinlich, wenn eine
       Region weit hinter den Erwartungen bliebe", sagt er. Dies treibe die
       einzelnen Organisatoren an, um nicht zu den "Versagern" zu gehören und
       genug Menschen für die hundertzwanzig Kilometer auf die Straße zu locken.
       
       16 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Michel
       
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