# taz.de -- Unterdrückte Künstler im Iran: 50 Peitschenhiebe noch dazu
> Protest gegen das Regime wird im Iran mit Gefängnis und Körperstrafen
> geahndet. Der Regisseur Dschafar Panahi zum Beispiel ist seit März in
> Haft.
(IMG) Bild: 2006 gab es auf der Berlinale den silbernen Bären für Regisseur Panahi.
"Ich habe das getan, was ich tun musste", sagte der iranische Filmemacher
Dschafar Panahi in einem Interview mit der BBC, nachdem ihm die Ausreise
aus dem Iran zur Teilnahme an der Berlinale verboten worden war. Er war bei
den Internationalen Filmfestspielen in Montreal als Vorsitzender der Jury
mit einem grünen Schal über den roten Teppich gelaufen und hatte seine
Solidarität mit der iranischen Opposition, der "Grünen Bewegung der
Hoffnung", bekundet. Zudem hatte er an der Trauerfeier für die bei den
Protesten ermordete Studentin Neda Aghasoltan teilgenommen.
Zwei Wochen nach dem Ausreiseverbot stürmten Sicherheitsbeamte Panahis
Haus, in dem er fünfzehn Kollegen und Dissidenten zu einem Fachgespräch
eingeladen hatte. Sämtliche Anwesende, auch die Frau und die Tochter des
Regisseurs, wurden abgeführt. Seit diesem 1. März ist Panahi im
berüchtigten Eviner-Gefängnis in einer Einzelzelle eingesperrt.
Zunächst ließ die Staatsanwaltschaft verlauten, die Inhaftierung habe
keinen politischen Hintergrund, Panahi sei wegen eines "kriminellen
Vergehens" verhaftet worden. Erst Wochen später erklärte der Kulturminister
Mohammad Hosseini, nach ihm vorliegenden Informationen habe Panahi einen
Film über die Ereignisse nach der umstrittenen Wiederwahl von
Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad drehen wollen. Die manipulierte Wahl
hatte Massenproteste ausgelöst.
Der 49-jährige Panahi zählt zu den im Ausland bekanntesten Filmemachern
Irans. Für sein Werk "Offside" erhielt er 2006 den Silbernen Bären der
Berlinale. Sein Film "Der Kreis" wurde im Jahr 2000 mit dem Goldenen Löwen
des Filmfestivals von Venedig ausgezeichnet. 1995 gewann er mit "Der Weiße
Ballon" den Preis für den besten Debütfilm in Cannes. In diesem Jahr hatte
ihn die Berlinale als Ehrengast eingeladen. "Wir sind besorgt und bedauern
zutiefst, dass ein mit vielen internationalen Preisen ausgezeichneter
Regisseur aufgrund seiner künstlerischen Arbeit in Haft genommen wird",
erklärte die Festspielleitung nach der Festnahme.
## Proteste nach der Wahl
Panahi ist nicht der einzige Filmemacher und Künstler, der die Repressionen
gegen Kritiker des Regimes zu spüren bekommt. Die massiven Proteste nach
der Wahl und die Rolle, die Kulturschaffende dabei gespielt haben, machten
das Regime darauf aufmerksam, dass Kunst und Kultur weit mehr die
Entwicklung einer Gesellschaft beeinflussen als politische Parolen, ein
Einfluss, der sich schwer kontrollieren und verhindern lässt.
Tatsächlich haben Kunst, Musik und Literatur schon während des Wahlkampfs
und verstärkt danach bei den Massendemonstrationen eine erstaunliche Blüte
erlebt. Kunstvolle Plakate wurden entworfen, Lieder komponiert, Gedichte
geschrieben, Filme produziert und Anekdoten und Witze im Umlauf gesetzt.
Allein die Kompositionen mit der grünen Farbe waren so fantasievoll, dass
kaum ein Beobachter sich zurückhalten konnte, an dem Aufstand teilzunehmen.
Das Lied, das der populäre Sänger Mohammad Resa Schadjarian sang, ist heute
im Iran so bekannt wie die Nationalhymne: "Komm mit, bleib nicht allein,
der gemeinsame Schmerz lässt sich nicht allein heilen."
Nicht zu unterschätzen war auch die Rolle von zehntausenden Bloggern,
Betreibern von Internetseiten und Journalisten, die mit viel Witz und
Fantasie die Forderungen der Bewegung verbreiteten und trotz rigoroser
Zensur auch die Öffentlichkeit im Ausland über die Vorgänge im Iran
informierten. Während ausländischen Journalisten und Agenturen die
Berichterstattung über Protestdemonstrationen verboten wurde, versorgten
iranische Videofilmer die Medien im Ausland mit Berichten über die
Ereignisse. Ihnen wurde in diesem Jahr der Henri-Nannen-Preis zugesprochen,
der wichtigste Preis in Deutschland, mit dem die Arbeit von Journalisten
gewürdigt wird.
Im Iran hingegen wurden sie dafür hart bestraft. Hunderte Künstler,
Schriftsteller, Filmemacher, Blogger und Journalisten wurden festgenommen,
in den Gefängnissen gefoltert, zu falschen Geständnissen gezwungen und in
Schauprozessen zu harten Strafen verurteilt.
Der 58-jährige Filmemacher Mohammad Nurisad ist einer von ihnen. Eigentlich
war er aus der Sicht der Behörden über jeden Verdacht erhaben. Jahrelang
verhielt er sich dem Regime gegenüber loyal, er produzierte
Dokumentarfilme, schrieb auch kontinuierlich Artikel für die
ultrakonservative Tageszeitung Keyhan. Doch als er bei den Demonstrationen
beobachtete, wie brutal die Ordnungskräfte gegen Andersdenkende vorgingen,
nahm er Abstand von den Machthabern. Er schrieb einen Protestbrief an den
Revolutionsführer Ali Chamenei und forderte ihn auf, sich für das
gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten zu entschuldigen. In seinem letzten
von insgesamt vier Briefen an den Revolutionsführer schrieb er: "Ich sehe
immer weniger Menschen um Sie. Die Führung über eine kleine Minderheit
liefert keinen Grund zum Stolz."
## Verunglimpfung der Islamischen Republik
Nurisad wurde zu dreieinhalb Jahren Haft plus 50 Peitschenschlägen
verurteilt. Wie der Gerichtsvorsitzende erläuterte, setzt sich die Strafe
zusammen aus einem Jahr für Propaganda gegen die Staatsordnung und
Verunglimpfung der Islamischen Republik, zwei Jahren wegen Beleidigung des
Revolutionsführers, 91 Tagen wegen Beleidigung des Justizchefs, 91 Tagen
wegen Beleidigung des Staatspräsidenten und 50 Peitschenschlägen wegen
Beleidigung des Freitagspredigers der Stadt Maschad.
Fatemeh Nurisad, die Frau des Filmemachers, hat kürzlich nach einem Besuch
im Gefängnis erklärt, ihr Mann sei bei den Verhören schwer gefoltert worden
und habe sich deswegen bei der Justiz beschwert. Aus Protest habe er 106
Tage lang gefastet.
Vierzig Filmemacher und Schriftsteller forderten Ende März in einem offenen
Brief die unverzügliche Freilassung ihrer Kollegen aus der Haft. Es gehöre
zu den verbrieften Rechten eines jeden Künstlers und Schriftstellers,
seinen Beruf frei auszuüben und seine Meinung frei zu äußern, heißt es in
dem Brief.
Die Verweigerung dieser Rechte im Iran hat zahlreiche Schriftsteller,
Künstler und Journalisten ins Exil getrieben. Auch einige, die sich noch im
Iran aufhalten, versuchen ihre Werke, die nicht im Land erscheinen können,
im Ausland zu veröffentlichen. Allein im vergangenen Jahr haben drei
bekannte iranische Schriftsteller, Mahmud Doulatabadi, Shahriar Mandanipur
und Amir Hassan Cheheltan, ihre Romane, die im Original seit langem bei der
Zensurbehörde in Teheran liegen, in deutscher Übersetzung veröffentlicht.
Der Filmregisseur Abbas Kiarostami lebt schon seit einigen Jahren im
Ausland. "Ich habe meine Hoffnung, in meiner Heimat arbeiten zu können,
längst aufgegeben", schrieb er.
Aber auch diesen für die Betroffenen traurigen Ausweg versucht das Regime
zu unterbinden. Wie Panahi wurden zahlreiche Künstler und Schriftsteller
mit einem Ausreiseverbot belegt. Schnell wird man der "Kollaboration mit
ausländischen Feinden" und der Mitarbeit mit ausländischen Geheimdiensten
verdächtigt. Das Regime versucht, Angst und Misstrauen zu verbreiten. Nicht
selten üben aus diesem Grund Kulturschaffende Selbstzensur.
## "Jeder braucht eine Lizenz"
Nun hat sich der stellvertretende Minister für Kultur und islamische
Führung, Dschawad Schamghadri, für die Filmemacher etwas Neues einfallen
lassen. Filmemacher sollten nur Filme produzieren, die sich nach dem
Glauben und der islamischen Moral richten, den Inhalt des Korans zum
Ausdruck bringen und die "ruhmreiche Geschichte des Islam" erzählen. Auch
politisch dürften sie sich engagieren, sie sollen das Volk über die
Inszenierung eines "sanften Krieges" durch ausländische Mächte, den Kampf
gegen Imperialismus und den "heiligen Widerstand der Muslime" aufklären.
Wer sich künftig als Filmemacher betätigen darf, entscheidet das
Ministerium für Kultur und islamische Führung. "Jeder braucht eine Lizenz",
sagte Schamghadri. "Das ist das Nadelöhr, durch das alle durchmüssen. Es
ist wie die erste Nacht am Grab." Aber auch selbst die, die diese Hürde
überwinden, erhalten nach den neuesten Bestimmungen nicht dieselben Rechte.
Es soll künftig vier Kategorien für Filmemacher geben. Die in der ersten
Kategorie dürfen demnach drei, die in der zweiten zwei und die in der
dritten Kategorie nur einen Film pro Jahr produzieren. Der Rest dürfe
überhaupt keine Filme machen. Mit dem Rest - das versteht sich von selbst -
sind alle jene gemeint, die gesellschaftskritische Filme produzieren.
3 May 2010
## AUTOREN
(DIR) Bahman Nirumand
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