# taz.de -- Freie Medien in Russland sind rar: Selbstzensur ist schändlich
       
       > In Russland trauen sich viele Journalisten überhaupt nicht an
       > regierungskritische Themen ran. Aus Angst vor den repressiven Reaktionen
       > des Staatsapparates.
       
 (IMG) Bild: Die Meldung über die Bombenanschläge in der Moskauer Metro gaben die russischen Medien nur verzögert weiter.
       
       ST. PETERSBURG taz | Herbst 2008. Auf Einladung der Europäischen Kommission
       bin ich in Brüssel zusammen mit zehn Journalisten aus verschiedenen
       russischen Regionen. Schon bei unserem ersten Treffen in Moskau ist klar,
       dass wir nicht zueinander passen. Das Hauptgesprächsthema ist der Krieg
       zwischen Russland und Georgien, den meine Kollegen verschämt einen
       "abchasisch-georgischen Konflikt" nennen und mit Schaum vor dem Mund
       nachzuweisen versuchen, die "die Georgier sich an die USA verkauft haben,
       "Abchasien zurück erobern wollen" und "Terroristen ausbilden, um in Moskau
       Häuser in die Luft zu jagen."
       
       Da habe ich zum ersten Mal verstanden, dass es in Russland wirklich ein
       Problem mit dem freien Denken gibt, dass diese Leute, Journalisten,
       wirklich von der Richtigkeit der These überzeugt sind: "Russland ist von
       Feinden umgeben". Die hatte ich bislang nur von den Rängen der Putin-Partei
       "Vereinigtes Russland" gehört.
       
       Es ist kein Geheimnis, dass die Mehrheit der russischen Fernsehkanäle und
       Radiosender vom Kreml kontrolliert werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass
       ein Beamter vom Roten Platz aus die Ausstrahlung von Nachrichten zensiert.
       
       Viele Journalisten sind überzeugt, dass sie lieber nicht über Treffen der
       Opposition berichten sollten, dass es nicht notwendig sei, "das Schiff zum
       Schaukeln zu bringen". Dass sie lieber nicht über diejenighen schreiben
       sollten, die die Staatsmacht kritisieren, weil diese Leute "Geld aus dem
       Westen bekommen und das Land zerstören wollen". Über all das wird lieber
       geschwiegen, weil andernfalls der Arbeitsplatz in Gefahr geraten könnte.
       Das nennt man "Selbstzensur".
       
       Es gibt nur wenige, die sich diesen Bedrohungen widersetzen. Sie gelten
       stets als "Oppositionelle". Damit einher geht, dass sich die erdrückende
       Mehrheit von Veröffentlichungen in der russischen Presse nicht mit Politik
       und der Analyse politischer Prozesse beschäftigt, sondern Alltagsfragen und
       Problemen im sozialen Bereich gewidmet ist.
       
       Viele meiner "ehrlichen" Kollegen schreiben lieber über Kultur oder Sport,
       weil es in diesen Bereichen nur selten vorkommt, dass sie zwischen den
       Interessen der Kremloberen und des Chefredakteurs ihrer Zeitung zerrieben
       werden.
       
       Eines der deutlichsten Beispiele dafür, wie scharf die russischen Medien
       kontrolliert werden, waren die jüngsten Anschläge in der Moskauer U-Bahn.
       Anstatt das Programm für Eilmeldungen zu unterbrechen, setzten die
       Hauptsender ihr normales Programm fort: Mode, Kultur und gesunde Ernährung.
       Wenn jedoch jemand von der ersten Explosition aus dem Fernsehen erfahren
       hätte, wäre er vielleicht nicht Opfer des zweiten Anschlages geworden ...
       
       Natürlich gibt es in Russland freie Medien. Das sind die Zeitungen Novaja
       Gazeta, Kommersant und das Magazin The New Times. Sie alle erlauben sich
       noch objektive Kommentare an die Adresse der Falken in den Räumen des
       Kreml. Sie sind für den normalen Bürger in Russland jedoch relativ teuer.
       Das bedeutet, dass es so eine Art Vermögenszensus auf den Erhalt
       wahrheitsgetreuer Informationen gibt.
       
       Echo Moskvy – das ist so ein Überrest des einstmals überaus mächtigen
       Medienimperiums von Wladimir Gussinski. Heute wird dieser Radiosender als
       letzter Hort des freien Gedankens in Russland bezeichnet. Vor allem auf der
       Frequenz von Echo kann man die Stimmen von Politikern hören, die für andere
       Kanäle tabu sind: Garry Kasparow, Michail Kasjanow sowie freie und
       pointierte Kommentare von Journalisten. Den Chefredakteur dieses Senders,
       Aleksej Venediktow, bezeichnete Präsident Wladmir Putin einmal bei einem
       Treffen mit Journalisten als "Feind".
       
       Im Mai dieses Jahres ist es übrigens zehn Jahre her, dass Wladmir Putin
       offiziell zum Präsidenten Russlands gewählt wurde. Das wichtigste Ergebnis
       seiner Herrschaft ist die faktische Zerstörung der unabhängigen
       Massenmedien im Land. Einige Tage nach seiner Amtseinführung mit einem
       feierlichen imperatorenähnlichen Einzug in den Kreml überfielen maskierte
       Unbekannte das Büro der großen Holding "Media-Most", deren Medien (darunter
       der beliebte TV-Kanal NTV und der Radiosender Echo Moskvy) die Politik
       Putins im Nordkaukasus kritisiert und es abgelehnt hatten, ihn bei den
       Präsidentenwahlen zu unterstützen.
       
       Dann wurde bekannt, dass der Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation
       gegen den Eigentümer der Holding, Wladimir Gussinski, ein Strafverfahren
       eingeleitet hatte. Gussinski verließ Hals über Kopf das Land und entging
       einer Verhaftung, allerdings nicht ohne vorher die Aktien seiner Medien an
       "Gasprom" übertragen zu haben. Die russische Gesellschaft, mit einigen
       wenigen Ausnahmen, schwieg dazu.
       
       Das ging so weiter: eine der schärfsten Kritikerinnen der Politik Putins,
       die Journalistin Anna Polikowskaja, wurde im Eingang ihres Moskauer
       Wohnhauses erschossen. Ohne mit der Wimper zu zucken, erlaubte ein Richter
       der Miliz, Dokumente des kritischen Magazins The New Times zu
       beschlagnahmen – allein deshalb, weil das Magazin die herrschenden Zustände
       bei der Miliz kritisiert hatte.
       
       Die Wurzeln dieser ganzen Vorgänge liegen in der Zerstörung von NTV durch
       die Falken im Kreml. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte die russische
       Gesellschaft im Tausch gegen die Putinschen Versprechen einer trügerischen
       "Stabilität", es zugelassen, das Ventil zu schließen, durch das ein
       frisches Freiheitslüftchen geweht war.
       
       Erst, wenn die Gesellschaft begreift, dass sie wahrheitsgetreue
       Informationen und freies Denken genauso braucht, wie Brot und Zerstreuung,
       wird sich Russland aus dem Sumpf von Korruption und Unterschlagung
       herausarbeiten können. Und erst dann werden die Bürger des Landes sich
       selbst achten können. Doch bis dahin ist der Weg noch weit.
       
       Aus dem Russischen Barbara Oertel 
       
       ***
       
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       23 Apr 2010
       
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