# taz.de -- Eine Bank unter päpstlicher Aufsicht: Korruption, Bestechung, Geldwäsche
       
       > Das Istituto per le Opere di Religione (IOR), die Vatikanbank in Rom, war
       > in zahlreiche Finanzskandale verwickelt. Gianluigi Nuzzi hat sie
       > recherchiert.
       
 (IMG) Bild: Der umstrittene Erzbischof Paul Casimir Marcinkus leitete die Vatikanbank in den 60er und 70er Jahren.
       
       ROM taz | Ein absoluter Monarch mitten in Europa, der auch noch über eine
       keinem Kontrollorgan unterworfene Bank gebietet, über eine Bank, die völlig
       im Geheimen wirtschaftet und deren Mitarbeiter von niemandem zur
       Verantwortung gezogen werden können, da ihr Staat nie Rechtshilfeabkommen
       mit anderen Staaten geschlossen hat - das gibt es auch noch im 21.
       Jahrhundert. Der Monarch ist der Papst; er ist eben nicht bloß der
       spirituelle Kopf von mehr als einer Milliarde Katholiken, sondern auch der
       sehr weltliche Herrscher der Mini-Monarchie namens Vatikan-Staat.
       
       Als solcher gebietet er direkt - unter Ausschaltung auch der
       Vatikan-Verwaltung - über eines der weltweit wohl mysteriösesten
       Geldhäuser: über das Istituto per le Opere di Religione (IOR), das
       "Institut für religiöse Werke". Das IOR veröffentlicht keine
       Geschäftszahlen, es hält keine Bilanzpressekonferenzen ab, und seine
       Gewinne gehen auch nicht in den Vatikan-Haushalt ein. So erfährt die
       Öffentlichkeit zwar, wie viel der Heilige Stuhl mit dem Verkauf seiner
       Briefmarken, mit den Eintrittsgeldern der Vatikanischen Museen verdient -
       schier gar nichts aber weiß man von den Milliardengeschäften des IOR.
       
       Da macht es besonders neugierig, wenn ein Buch zum Thema mit der "Wahrheit
       aus einem Geheim-Archiv" aufwarten kann, wie schon der Untertitel verheißt.
       Gleich zwei große, mit Dokumenten prall gefüllte Koffer hat der Journalist
       und Buchautor Gianluigi Nuzzi erhalten, aus dem Nachlass des Monsignore
       Renato Dardozzi, der jahrelang als Aufseher im IOR wirkte. Dardozzi selbst
       - das ist der Glücksfall für den Autor, aber auch für die Leser - wollte,
       dass nach seinem Tod der Schleier über den IOR-Geschäften wenigstens ein
       bisschen gelüftet werde.
       
       Und das Material hat es in der Tat in sich. Bisher war zwar durchaus
       bekannt, dass das IOR in den Siebziger- und Achtzigerjahren unter der
       Leitung des hoch umstrittenen Erzbischofs Paul Casimir Marcinkus massiv in
       düstere Machenschaften verwickelt war. Nuzzi rekonstruiert die
       Skandalgeschichte denn auch knapp in den ersten Kapiteln: Das IOR hatte
       intensive Geschäftsbeziehungen zu den Mafia-Bankiers Michele Sindona (er
       starb 1986 in italienischer Haft an einem mit Strychnin versetzten
       Espresso) und Roberto Calvi (der 1982 in einer makabren Suizid-Inszenierung
       von seinen Mördern unter einer Brücke in London gehängt worden war).
       
       Doch bisher galt auch die selbstverständliche Annahme, mit diesen
       Verstrickungen des IOR habe es spätestens 1989 ein Ende gehabt, als der
       seriöse Bankier Angelo Caloia Bischof Marcinkus an der Spitze der Bank
       ablöste. Die Dokumente, die Nuzzi analysiert, beweisen jedoch das
       Gegenteil. Weiter waren intime Weggefährten von Marcinkus in der Bank
       aktiv; der mächtigste unter ihnen war Monsignore Donato De Bonis, der 1989
       auf das neu geschaffene Amt des "Prälaten des IOR" berufen wird - und der
       sofort an Caloia vorbei eine Bank in der Bank aufzieht.
       
       Insgesamt 17 chiffrierte Konten richtet De Bonis ein, auf denen er an der
       Buchhaltung des IOR vorbei hunderte Millionen Euro bewegt, in eigener
       Regie, offenkundig aber auch für italienische Politiker und Geschäftsleute.
       Die wissen den Vorteil einer Offshore-Bank mitten im Stadtzentrum Roms sehr
       zu schätzen. Am Fiskus und an den italienischen Staatsanwälten vorbei
       können sie ungestört Millionen verschieben. Gleich das erste von De Bonis
       eingerichtete Konto führte zu Giulio Andreotti, der nicht bloß die
       Zeichnungsberechtigung besaß, sondern im Falle von De Bonis Tod auch die
       dort deponierten Summen erben sollte. Andreotti, der Freund Sindonas, der
       Beschützer Calvis - und im Jahr 1989 Italiens Ministerpräsident.
       
       Minutiös auch rekonstruiert Liuzzi die Rolle des IOR und der von De Bonis
       eingerichteten internen Parallelbank in Italiens bisher größtem
       Korruptionsskandal überhaupt. Mehr als 100 Millionen Euro flossen Anfang
       der Neunzigerjahre an zahlreiche Politiker, als die italienische
       Industriellenfamilie Ferruzzi ihre Chemieaktivitäten weit überteuert an die
       Staatsholding ENI verkaufte. Und die Bestechungsgelder wurden über die IOR
       gewaschen. Dass die IOR im Skandal eine Rolle spielte, war auch bisher
       schon bekannt. Bisher galt aber auch die von den "ehrlichen" Vertretern des
       Hauses damals gewählte Verteidigungsstrategie: Das IOR selbst habe
       eigentlich gar nicht gewusst, welche Geschäfte da abgewickelt wurden.
       
       Das Gegenteil ist wahr: De Bonis Gegenspieler Caloia und Dardozzi hatten
       sehr schnell begriffen, dass ihr Haus wieder mal als Geldwäscheanstalt
       genutzt wurde. Und hier wird Liuzzis Buch zum Lehrstück darüber, wie die
       Institution Vatikan, die eben keinerlei externer Aufsicht unterworfen ist,
       mit Skandalen umgeht: Die Politik des Leugnens, des hartnäckigen
       Abstreitens und Unter-den-Teppich-Kehrens, die mittlerweile auf ganz
       anderen Feldern Empörung hervorruft, fand ab 1993 auch in der Bewältigung
       der Schmiergeldaffäre rund ums IOR ihre Anwendung; schließlich galt es auch
       hier, "Schaden" - und Schadensersatzforderungen - von der katholischen
       Kirche abzuwenden.
       
       All das liest sich äußerst spannend, all das ist von hohem zeithistorischem
       Interesse, mit Blick auf den Vatikan genauso wie auf die italienische
       Politik. Allerdings bleibt das Buch ein Werk über das IOR in den späten
       Achtziger- und frühen Neunzigerjahren. Wer sich dagegen Aufschlüsse über
       die "Vatikan AG", über den gesamten Komplex der wirtschaftlichen
       Aktivitäten des Heiligen Stuhls erhofft, wer gar wissen will, was IOR und
       Vatikan heute unter Papst Ratzinger so treiben, der wird weiter warten
       müssen.
       
       Gianluigi Nuzzi: "Vatikan AG. Ein Geheimarchiv enthüllt die Wahrheit über
       die Finanz- und Politskandale der Kirche". Aus dem Italienischen von
       Hausmann/Kaiser/Seuß. Ecowin Verlag, Salzburg 2010, 360 Seiten, 22,50 €
       
       28 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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