# taz.de -- Akademische Prekarität: „Uni ist ein Spiegel der Gesellschaft“
> Unbefristete Stellen, unterbezahlte Lehraufträge, lange
> Qualifikationsphasen: Bilden Hochschulwissenschaftler in Deutschland
> mittlerweile das „intellektuelle Proletariat“?
(IMG) Bild: Banjamin Bechtel, Alessandra Rusconi, Moderatorin Nina Apin und Alexander Lenger.
Warum lassen sich Promovierende, Hiwis und Forscher ohne Professur in
Deutschland eigentlich so ausbeuten? Diese Frage wurde heute im Rahmen des
tazlabs an drei junge Forscher gestellt.
Gleich zu Beginn wies Alexander Lenger von der Uni Freiburg darauf hin,
dass Promovierende und Hiwis oft sehr schlecht bezahlte Lehrstellen
annehmen, weil sie glauben, dass die Lehrerfahrung ihrer Karriere zugute
kommen könnte: „Viele nehmen die schlechten Bedingungen in Kauf, weil sie
auf ein besseres Einkommen in der Zukunft hoffen. Manche lehren für unter
fünf Euro die Stunde. Das ist Lohn-Dumping.“
Auch Alessandra Rusconi vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
bedauert die Situation vieler Forscher. „Manche geben ihr Lehrgehalt allein
schon für die Bahnfahrt zur Lehrveranstaltung aus“. Wenn man sich schon ein
Beispiel am anglo-sächsischen System nimmt, solle man sich nicht nur die
Kirschen herauspicken. Schließlich sei die Situation der Forschern in den
USA und in Großbritannien besser. Dort gäbe es mehr konkrete Ziele, was die
Qualifikationsphasen verkürze.
Benjamin Bechtel von der Uni Hamburg avanciert seinerseits eine provokante
These, die im Publikum gemischte Gefühle aufkommen lässt. Man könne trotz
allem nicht von „Hochschulproletariat“ reden. Schließlich kämen die meisten
Anwärter auf eine akademische Karriere selbst aus Elternhäusern mit hohem
intellektuellem und wirtschaftlichem Kapital. Außerdem sei Forschen ein
Traumberuf, für den man Unannehmlichkeiten auch schon mal gerne in Kauf
nimmt. „Die Hochschule ist ein Spiegel der Gesellschaft“ findet Bechtel.
„In jedem anderen Beruf hat man es als Einsteiger auch schwer.“
Dennoch gäbe es an der Hochschule zu viele befristete Stellen, wendet
Alessandra Rusconi ein. „In der Wirtschaft hat man eine Bewährungsphase von
ein paar Jahren, an der Uni kann man bis zu zwölf Jahre lang befristet
angestellt werden. Das führt zu viel Unsicherheit und finanzieller
Prekarität.“ Außerdem hätten Forscher, die keine Professur bekommen, es
sehr schwer, auf dem wirtschaftlichen Arbeitsmarkt einzusteigen. „Das
System sollte viel durchlässiger sein,“ findet auch Bechtel. „Nicht nur von
der Wissenschaft zur Wirtschaft, sondern auch international“.
Es müssten mehr unbefristete Stellen entstehen, auch im akademischen
Mittelbau, findet er. Zum Abschluss plädiert Alexander Lenger noch für
weniger Selbstaufopferung an der Uni. „Obwohl ich eine Stelle habe, arbeite
ich morgens erstmal an meiner Promotion. Ich schreibe mir meine
Arbeitsstunden auf und nehme meine Urlaubstage. Für viele ist das leider
nicht selbstverständlich.“
Moderatorin und taz-Redakteurin Nina Apin fasst zusammen: „Man kann zwar
nicht von Hochschulproletariat sprechen, aber der Begriff der akademischen
Prekarität ist durchaus Realität.“
24 Apr 2010
## AUTOREN
(DIR) Alexandra Friedmann
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