# taz.de -- Nächstes Problem Schulden-Berge: Verhältnisse wie in Mexiko
       
       > Die Schuldenberge sind die nächste Aufgabe für die EU. Staaten wie
       > Griechenland droht ein verlorenes Jahrzehnt. Das Beispiel Mexiko zeigt,
       > dass Staaten auch pleitegehen können.
       
 (IMG) Bild: Verfallenes Haus in Mexiko.
       
       Die Euroländer und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben mit ihrem
       am Wochenende in Brüssel beschlossenen Megarettungspaket im Umfang von 750
       Milliarden die Pleite Griechenlands und anderer hoch verschuldeter Länder
       wie Portugal oder Spanien erst einmal abgewendet. Wenn das Bollwerk gegen
       die Spekulanten hält, ist vor allem eines gewonnen: Zeit. "Es ist eine Art
       Morphium, das den Patienten stabilisiert", sagte IWF-Europachef Marek Belka
       über das Rettungspaket. "Die richtige Behandlung steht noch aus."
       
       Die Notkredite lösen eher die Probleme der Banken, bei denen Griechenland
       verschuldet ist, als die des Landes selbst. Denn mit dem Geld kann die
       griechische Regierung zwar ihre demnächst fälligen Schulden abzahlen. Sie
       kann aber nicht die Konjunktur ankurbeln und die Wettbewerbsfähigkeit
       fördern. Und sie wird damit nicht ihren mehr als 300 Milliarden Euro großen
       Schuldenberg abbauen, der sich immerhin auf das 1,25-Fache der jährlichen
       Wirtschaftsleistung des Landes beläuft. Die zusätzlichen Kredite lassen den
       Berg vielmehr noch wachsen.
       
       Eine Radikalsanierung der Staatsfinanzen ist zwar im Prinzip durchaus
       möglich. Staaten wie Schweden oder Kanada haben es in den 1990er-Jahren
       vorgemacht. Aber für Griechenland dürfte der Zug abgefahren sein. Die
       Zinsaufschläge sind, auch wenn sie dank des EU-Rettungsschirms wieder
       zurückgegangen sind, einfach nicht zu finanzieren. Neun Prozent der
       gesamten Wirtschaftsleistung des Landes werden allein für Zinszahlungen
       fällig. Das wäre vielleicht noch zu leisten, wenn die Wirtschaft wachsen
       würde, wenn die Griechen also im Wesentlichen nur ihr zusätzliches Output
       an die Gläubiger überweisen müssten. Aber die griechische Wirtschaft wächst
       nicht, sie schrumpft - und zwar nach Ökonomenmeinung um bis zu 10 Prozent,
       wenn alle versprochenen Sparmaßnahmen durchgezogen werden.
       
       Griechenland erinnert damit weniger an andere Industrieländer wie die USA
       oder Japan, die auch mit hohen Schulden halbwegs über die Runden kommen,
       als vielmehr an die klassischen Schuldnerstaaten in Lateinamerika. Zwar ist
       das Euroland im Gegensatz zu jenen in eigener Währung verschuldet und muss
       deshalb nicht mühsam über Exporte die für den Schuldendienst nötigen
       Devisen beschaffen. Aber das Geld muss auch erwirtschaftet werden - zumal
       die griechische Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt
       mehr als doppelt so hoch ist wie damals in den lateinamerikanischen
       Krisenstaaten. Gegenwärtig scheint Griechenland jedenfalls der gleiche Weg
       vorgezeichnet, den Lateinamerika in den 1980er-Jahren gegangen ist. Der vom
       IWF verordnete Sparkurs führte dort zu einem Jahrzehnt der wirtschaftlichen
       und sozialen Stagnation - dem verlorenen Jahrzehnt. Und am Ende waren die
       Schulden wegen der vielen Notkredite nicht weniger geworden, sondern mehr.
       
       Das Thema Schuldenkrise, das lange der sogenannten Dritten Welt vorbehalten
       zu sein schien, ist damit endgültig in Europa angekommen. Jetzt, wo die
       Europäer selbst betroffen sind, hat damit aber auch erstmals ein Vorschlag
       eine Chance auf Umsetzung, wie das Überschuldungsproblem gelöst werden
       könnte: Wird nun ein geregeltes Insolvenzverfahren, wie es für Unternehmen
       schon längst existiert, auch für zahlungsunfähige Staaten eingeführt?
       
       Seit der Zahlungsunfähigkeit Mexikos 1982 ist die Fiktion dahin, dass
       Staaten nicht pleitegehen können. Seither flackerte die Schuldenkrise und
       mit ihr die Angst vor Staatsbankrotten immer wieder auf - in Mexiko erneut
       1994, in Russland 1998, in Brasilien 1999. Irgendwann war klar, die
       Schuldnerländer brauchen keine neuen Rettungspakete, sie brauchen eine
       Entschuldung. Bei sehr armen Ländern wie Nicaragua oder Mosambik, die
       hauptsächlich bei Entwicklungshilfegebern und dem IWF in der Kreide
       standen, funktionierte so ein Schuldenerlass noch relativ leicht: Er musste
       von den beteiligten Staaten nur beschlossen werden.
       
       Komplizierter wird es bei Ländern, die auf den internationalen
       Kapitalmärkten von unzähligen Investoren Geld beschafften, indem sie
       Anleihen verkauften. So wie Argentinien, das sich bei seiner
       Zahlungsunfähigkeit 2001 hunderttausenden Gläubigern gegenüber sah. Und so
       wie jetzt Griechenland.
       
       Im günstigeren Fall verhindert erst einmal der IWF durch die Überweisung
       neuer Kredite den finanziellen Kollaps - allerdings nur unter äußerst
       schmerzhaften Auflagen, wie sie auch Griechenland erfüllen muss. Stets
       zeigte sich jedoch, dass das nicht genügte. Nach langwierigen Verhandlungen
       erklärten sich meistens die Gläubiger zu einer Umschuldung bereit: Sie
       gewährten dem überschuldeten Land längere Rückzahlungsfristen und
       niedrigere Zinsen. Oft verzichteten sie notgedrungen auf einen Teil ihrer
       Forderungen - in den Krisen seit 1998 auf durchschnittlich 50 Prozent, so
       die Ratingagentur Moodys.
       
       Oder aber das Schuldenproblem endet im Chaos. Nachdem die argentinische
       Regierung ihre Zahlungen teilweise eingestellt hatte, verhandelte sie mit
       ihren Gläubigern vier Jahre lang ohne Erfolg über eine Umschuldung.
       Daraufhin verhängte sie einseitig neue Bedingungen: Die Anleihenbesitzer
       mussten auf fast drei Viertel ihrer Forderungen verzichten. Diese brachiale
       Art der Entschuldung funktionierte zwar, aber die argentinische Wirtschaft
       litt unter den jahrelangen Problemen, bei Bedarf wieder an Geld zu kommen.
       
       Welche Auswirkungen solch eine ungeordnete Pleite Griechenlands auf die
       übrige Eurozone hätte, lässt sich gar nicht ausmalen. Auf dem Brüsseler
       Gipfel am vergangenen Wochenende hatte sich deshalb die Bundesregierung für
       die Einführung eines geordneten Insolvenzverfahrens für Staaten
       ausgesprochen. Eine unabhängige Institution wie ein noch zu gründender
       Europäischer Währungsfonds sollte dem Vorschlag zufolge die Verhandlungen
       mit den Gläubigern leiten und darüber wachen, dass der Schuldnerstaat
       seinen Verpflichtungen nachkommt.
       
       Die Vorlage dafür hatte, unter dem Eindruck der Argentinien-Krise, der IWF
       selbst geliefert. Die damalige Vizedirektorin Anne Krueger legte schon 2001
       einen entsprechenden Plan vor, der sich das Kapitel 11 des
       US-Insolvenzrechts zum Vorbild nahm. Dieses sieht vor, dass konkursreife
       Firmen, wie im vergangenen Jahr General Motors, vor den Forderungen der
       Gläubiger eine Zeit lang geschützt werden. Statt Schulden abzubezahlen,
       können sie ihre Einnahmen nun nutzen, um sich neu auf dem Markt
       aufzustellen. Dann erst wird entschieden, wie viel von ihrem Geld die
       Gläubiger noch sehen.
       
       Im Unterschied zu früheren Schuldenkrisen handelt es sich bei Griechenland
       allerdings nicht um das Problem eines einzelnen Landes, sondern um die
       Krise eines ganzen Währungsraums. Sobald auch nur über eine griechische
       Umschuldung nachgedacht wird, hat das Auswirkungen auf die anderen
       Problemstaaten in der Eurozone und nicht zuletzt auf die
       Gemeinschaftswährung selbst. Doch liegt darin auch eine Chance: Die
       Einrichtung eines Insolvenzgerichts ist leichter für 16 Staaten zu
       bewerkstelligen als für die ganze Welt, zumal dabei auf gemeinsame
       Institutionen zurückgegriffen werden kann.
       
       Der Brüsseler Gipfel vermied jedoch jeglichen Verweis auf das Thema. Die
       Sorge war, dass die Finanzmärkte endgültig in Panik geraten würden, wenn
       selbst die Regierungschefs die vollständige Rückzahlung der Schulden in
       Frage stellen. Das hätte eine Kettenreaktion in Portugal, Spanien und
       womöglich in Irland und Italien ausgelöst. "Ein Teilbankrott Griechenlands
       hätte zu einem Vertrauenszusammenbruch geführt und ähnliche Auswirkungen
       auf die Realwirtschaft gehabt wie die Lehman-Pleite im Herbst 2008", meint
       Michael Bräuninger vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut.
       Bundesbank-Präsident Axel Weber unterstützte zwar die Vorschläge für ein
       Insolvenzverfahren, schränkte aber ein: "Gegenwärtig kämen sie zur Unzeit
       und würden die Krise verschärfen."
       
       Dennoch wird eine Umschuldung der griechischen Schulden nach wie vor von
       vielen Ökonomen für wahrscheinlich gehalten - wenn auch wohl frühestens
       nächstes Jahr, wie der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer,
       unlängst in Brüssel andeutete. Ihm zufolge sollten die Euroländer die Zeit
       bis dahin unbedingt zum Aufbau geeigneter Strukturen nutzen, insbesondere
       zur Gründung eines Europäischen Währungsfonds.
       
       Dann könnte ein geordnetes Insolvenzverfahren helfen, die
       Überschuldungprobleme Griechenlands zu lösen. Doch damit wäre es nicht
       getan. Nicht gelöst würden damit die ökonomischen Verwerfungen in Europa,
       die die Ursache der Probleme darstellen. Griechenland wurde buchstäblich
       niederkonkurriert durch die Niedriglohnstrategie des europäischen
       Exportmeisters Deutschland. So konnte die Produktivität in Griechenland
       zwar durchaus gesteigert werden. Mit gestiegen sind aber auch die Löhne,
       während sie in Deutschland unter Abzug der Inflation seit Jahren sinken.
       Selbst nicht mehr wettbewerbsfähig, hat Griechenland sich daher oft auf
       Pump mit günstigen Importen versorgt - wovon dann wiederum die deutschen
       Exporteure kräftig profitierten. Es wird deshalb kein Weg vorbeiführen an
       gemeinsamen Regeln für die Eurozone, die nicht nur die Haushaltsdisziplin
       der einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch ihre gesamte Wirtschaftspolitik
       umfassen. "Der Versuch, Griechenland zu retten, ist erst der Anfang",
       stellte der Financial-Times-Kolumnist Martin Wolf fest. "Es muss noch viel
       mehr geschehen, sowohl in Bezug auf die jetzige Krise als auch auf die
       Reformierung der Eurozone."
       
       14 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
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