# taz.de -- American Pie: Die neue Welt der Boxscores
       
       > Früher mussten sich Basketballfans mit wenigen TV-Übertragungen zufrieden
       > geben. Mittlerweile gibt es von jedem Spiel einen HD-Livestream und
       > Basketball-Blogs stillen den Statistikhunger besser als die alten
       > Experten
       
 (IMG) Bild: Memphis Grizzlies gegen San Antonio Spurs: Auch die nicht zu den Top-Spielen zählenden Begegnungen sind im HD-Livestream zu sehen
       
       Die NBA-Playoffs sind endlich da, und wir leben in einer neuen
       Basketballwelt. Ich rede nicht davon, dass Kevin Durant dieses Jahr zum
       besten Spieler nach LeBron James gereift ist und mit seinem Team, den
       Oklahoma City Thunder, erstmals in den Playoffs steht. Was sich in diesem
       Jahr wirklich und endgültig geändert hat, ist die Welt der Fans.
       
       In der alten Basketballwelt lebten wir von ein paar Fernsehübertragungen
       pro Woche, von klischeebeladenen Live-Kommentaren, einer dürren
       Spielzusammenfassung und ansonsten vor allem vom Boxscore. Der Boxscore
       enthält die Wurfstatistiken jedes Spielers, wie viele Punkte, Rebounds,
       Assists angefallen sind, und wer wie lange im Einsatz war. Jeden Morgen
       klickten wir uns durch die Boxscores der vergangenen Nacht und ahnten
       irgendwie, dass wir nur einen minimalen Ausschnitt der Wirklichkeit
       mitbekommen.
       
       Basketball ist ein Spiel, das überladen ist mit Informationen. Pro Spiel
       ist jedes Team etwa 100-mal im Ballbesitz. Um zu verstehen, was wirklich
       los ist, muss man 100 mal 30 Teams mal 82 Spiele, also etwa eine
       Viertelmillion Spielzüge analysieren - in der alten Welt, in der wir
       stundenlang auf Boxscores starrten, ein Ding der Unmöglichkeit.
       
       Wir wollen nicht nur wissen, wie viele Würfe Durant getroffen hat, wir
       wollen auch wissen, aus welcher Entfernung er trifft, gegen welche
       Verteidiger und wer ihn freigeblockt hat. Wir wollen nicht nur wissen, wie
       lange Durant auf dem Feld steht, sondern auch, mit wem er am besten
       harmoniert und gegen wen er versagt. Wir wollen alles wissen.
       
       Entsetzlich an der alten Welt war vor allem, dass die Informationen
       verfügbar waren - es gab nur niemanden, der sie uns anbot. Beim Basketball
       bleibt nichts geheim. Jeder, der die Spiele ansieht, kann diese Fragen
       klären. Darum ist der direkte Zugang zu den Spielen über
       Internet-Livestream die erste Säule der neuen Basketballwelt.
       
       Was bis vor drei Jahren nur über Server in China möglich war, bietet die
       NBA jetzt offiziell an: Der League-Pass liefert einem alle Spiele in
       HD-Qualität auf den Computer. Zum ersten Mal kann man sich nicht nur die
       Spitzenspiele ansehen, sondern auch Oklahoma City Thunder gegen Memphis
       Grizzlies. Dazu kommt Säule Nummer zwei, die Statistikzentralen im Netz -
       Seiten über Seiten voll mit sortierbaren Zahlenkolonnen, die einem genau
       das sagen, was der klassische Boxscore verschweigt.
       
       Als dritte Säule brauchen wir Menschen, die zwischen der Welt der Zahlen
       und der Welt auf dem Spielfeld übersetzen. Die eigentlichen Helden der
       neuen Welt sind darum Blogger wie [1][Henry Abbott], [2][Bethlehem Shoals],
       [3][Tom Ziller], [4][Kelly Dwyer] oder Podcaster wie J. E. Skeets und Tas
       Melas, die jeden Aspekt des Spiels auseinandernehmen und interpretieren.
       
       Dwyers tägliche Kolumne "Behind the Boxscore" kümmert sich rührend um genau
       das Defizit, das uns ansonsten so viel Kummer bereitete: Er sieht alle,
       wirklich alle Spiele und schreibt darüber. Diese Art Besessenheit ist es,
       die uns weiterhilft. Nur so können wir am Montagmorgen verstehen, warum
       Durant in seinem Playoffdebüt nur 7 von 24 Würfen traf - zu viele lange
       Sprungwürfe und die harte Verteidigung von Ron Artest waren die Ursache.
       
       Anfang März behauptete Colin Cowherd, Radiomoderator beim Sportgiganten
       ESPN, Kevin Durant sei überschätzt. Der mache viele Punkte, sei aber kein
       Siegertyp. Er sagte das live im Fernsehen; ein absurdes Statement, aber in
       der alten Welt hätte niemand davon Notiz genommen.
       
       Die entrüstete Reaktion der Blogosphäre war zwar korrekt, aber unnötig. Um
       Dwyer zu paraphrasieren: Wir sind jetzt schon klüger als die Colin Cowherds
       dieser Welt. Wir müssen uns das nicht mehr antun. Es ist das Jahr 2010 und
       eine neue Welt ist angebrochen.
       
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       22 Apr 2010
       
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