# taz.de -- NRW muss den Kommunen helfen: Über die Wupper
       
       > Egal, wer in NRW künftig regiert – Städte wie Wuppertal brauchen dringend
       > Hilfe. Über Jahre haben Bund und Länder den Kommunen Aufgaben
       > aufgebürdet, ohne Ausgleich.
       
 (IMG) Bild: Die Wuppertaler Schwebebahn. Nach einer Modernisierung aus Sicherheitsgründen fährt sie seit April 2010 wieder.
       
       Es geht nicht mehr aufwärts. Die Rolltreppe, die aus dem Fußgängertunnel am
       Bahnhof hoch zur Bushaltestelle führt, steht still. Seit Jahren schon. Sie
       ruht wie vergessen. Passanten huschen an der weiß-roten Absperrflanke
       vorbei, schnellen Schrittes die Treppe rauf. In den Rillen der Rolltreppe
       rotten Zigarettenstummel vor sich hin. Und auf den Stufen wächst grünes
       Moos.
       
       Wuppertal ist pleite. 1,8 Milliarden Euro Schulden hat die Stadt, in diesem
       Jahr könnte die 2-Milliarden-Marke durchbrochen werden. Das ist mehr als
       das Doppelte von dem, was die Stadt jährlich einnimmt. Umgerechnet steht
       jeder der 355.000 Bürger mit mehr als 5.500 Euro in der Kreide. Der
       Zinsdienst erdrückt die Kommune. Aus eigener Kraft, das sagen alle hier,
       wird Wuppertal niemals aus seinen Schulden herauskommen.
       
       Inzwischen scheut sich sogar der Umgebungsplan am Bahnhof, Ankommende mit
       großen Versprechen zu begrüßen. Rostrot sind die öffentlichen Gebäude dort
       eingefärbt, unter dem Hallenbad steht "z. Zt. geschl.", ein paar hundert
       Meter Luftlinie weiter "Schausp. Hs. (z. Zt. geschl.)".
       
       Wuppertal ist ein drastisches, aber nicht das einzige Beispiel in NRW. Vor
       einigen Tagen, im Wahlkampf, sprach Angela Merkel vielleicht auch deswegen
       hier vorm Rathaus. Am Morgen hatte sie im Bundestag für die unbeliebten
       Griechenlandhilfen geworben, auf dem Johannes-Rau-Platz pfiffen
       Protestanten sie aus. Städte wie Wuppertal sind griechische Inseln mitten
       in Deutschland, die in den vergangenen Jahren still und leise in ihren
       Schulden versunken sind. Weil sie sich nicht rechtzeitig auf den
       Strukturwandel eingestellt haben. Weil sie mit windigen Leasinggeschäften
       ihren Haushalt retten wollten. Vor allem aber auch, weil Bund und Länder
       sie in die Schuldenfalle hineingetrieben haben. Egal wer - über die
       Finanzlage der Städte wird die neue Landesregierung nicht mehr hinwegsehen
       können.
       
       Als Wuppertal vor einiger Zeit ankündigte, das Schauspielhaus nicht nur
       vorübergehend, sondern für immer zu schließen, ging bundesweit ein
       Aufschrei durch die Feuilletons. Theaterensembles aus ganz NRW reisten zu
       Protestaktionen an, der Deutsche Bühnenverein bezeichnete die Ankündigung
       als "nicht hinnehmbar".
       
       Alfred Lobers leitet die Finanzabteilung im Wuppertaler Rathaus, der Herr
       im Anzug ist der Verwalter der leeren Kassen. Er gießt Kaffee ein und zeigt
       fast schon verzweifelte Freude darüber, wie viel Wirbel die
       Schließungspläne ausgelöst haben. Ein gelungener Mediencoup, bittere PR für
       die Not der Stadt. Das mit dem Theater, sagt Lobers schon zynisch, "das
       haben wir gut gemacht, nicht wahr?" Die Stadt will ihr Unglück
       herausschreien.
       
       Lobers legt einen Stapel ausgedruckter Präsentationsfolien auf den Tisch.
       Mit diesem Vortrag zieht er seit Wochen durch die Stadt, gleich um zehn Uhr
       ist er beim Personalrat eingeladen. Seine Botschaft ist klar: "Wir sind
       nicht schuld an der Misere. Und ich kann es beweisen."
       
       Der Beweis beginnt auf Folie fünf: "Entwicklung der strukturellen
       Fehlbeträge 1992 bis 2000". Anfang der 90er-Jahre liegt die Kurve bei null,
       die Stadt erwirtschaftete sogar einen kleinen Überschuss. Dann neigt sich
       die Kurve ins Minus. "Seit 1993 müssen wir jedes Jahr 20 Millionen in den
       Fonds Deutsche Einheit bezahlen." Bis zum Jahr 2000 führt die Kurve mal
       etwas nach oben, mal etwas nach unten, durchbricht aber nie die Nulllinie.
       Das Minus zur Jahrhundertwende beträgt 24,7 Millionen Euro. "Damit waren
       wir damals schon ganz nah am Haushaltsausgleich", sagt Lobers.
       
       Lobers braucht eine neue Folie mit einem Diagramm, das unten sehr viel mehr
       Platz hat, um zu zeigen, was dann passiert. Im Jahr 2000 fällt die Kurve
       steil ab - auf ein Defizit von 108,1 Millionen Euro. Damals beschloss die
       rot-grüne Bundesregierung Steuersenkungen für Unternehmen. Die Folge für
       die Städte: Auch die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sanken drastisch, in
       Wuppertal von 150 auf nur noch 95 Millionen. "Und aus diesem Keller", sagt
       Lobers, "sind wir in den letzten zehn Jahren nicht wieder herausgekommen."
       
       Im Gegenteil: Die Weltwirtschaftskrise hat Wuppertal im vergangenen Jahr
       hart getroffen; in der Stadt sind viele Autozulieferer ansässig, die vom
       Export abhängen. Die Gewerbesteuereinnahmen stürzten weiter ab. Und dann
       trat im Januar das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in Kraft. Die
       Steuersenkungen für Hoteliers und Familien beschleunigten in Wuppertal
       bislang nur das Wachstum der Verschuldung. 8,35 Millionen Euro weniger
       nimmt die Stadt jedes Jahr ein. Das Schauspielhaus hätte mit dem Geld gut
       über die Runden kommen können.
       
       Das Muster ist stets dasselbe: Bund und Länder beschließen Gesetze, die die
       Kommunen teuer zu stehen kommen - ohne dass diese überhaupt mitreden
       könnten. Man lädt ihnen Aufgaben auf, aber gibt ihnen nicht das Geld dafür.
       Wuppertal, einst geprägt durch die Textilindustrie, hat heute eine
       Arbeitslosenquote von über 12 Prozent. Für die Mietkosten der
       Hartz-IV-Empfänger, so will es das Gesetz, sind die Kommunen zuständig. In
       den vergangenen fünf Jahren sind diese von 89 auf 120 Millionen Euro
       gestiegen - während der Bund Schritt für Schritt seinen Zuschuss
       zurückgefahren hat, von knapp 30 auf jetzt nur noch 23 Prozent.
       
       Und so ist die Lücke im Budget der Stadt heute gewaltig: 220,5 Millionen
       Euro müsste Wuppertal einsparen, wenn es einen ausgeglichenen Haushalt
       erreichen wollte. Mit dem Abbau der fast 2 Milliarden Euro Schulden aus der
       Vergangenheit wäre noch nicht einmal begonnen. "220 Millionen Euro
       einsparen, das können wir nicht", sagt Lobers. "Wir trauen uns 80 Millionen
       zu. Unter großen Schmerzen." 80 Millionen Euro heißt unter anderem: mehrere
       Schulen, Bürgerbüros, Schwimmbäder und zwei Stadtteilbibliotheken
       schließen. Der Stadtrat wird um sechs Mandate verkleinert. Der
       Eintrittspreis für den Zoo steigt. Die Wuppertaler Verwaltungsoberen haben
       sich sogar überlegt, auf der Stadtautobahn häufiger zu blitzen - und
       mussten sich vom Land belehren lassen, dass Radarkontrollen der
       Verkehrssicherheit dienen und nicht der Geldbeschaffung.
       
       So langsam stellt sich die Frage, was eine Stadt überhaupt noch ausmacht.
       Was braucht man eher, um Bewohner zu halten und Unternehmen anzulocken -
       Kitas oder Schulbibliotheken, Theater oder Busse? Das Dilemma zeigt sich am
       Beispiel des Bahnhofsbereichs, der nach Jahren endlich neu gemacht werden
       soll - inklusive Rolltreppe. Mit 35 Millionen Euro beteiligt sich die Stadt
       an dem Vorhaben, das ist nur ein kleiner Teil der Baukosten, aber selbst
       der ist umstritten.
       
       Wuppertal steckt in einem Teufelskreis. Die Stadt ist mittlerweile so
       klamm, dass sie nicht einmal mehr an Fördergelder kommt, die eigentlich für
       strukturschwache Städte gedacht sind. Um Geld aus den Fördertöpfen von
       Land, Bund oder EU zu erhalten, muss die Stadt in der Regel selbst einen
       Anteil beisteuern. Das wiederum verbietet das Land, das streng wacht über
       jede Ausgabe der Stadt, die nicht zu den Pflichtaufgaben zählt.
       
       Wer nach einem Beispiel für diese absurde Fördersituation sucht, muss nur
       hinauf in den Nordpark gehen. Auf einem der vielen Hügel liegt ein großer
       Spielplatz. Ein schöner Ort für die Kinder aus den armen Vierteln im
       Umkreis. Allerdings müsste der Spielplatz dringend saniert werden.
       
       Das Holz der beiden Häuschen bröselt, die steinerne Tischtennisplatte
       erinnert an die 70er-Jahre, genauso die spartanische Rutsche. Die Stange am
       Turngerüst ist durchgebogen. Rund 200.000 Euro würde die Sanierung kosten,
       Geld dafür könnte es aus einem Programm zur sozialen Stadtentwicklung
       geben. Mit 20.000 Euro müsste sich die Stadt beteiligen - nur, sie darf
       nicht.
       
       Gerne würde die Bevölkerung einspringen. Der Nordstädter Bürgerverein hat
       angeboten, den Anteil der Stadt zu übernehmen. Der Vereinsvorsitzende
       Dieter Mahler geht durch den Park, zeigt auf das Beet mit den gelben und
       violetten Primeln, die die Bürger zum Frühjahr gestiftet haben, auf den
       Bouleplatz und das Wildgehege, das der Verein vor Jahren angelegt hat. Die
       Spielplatzsanierung wäre für den Pensionär Mahler eine Ehrensache.
       
       Das Land hat seine Förderbestimmungen daraufhin so geändert, dass Bürger
       und Vereine notfalls den Anteil der Stadt übernehmen dürfen. Das Problem:
       Die Änderung gilt nicht, weil auch Bundesmittel im Förderprogramm stecken.
       Und Berlin erlaubt nicht, dass Städte ihren Anteil auf Dritte abwälzen. Für
       diese Regel gibt es gute Gründe, aber beim Wuppertaler Spielplatz erweist
       sie sich als absurd.
       
       Der Bürgervereinsvorsitzende Mahler lässt nicht locker. Er hat sich an den
       Wuppertaler Bundestagsabgeordneten Peter Hinze gewandt. Hinze war mal
       Generalsekretär der CDU, jetzt ist er Staatssekretär im
       Bundeswirtschaftsministerium. "Dass unser Abgeordneter so prominent ist,
       ist ein glücklicher Zufall", sagt Mahler. Immerhin: Hinze habe zugesichert,
       sich direkt beim zuständigen Ministerium für den Fall einzusetzen.
       
       Ob in einem armen Wuppertaler Viertel ein Kinderspielplatz saniert werden
       kann, entscheidet nun wohl das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
       Stadtentwicklung in Berlin. "Wir hier", sagt Mahler, "stehen jedenfalls
       Gewehr bei Fuß."
       
       10 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Kramer
       
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