# taz.de -- Rücktritt von Roland Koch: Lieblingsrolle Bösewicht
       
       > Wie es Roland Koch ziemlich weit nach oben geschafft hat - und warum er
       > jetzt aufhören muss.
       
 (IMG) Bild: Damals siegte seine CDU und er wurde Ministerpräsident: Koch in einem Stimmlokal seines Heimatortes Eschborn am Tag der Hessenwahl 1999.
       
       Jetzt muss er schon wieder Rekorde brechen: der erste Ministerpräsident von
       Hessen, der so freiwillig abtritt. Der am genauesten geplante Abschied. Die
       Nachricht, die am sorgfältigsten geheim gehalten wurde. Roland Koch will
       sogar am Ende der Beste sein. Er muss.
       
       Dabei hat er gerade das Scheitern eingestehen müssen, jedenfalls was sein
       größtes Ziel angeht. Das mächtigste, höchste, schwierigste Amt in seiner
       Lieblingsbeschäftigung, der Politik, das war doch sein Traum: Kanzler. Das
       Amt, für das ihn sogar Helmut Kohl empfohlen hat.
       
       Doch jetzt ist Kohl achtzig, und Koch leuchten in Wiesbaden die
       Schweinwerfer merkwürdig auf den Scheitel, das Gesicht liegt im
       Halbschatten. Er sagt, dass Schluss ist mit der Politik - und spricht von
       "großer Zufriedenheit", mit der er von seinen Ämtern zurücktrete, und von
       einer Zukunft in der Wirtschaft, mit 52 Jahren. Keine gesundheitlichen
       Gründe? Keine ausgefuchste Vorbereitung auf den Sprung nach Berlin? Kein
       Geheimplan? Darf man ihm das glauben?
       
       Man darf. Denn wenn man sich die Geschichte von Roland Koch ansieht, kann
       man beides verstehen. Warum er jetzt aufhört. Und warum ihm keiner glaubt,
       dass er es einfach so tut.
       
       Roland Koch kommt aus Eschborn bei Frankfurt. 1968 ist er zehn Jahre alt.
       Die CDU ist nicht gerade Mainstream unter den Jugendlichen. Die meisten
       tragen lange Haare und Strickpullis, Roland trägt als Teenager Schlips. Es
       macht ihm nichts aus, der Sonderling zu sein, der Picklige und der Böse.
       Sein Vater Karl-Heinz ist in der CDU, Roland gründet einen Ortsverband der
       Jungen Union. Viele seiner Generation entscheiden sich für einen Weg, der
       sich von dem ihrer Eltern unterscheidet. Koch nicht. Er will es nicht
       anders machen als der Vater. Nur besser.
       
       Dass er ein so schmerzfreier Widerborst ist, imponiert vielen. Er wird
       Klassensprecher, steigt in der Jungen Union auf. In der Hessen-CDU tut er
       sich mit anderen Halbstarken zur Tankstellen-Connection zusammen, auf
       Bundesebene tritt er in den Andenpakt ein, beides Männerbünde auf dem Weg
       nach oben. Die Erfolge motivieren ihn.
       
       Kreisvorsitzender, Fraktionsvorsitzender, Landesvorsitzender - er lebt sich
       in die Politik hinein. Auf einem Parteitag fällt er Helmut Kohl auf, der
       ihn prompt zu sich einlädt.
       
       Erstaunlich, dass so einer heute behauptet, er habe darauf geachtet, dass
       Mensch und Amt nicht miteinander verwachsen.
       
       1999 kandidiert er als Ministerpräsident. Im Bund und in Hessen regiert
       Rot-Grün. Die CDU liegt weit hinten in den Umfragen, aber Koch will
       gewinnen. Er muss. Er setzt auf eine Kampagne gegen die Reform der
       Staatsbürgerschaft. Auf Hetze gegen Einwanderer. Und gewinnt. Koch wird
       Ministerpräsident, mischt an der CDU-Spitze mit, formt die ohnehin
       verschworene CDU in Hessen zu einem Kampfverband.
       
       Umso merkwürdiger, dass jemand in so einer Blutsbrüderschaft nichts geahnt
       haben will von den schwarzen Kassen, die im Jahr 2000 auftauchen. Hessens
       CDU hat sich jahrelang mit Millionen von Geheimkonten in der Schweiz
       versorgt, das Geld für die Kampagnen entstammte dem illegalen Netz. Die
       Republik ist empört. Doch mit einem Mainstream umzugehen, der gegen ihn
       schimpft, ist Kochs Spezialität. Er macht sich zum Chef einer
       "brutalstmöglichen" Aufklärung - und überlebt. Bei der nächsten
       Landtagswahl holt er sogar die absolute Mehrheit.
       
       Nun arbeiten sie in der Staatskanzlei systematisch daran, ihn für Höheres
       zu empfehlen. Immer wichtiger wird Regierungssprecher Dirk Metz. Der
       dosiert Kochs Worte, sortiert dessen Auftritte, eicht die Strategien. In
       Interviews sitzt Metz neben Koch und schickt ihm Tipps per SMS; wäre es
       technisch möglich gewesen, hätte der Spindoktor sich vermutlich gern direkt
       ins Hirn des Regierungschefs eingeloggt.
       
       Aber in der Landeshauptstadt Wiesbaden unterschätzen sie Angela Merkel.
       "Die Oberschwester" wird sie abschätzig genannt. Chefarzt soll ein anderer
       werden. Aber Merkel spinnt in Berlin ihre Netzwerke. Sie holt sich den
       Fraktionsvorsitz, die Spitzenkandidatur, die Kanzlerschaft.
       
       Nun versucht Koch so eng wie möglich mit ihr zusammenzuarbeiten. Natürlich
       misstraut sie ihm weiter. Vielleicht hat er seinen Traum zurückgestellt,
       aufgegeben sicher nicht. Jemandem, der so hart an seinem Aufstieg
       gearbeitet hat, kauft man nicht ab, ohne Hintergedanken zu handeln, die
       wiederum auf den Aufstieg zielen.
       
       In seiner zweiten Amtszeit als Ministerpräsident möchte Koch endlich auch
       beliebt werden. Er zeigt sich gern mit seinem Freund, dem Dalai Lama. Metz
       tunt ihn auf weich und landesväterlich. Koch setzt sich für Zirkusbären
       ein, sogar für Einwandererkinder.
       
       Vor der Landtagswahl 2008 sind ihm die Umfragen nicht gut genug.
       Strategiewechsel. Als ein Rentner in der Münchner U-Bahn von zwei Männern
       mit Migrationshintergrund überfallen wird, macht Koch das Thema ganz groß.
       "Wir haben zu viele junge kriminelle Ausländer!", facht er in der Bild eine
       neue Kampagne an. Er handelt nicht aus Empörung oder Überzeugung heraus.
       Sondern aus Berechnung. Die Ressentiments gegen Einwanderer verbindet er
       mit schrillen Warnungen vor einer diffusen roten Gefahr: "Ypsilanti,
       Al-Wazir und die Kommunisten stoppen", lautet die CDU-Parole. Die Kampagne
       misslingt. Am Ende retten ihn nur 4.000 Stimmen in ein Machtpatt.
       
       Aber er ist wieder in seiner Lieblingsposition. Er kann das schaffen, was
       ihm keiner zutraut. Koch und seine Leute planen generalstabsmäßig. Sie
       organisieren, mobilisieren und machen Druck. Die Fehler begeht die SPD.
       Ypsilanti stürzt. Bei der Neuwahl schlüpft Koch in eine neue Rolle. Jetzt
       ist er der verlässliche Kapitän in der Wirtschaftskrise.
       
       Die CDU rechnet mit einem Klasseergebnis, einem Rekord vielleicht. Koch
       darf wieder träumen. Aber die Wähler wollen ihn nicht. Gegen eine
       aufgeriebene SPD holt er mickrige 37 Prozent und kann sich nur durch ein
       gutes FDP-Ergebnis im Amt halten.
       
       Immer wieder tauchen Spekulationen auf, Koch werde irgendwann doch
       Finanzminister bei Merkel. Aber wieso sollte sie, die ewig Misstrauische,
       das tun? Ihm gerade jetzt den Posten geben, der wichtiger und wichtiger
       wird? Auf einem Parteitag nennt sie ihn einmal versehentlich "Roland Kotz".
       
       Als Kochs Weggefährte Franz Josef Jung im Herbst als Verteidigungsminister
       zurücktreten muss, kommt der Moment, in dem endgültig klar wird, wie
       mächtig Merkel geworden ist. Ausgerechnet in seinem Kampfverband hat sie
       einen eigenen Günstling aufgebaut: Den Hessenplatz im Kabinett bekommt die
       32 Jahre alte Kristina Schröder. Ihr Aufstieg und ihre Nähe zu Angela
       Merkel zeigen, dass sich aufstrebende Politiker schon länger nicht mehr an
       Koch hängen.
       
       Vor ein paar Wochen hat er verlangt, auch bei Bildung und Kinderbetreuung
       zu sparen. Genau bei den Merkel-Themen. Die Kanzlerin machte klar, dass sie
       die Prioritäten festlegt. Und Kristina Schröder widersprach ihm rotzfrech,
       ausgerechnet die Frau aus seinem eigenen Landesverband.
       
       Man muss kein so geübter Kalkulierer wie Koch sein, um zu dem Ergebnis zu
       gelangen, dass der Junge aus Eschborn am Ende seiner politischen
       Möglichkeiten angekommen ist. Welche Höchstleistung sollte er denn bitte
       noch hinbekommen? Was hätte er noch werden können? Langjährigster
       hessischer Ministerpräsident? Dienstältester Widerpart der Kanzlerin?
       
       Roland Koch will einen anderen Rekord aufstellen. Er will noch einmal das
       schaffen, was ihm keiner zugetraut hat. Am Ende ist das der Ausstieg aus
       der Politik. Und der Abschied vom Kanzlertraum.
       
       26 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Löwisch
       
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