# taz.de -- "Bierzelt oder Blog": Überfällige Ernüchterung
       
       > In seinem Buch "Bierzelt oder Blog?" untersucht der Medienwissenschaftler
       > Andreas Elter den Einfluss der Social Media auf den Bundestagswahlkampf.
       
 (IMG) Bild: Die NRW-CDU auf Twitter: Die FDP hat kein Ahnung von den Schulden.
       
       Ein neues Gerücht geht um die Welt und belebt den medialen Betrieb. Demnach
       haben in den USA Twitter, Blogs und andere interaktive Netzplattformen und
       Netzwerke für Obama die Wahlen gewonnen, und im Iran wurde eine "grüne
       Revolution" durch eine massenhafte Nutzung ähnlicher Medien fast
       Wirklichkeit. Aber selbst für die USA gilt, dass "die klassischen Medien
       Obama mindestens ebenso den Weg nach Washington ebneten wie seine
       Unterstützer im Netz", so der Medienwissenschaftler Andreas Elter.
       
       Was den Iran betrifft, so ist die Informationslage ziemlich diffus. Andreas
       Elter hat jetzt eine empirisch gestützte Studie vorgelegt, in der er den
       Gebrauch der interaktiven Social Media (Facebook, Youtube, StudiVZ, Twitter
       u. a.) durch die Parteien im Bundestagswahlkampf untersuchte. Die
       Ergebnisse sind ziemlich ernüchternd. Zwei demografische Daten illustrieren
       das Dilemma der deutschen Wahlkämpfer. Rund 30 Prozent der Wahlberechtigten
       gehören zur Internetgeneration, darunter viele Erstwähler. Andererseits
       sind 70 Prozent der Wahlberechtigten älter als 40.
       
       Weil es keine direkten Korrelationen von Alter, Internetnutzung und
       Parteipräferenz gibt, ist die Frage ungeklärt, wer eher per Internet
       erreichbar ist als durch klassische Medien. Klar ist nur, dass
       Internetnutzer eher männlich, jung, urban und gut ausgebildet sind.
       
       Twitter spielte bei allen Parteien eine untergeordnete Rolle und fiel den
       geübten Usern dadurch auf, dass die Mitteilungen aus den Parteizentralen
       nicht in der ersten, sondern in der dritten Person formuliert wurden. Das
       "Ich" ist jedoch so etwas wie die Notration jedes Tweets (Eintrag bei
       Twitter) wie der Rettungsring beim Boot - unabhängig davon, ob jemand etwas
       zu sagen hat oder nicht, das Ich gehört dazu.
       
       Was die Inhalte betrifft, so stand bei allen Parteien nicht etwa die
       Vermittlung von politischen Inhalten und Zielen im Vordergrund, sondern das
       persönliche Profil von Kandidaten sowie die Aufrufe für Spenden und für die
       Wahlbeteiligung. Kein Kandidat wollte "in einen echten interaktiven Dialog
       mit den Nutzern treten".
       
       Die Antworten kamen von anonymen Wahlkampfteams und Parteimitarbeitern, die
       nur selten ihren vollen Namen nannten. Informationsblöcke, Interviews,
       Videos und Podcasts boten den Nutzern wahlkampfrelevante Inhalte, aber kaum
       Diskursmöglichkeiten. Parteiübergreifend waren User erwünscht als
       potenzielle Spender oder potenzielle Parteimitglieder, aber nicht als an
       Politik interessierte Bürger und schon gar nicht als Gleichberechtigte.
       
       Das tägliche Twitter-Angebot mit Mitteilungen von 140 Zeichen betrug bei
       der CDU 5, bei der SPD 9,25, bei der Linkspartei 7,75 und bei den Grünen
       30, die als einzige Partei "kurz vor der Wahl sehr stark auf persönlichen
       Kontakt" setzten wie Obama in seinem Wahlkampf. Allerdings glichen diese
       "persönlichen Kontakte" eher "Einbahnstraßen, denn "ein echter Diskurs" kam
       "dadurch nicht zustande", wie Elter feststellt. Die Kommentare der
       Twitter-User wiederum waren obligat kurz, selten witzig, intellektuell oft
       von überschaubarer Aussagekraft und vor allem einseitig.
       
       Elters Fazit: 1. Eine Politik 2.0 gab es weder in den USA noch hier. 2. Die
       Social Media mobilisierten die eigene Klientel. 3. Die Inhalte kamen über
       ödes Politikmarketing im Stil von Plakatwänden nicht hinaus. Für alle
       Netzenthusiasten in den Parteizentralen und für die Anhänger der
       Piratenpartei bringt das Buch eine überfällige Ernüchterung, für den Rest
       gediegene Aufklärung über ein Gerücht.
       
       Andreas Elter: "Bierzelt oder Blog? Politik im digitalen Zeitalter".
       Hamburger Edition 2010, 139 S., 12 Euro
       
       8 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Walther
       
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