# taz.de -- Popstandort Hamburg: Erbe und Aussicht
       
       > Sicher: In Hamburg haben sie die Beatles zuerst gehört - aber das ist
       > Jahrzehnte her. Gerne aber stilisieren die örtliche Politik und ihre
       > Marketing-GmbH auch heute die traditionsreiche Kaufmanns- zur Popstadt
       > Nummer eins.
       
 (IMG) Bild: Voller Hoffnung neu in Hamburg: Die Beatles in den frühen 1960er Jahren.
       
       "Wo anders bin ich wer gewesen", singt Hannes Wittmer alias Spaceman Spiff,
       "hier muss ich irgendjemand sein." Gewidmet hat er den Song seiner neuen
       Heimat - Hamburg. Wittmer hat es geschafft in der Stadt, die sich so gerne
       damit brüstet, die deutsche Hauptstadt des Pop zu sein: Der 24-Jährige kann
       von seiner Musik leben.
       
       Musikmetropole möchte die Handelsstadt gerne sein. Die städtische
       Marketing-GmbH hat dafür eigens ein gleichnamiges Internetportal entworfen.
       Zunächst aber zehrt Hamburg von der Vergangenheit: Im "Star-Club" im
       Stadtteil St. Pauli sind die Beatles bekannt geworden. Drei Jahrzehnte
       später erregten von Hamburg aus Bands wie Blumfeld, Tocotronic, Tomte und
       Kettcar Aufsehen. Auch die Hochzeit dieser "Hamburger Schule" sind vorbei -
       dafür hat die Politik den Pop entdeckt, oder vielmehr den Popstandort. Und
       wirbt seither mit dem angeblich so kreativen Klima der traditionsreichen
       Kaufmannsstadt.
       
       Der Singer/Songwriter Hannes Wittmer ist vor einem Jahr ist der aus der
       Provinz gekommen, im Gepäck ein abgebrochenes Sportstudium, seine Gitarre
       und den bestandenen Aufnahmetest für den Popkurs, eine Art Sommerakademie
       für Musiker. Ins Musikbusiness wollte er, von der eigenen Musik leben - das
       war damals nur der Traum eines Studenten, der bis dahin gelegentlich unter
       dem Namen seines Kindheitshelden aufgetreten war: Spaceman Spiff, der
       Weltraummann, das Alter Ego der Comicfigur Calvin. Daheim in Unterfranken
       sang er mal auf kleinen Bühnen, mal bei Freunden auf dem Dachboden. Einmal
       auch bei der Jugendwelle des Bayerischen Rundfunks. "Ich wollte nicht
       einfach Kommerzpop machen", sagt Wittmer, "nur damit ich davon leben kann."
       
       In Würzburg arbeitete er ehrenamtlich in einem Kulturzentrum mit,
       organisierte Konzerte. Musikmanagement interessierte ihn. Deshalb bewarb er
       sich an der Hamburger Musikhochschule um einen Platz im Kontaktstudiengang
       Popularmusik, dem "Popkurs". Zwei Mal drei Wochen lang können sich junge
       Musiker dort ausprobieren, lernen die Branche kennen und andere Musiker. So
       wie 1999 vier Musiker aus Hannover, Bremen, Karlsruhe und Berlin: Drei
       Jahre und einen Umzug nach Berlin später veröffentlichten sie ihre erste
       Platte - unter dem Namen "Wir sind Helden".
       
       Auch Seeed und Gisbert zu Knyphausen haben den Hamburger Popkurs
       mitgemacht. Auch sie sind nach Berlin gezogen: Weil es größer ist,
       vielfältiger, mit mehr Auftrittsmöglichkeiten. 5.707 Musiker waren im
       Januar 2009 in Berlin bei der Künstlersozialkasse gemeldet, in Hamburg
       waren es etwa halb so viele. Allerdings hat die Stadt auch nur halb so
       viele Einwohner. Auch Thees Uhlmann, der Kopf von Tomte, ging nach Berlin.
       "Ich kann hier einfach ganz anders leben", hat er einmal gesagt, "aber auch
       meine anderen Freunde, die Musik machen, haben hier viel mehr
       Möglichkeiten."
       
       Hannes Wittmer aber ist in Hamburg gelandet - und geblieben. "Hier habe ich
       zum ersten Mal gesagt: Ich bin Musiker. Und hab es mir geglaubt", sagt er.
       Selbstsicherheit, Kontakte und Vertrauen in seine Musik habe er dort
       gewonnen. Etwa 1.000 Mal hat er im vergangenen Jahr seine Platte
       "Bodenangst" verkauft. Das sei gut, sagt er - besonders, weil er bei keiner
       Plattenfirma unter Vertrag ist. Überleben kann mittlerweile. "Ich habe kein
       Auto, teure Cocktails trinke ich auch nicht." Ein studentisches Budget
       steht ihm dazu zur Verfügung. Sparen muss er, um sich zum Beispiel neue
       Ausrüstung zu kaufen.
       
       80 Auftritte hat er gehabt, seit er vor einem Jahr nach Hamburg kam:
       zwischen Berlin und Freiburg, Münster und Wien. Er bekommt Gagen, mahl
       höhere, mal ziemlich niedrige. Manchmal spielt er auch für lau, um
       bekannter zu werden. Geholfen habe ihm da der Mythos der Pophauptstadt:
       "Wenn dus dort schaffst, dann schaffst dus in ganz Deutschland", das habe
       er im Hinterkopf gehabt. "Wenn ich auf der Bühne als Musiker aus Hamburg
       angekündigt werde, treten mir die Leute gleich ganz anders gegenüber."
       
       Geholfen haben ihm aber auch die Kontakte: Felix Weigt hat er damals im
       Popkurs kennengelernt. 15-mal standen die beiden seither zusammen auf der
       Bühne. Weigt, 26, kommt aus Hamburg, wo er auch Kontrabass studiert hat. Er
       ist geblieben. Weggehen, nach Berlin, wo die Mieten niedriger und die Clubs
       zahlreicher sind? Darüber habe er nie nachgedacht. In Hamburg kennt Weigt
       viele Musiker, die Kontakte sind seine Auftrittsgarantie.
       
       Zum Überleben aber braucht er nach wie vor seine "musikalischen
       Gelegenheitsgeschäfte": So nennt er seinen Job als Barpianist in einem
       Fünf-Sterne-Hotel. Und so bezeichnet er auch Auftritte mit Fliege und
       "Schrumm, schrumm"-Musik: bei Empfängen, Diners oder Galas. Das Leben ist
       teuer in Hamburg, Proberäume sind es auch. Felix Weigt hatte Glück, er
       teilt sich einen mit Freunden. Mit Hannes Wittmer übt er in der WG-Küche.
       Trotzdem findet er, dass die Stadt genug Möglichkeiten bietet, sich als
       Musiker etwas dazuzuverdienen.
       
       Ähnlich urteilt auch Amke Block. Sie hat den Verband Unabhängiger
       Musikunternehmen mitgegründet. Seit einigen Jahren beobachtet sie,
       inwieweit die Stadt als Musikstandort funktioniert. "Berlin ist vielleicht
       Bafög-freundlicher", sagt sie, "aber die Verdienstmöglichkeiten sind in
       Hamburg besser." Sie unterstützt junge Künstler dabei, ihre Musik digital
       zu vermarkten und sitzt mit ihrer Firma im "Karostar", einer Art
       Gründeretage für die Musikbranche in Hamburg- St. Pauli.
       
       Rund 40 Unternehmer haben sich dort eingemietet. Denn die Stadt ist nicht
       nur für Künstler ein Sprungbrett, sondern auch für die Firmen, die sie auf
       die Bühnen und zu den Hörern bringen. Der Weggang des Branchenriesen
       Universal Anfang der Nullerjahre - nach Berlin - hat Kratzer hinterlassen,
       nicht nur am Hamburger Selbstbewusstsein.
       
       Deutlich wird das im so genannten Lokalisationskoeffizienten, den die
       Bundesagentur für Arbeit errechnet: Sie vergleicht den Anteil der
       Beschäftigten, die in Hamburg in der Musikwirtschaft arbeiten, mit dem
       entsprechenden Anteil in ganz Deutschland. Nimmt man die Musikwirtschaft
       insgesamt, landet Hamburg auf dem letzten Platz - hinter der Region
       Hannover, Stuttgart, München und Berlin. Analysiert man die Teilbereiche
       der Musikwirtschaft - Konzerte und Komposition, Musikinstrumente,
       Musikverlag und Musiktechnik - hat Hamburg bei den Verlagen die Nase vorn:
       Die Musikrechte vieler Bands, darunter auch von Tokyo Hotel, liegen in
       Hamburg. Berlin ereicht in keinem dieser Teilbereiche Platz eins.
       
       Die günstigen Mieten hätten sie in die Hauptstadt gelockt, erzählt
       Stephanie Crutchfield. In Hamburg machte sie nur einen Zwischenstopp. Aber
       auch die Hälfte ihrer Mannheimer Studienkollegen sei mittlerweile nach
       Berlin gezogen. Nach dem Bachelor an der Akademie für Popmusik in Mannheim
       wagte die 25-Jährige einen zweiten Versuch in Richtung Musikerkarriere. Sie
       hatte Gesang studiert, viel Kredit in der Branche gesammelt. In Hamburg
       hoffte sie Musiker für ein gemeinsames Projekt zu finden. Sie hat viele
       Leute kennengelernt, in Mannheim und in Hamburg. Aber das Vertrauen in ihre
       Musik, das kam auch in der angeblichen Pophauptstadt nicht. "Ich war mir
       sehr unsicher. Ich wusste nicht, was ich will", sagt Crutchfield. Die Musik
       will sie erst mal nur als Hobby weitermachen und ab dem kommenden Herbst in
       Berlin studieren: Kommunikationsdesign.
       
       "Berlin klingt ein bisschen schmutziger", sagt Amke Block und will das
       nicht negativ verstanden wissen, sondern auf den Sound der Stadt bezogen.
       Sie findet, dass sich Hamburg als Standort für die Musikwirtschaft
       behaupte: "Es gibt hier einen Pool von Firmen, die sehr seriös arbeiten und
       die sich hier gehalten haben". Sie erinnert an die Musikverlage und sieht
       darin die kaufmännische Tradition fortgeführt.
       
       Zwischen 2003 und 2007 seien die Beschäftigungsverhältnisse in der
       Musikwirtschaft gestiegen, stellen die Autoren der Musikstudie fest, die
       die Hamburger Sparkasse hat erstellen lassen. Damit habe der Rang Hamburgs
       als Musikstandort wieder zugenommen. Das sieht auch Andrea Rothaug so,
       Geschäftsführerin von "Rock City", einem Verein von Musikschaffenden für
       Musikschaffende: "Hamburg rappelt sich gerade wieder ganz gut an Berlin
       vorbei", sagt sie. Und verweist etwa auf das "Reeperbahnfestival", die
       ihrer Meinung nach dichte Clubszene - oder auch die Spielstättenförderung
       der Stadt: Insgesamt 150.000 Euro stellt die Kulturbehörde aktuell als
       "Live Concert Account" zur Verfügung, seit längerem schon werden
       Konzertclubs mit insgesamt 56.000 Euro für ihr Programm bezuschusst.
       
       Unterstützung für die Musiker selbst aber kommt meist aus privater Hand,
       wie etwa von Rock City: Der Verein hilft jungen Musikern - egal, ob es um
       die Steuererklärung geht oder um einen Tourbus. Zum zweiten Mal verlieh man
       gerade den "Krach und Getöse"-Preis: Zwölf Monate lang bekommen Gewinner
       finanzielle Unterstützung, arbeiten mit erfahrenen Musikern, Studios oder
       Agenturen zusammen und erhalten Hilfe etwa beim Merchandising. Über 100
       Bewerbungen sind eingegangen. Hannes Wittmer ist einer der fünf Gewinner.
       
       Angst vor einer Bauchlandung hat der Weltraummann keine: "Wo anders bin ich
       wer gewesen", so endet sein Song, "hier werd ich irgendjemand sein."
       
       25 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Veronika Wawatschek
       
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