# taz.de -- Montagsinterview: Tommy Spree, Anti-Kriegs-Museums: "Frieden ist ein menschliches Bedürfnis"
       
       > Wenn Tommy Spree im Luftschutzkeller seines Weddinger Anti-Kriegs-Museums
       > steht und von den Schrecken des Bombenkriegs erzählt, ist der
       > pensionierte Lehrer nicht zu stoppen: Der Weltfrieden ist das Thema
       > seines Lebens.
       
 (IMG) Bild: Das Weddinger Anti-Kriegs-Museum hat Tommy Spree von seinem Großvater geerbt.
       
       taz: Herr Spree, haben Sie eine Mission? 
       
       Tommy Spree: Ich denke, wenn man politisch bewusst lebt, sollte man sich
       auch für eine Idee einsetzen. In diesem Fall: für die Idee des
       Weltfriedens. Und dafür lohnt es, sich einzubringen.
       
       Gibt es keinen Krieg, denen Sie gerecht oder gerechtfertigt nennen würden? 
       
       Krieg ist immer ein Verbrechen, vor allem an Zivilisten - egal, wie man ihn
       definieren will. Ich gebe zu, dass man über UN-Soldaten versuchen sollte,
       Völkermord zu verhindern. Auch haben die Amerikaner und Russen sicher recht
       getan, Hitlerdeutschland zu besiegen. Wenn es aber unverhältnismäßig ist,
       was die Briten mit Dresden gemacht haben oder wie man die Menschen aus dem
       heutigen Polen vertrieben hat, dann würde ich mit Albert Schweitzer sagen:
       Solange auch nur ein Mensch für eine Idee geopfert wird, kann man diese
       Idee nicht mehr human und moralisch nennen. Das heißt: Die Menschen müssen
       lernen, politische Konflikte ohne Krieg zu lösen. Und das werden sie auch.
       
       Davon sind wir weit entfernt. Demokratie und Menschenrechte werden immer
       wieder herangezogen, um zu begründen, dass man Krieg führen muss, etwa in
       Afghanistan. 
       
       Das ist ein alter Trick der Herrschenden. Man prägt ein Feindbild wie die
       Taliban und führt dann einen "gerechten Krieg". Aber die Menschen in
       Afghanistan können mit unserer Demokratie nicht allzu viel anfangen. Mein
       Großvater sagte mir einmal: "Es sind die alten, weißhaarigen Männer, die
       die Kriege erklären. Aber sie gehen nicht hin, nein, sie schicken die
       18-Jährigen. Die Jungen kann man gut manipulieren." Nehmen Sie die
       Bombardierungen im Irak. Wer wird da getroffen? Frauen und Kinder, alte
       Menschen in ihren Dörfern, die eigentlich mit dem Krieg gar nichts zu tun
       haben. Insofern ist Krieg immer ein Verbrechen. Aber ich denke auch, der
       Mensch wird eines Tages lernen, was Krieg bedeutet. Dann kann keiner mehr
       kommen und sagen: Hier haben wir den gerechten Krieg.
       
       Aber obwohl Kriegführen in Deutschland wieder alltäglich geworden ist, gibt
       es kaum Proteste. Zu den Ostermärschen etwa gehen immer weniger Menschen.
       Stimmt Sie das nicht nachdenklich? 
       
       Das haben wir immer wieder gehabt. Aber die Geschichte der Friedensbewegung
       ist wellenförmig. Das kommt wieder. Während des Irakkriegs waren es gerade
       Schüler, die protestiert haben - wir Lehrer haben nur mitgezogen. Das fand
       ich großartig. Es wird immer wieder Punkte geben, wo junge Menschen
       rebellieren und auf die Straße gehen.
       
       Noch mal zum Afghanistankrieg: Der Bundespräsident ist zurückgetreten wegen
       der Kritik an seinem Satz, die Bundeswehr vertrete mit ihren
       Auslandseinsätzen auch wirtschaftliche Interessen Deutschlands. Hat er
       nicht einfach nur die Wahrheit gesagt? 
       
       Da gebe ich Ihnen völlig recht. Es gehört zur Nato-Doktrin, die Ressourcen
       der Welt zu verteidigen. Sprich: Theoretisch können Bundeswehrsoldaten auch
       in Saudi-Arabien einmarschieren, um sich das Öl zu sichern. Was ist das für
       eine Doktrin? Die Nato kann doch nicht über arabisches Öl verfügen! Und der
       Westen ist ja auch überfordert, überall Einfluss nehmen zu wollen. In
       Afghanistan wissen alle Militärexperten, dass dieser Krieg nicht zu
       gewinnen ist. Aber dahinter stecken eben wirtschaftliche Interessen.
       Afghanistan ist strategisch sehr bedeutsam für die Verbindung zu Asien.
       
       Was wäre denn die Lösung? Bundeswehr abschaffen, alle Armeen abschaffen? 
       
       Lesen Sie das Buch meines Großvaters Ernst Friedrich "Krieg dem Kriege". Da
       schreibt er 1924: "Wenn ihr den Krieg bekämpfen wollt, müsst ihr den
       Kapitalismus abschaffen." Ich hatte neulich einen Wirtschaftsfachmann aus
       den USA im Museum, der sagte: "Amerika braucht alle zehn Jahre einen Krieg,
       damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt."
       
       Aber die Bundeswehr macht doch auch gute Sachen: In Afghanistan baut sie
       Schulen, bohrt Brunnen. 
       
       Die Bundeswehr hat doch keine Maurertätigkeiten gelernt.
       
       Sie geht aber hierzulande gerne in Schulen und erzählt über ihre tolle
       Aufbauarbeit in Afghanistan … 
       
       … und genau da gibts jetzt ne Revolte, in Lichtenberg und in Steglitz. Da
       haben die Schulen gesagt: Was sucht das Militär eigentlich hier?
       Beziehungsweise: Wenn einer vom Militär in einer Schule ist, dann sollte
       auch einer von der Friedensbewegung dabei sein, dass man beide Seiten hören
       kann. Ich diskutiere hier im Museum auch mit Offizieren. Die sagen: "Wir
       gehen in die Schulen, aber wir machen keine Werbung." Ich sage dann: "Das
       könnt ihr mir nicht erzählen."
       
       Die Bundeswehr kommt hierher, ins Anti-Kriegs-Museum? 
       
       Ja, die kommen einmal im Monat aus Strausberg, von der Akademie für
       Information und Kommunikation. Dort werden Jugendoffiziere ausgebildet, die
       in die Schulen gehen. Und die sollen vorher, wahrscheinlich rhetorisch ein
       bisschen geschult, mit uns Lehrern und Schulleitern hier diskutieren üben.
       
       Die Bundeswehr sieht sich ja selbst auch als … 
       
       … Friedensbewegung …
       
       … demokratische Armee … 
       
       … Bürger in Uniform …
       
       … und betont immer, dass ein Soldat den Befehl verweigern kann oder sogar
       muss, wenn der gegen Völker- oder Menschenrechte verstößt. Beruhigt Sie das
       nicht? 
       
       Darüber haben wir mit ihnen auch diskutiert. Eine Frau von uns hat zu einem
       Soldaten gesagt: "Hör mal, Junge, wenn du im Häuserkampf bist und es wird
       geschossen, dann hast du keine Zeit, mit deinem Offizier über
       Menschenrechte zu diskutieren. Dann schießt du, und wenn du hinterher
       gucken gehst, dann liegt da vielleicht eine Frau mit ihren drei Kindern,
       die du erschossen hast. Und damit musst du fertig werden, dein ganzes Leben
       lang."
       
       Sie wurden 1940 in London geboren. Haben Sie eigene Erinnerungen an den
       Krieg? 
       
       Ich werde nie vergessen, wie wir runter mussten in den shelter, den
       Luftschutzraum. Das war aber nur ein Stück Wellblech in den Gärten hinter
       den Mietshäusern, wo wir Emigranten lebten. Da hat man dann seinen Hocker
       hingestellt, mit den Füßen stand man im Schlamm. Aber einmal sind wir nicht
       runtergegangen. Ich muss vier Jahre alt gewesen sein, mein Vater nahm mich
       auf den Arm und schaute mit mir aus dem Küchenfenster. In diesem Augenblick
       sah ich eine feuerrote Kugel mit großer Geschwindigkeit auf unser Fenster
       zufliegen. Das Ding krachte ins Haus hinter uns, das zu brennen begann.
       Unser Haus bekam einen Riss. Vor ein paar Jahren war ich einmal mit meinen
       Söhnen dort und konnte ihnen den Riss noch zeigen. Diese rote Kugel war
       eine V2.
       
       Sie sind 1952 nach Berlin zurückgekehrt. Wie war das? 
       
       Ich war Schüler auf der Insel Scharfenberg. Meine Lehrer waren jung und
       engagiert, ich kam aus Großbritannien und konnte kaum Deutsch. Da kam einer
       auf mich zu und sagte: Tommy, bring uns Englisch bei, wir bringen dir
       Deutsch bei. Ich habe also einen Nachhilfezirkel aufgemacht. Und mein
       Klassenlehrer, der Geschichte unterrichtet hat, war eine wunderbare
       Persönlichkeit. Da wusste ich schon mit 16, dass ich auch Lehrer werden
       wollte.
       
       Ihr Großvater gründete 1925 das Anti-Kriegs-Museum, 1933 floh er vor den
       Nazis. Welchen Einfluss hatte seine Geschichte auf Ihren Lebensweg? 
       
       Meine Familie war links. Ernst Friedrich, mein Großvater, stand der KPD
       nahe. Als Spartakist hat er den Kriegsdienst verweigert und dafür im
       Gefängnis gesessen, andere Spartakisten befreiten ihn. Beim
       Spartakus-Aufstand im Januar 1919 hat er dann im Zeitungsviertel
       mitgekämpft, man nannte ihn Barrikaden-Friedrich. Großmutter verband die
       Verletzten. Später sollte er die "Junge Garde" machen, die Zeitung der
       Freien Sozialistischen Jugend. Er entzweite sich dann aber mit den
       Kommunisten, weil die so moskauabhängig waren. Mein Großvater war
       Anarchist, in Anlehnung an Leo Tolstoi meinte er: Der Staat bedeutet
       Militär, und Militär bedeutet Krieg. Auch Parteien lehnte er ab, er fand
       sie so "unjugendlich". Später emigrierte er nach Frankreich, wo ich ihn
       1956 besucht und kennen gelernt habe. Dort lebte er als recht bürgerlicher
       Sozialdemokrat.
       
       Und Ihre Eltern? 
       
       Mein Vater hatte sich in Ernst Friedrichs Tochter verliebt, im Museum
       mitgearbeitet und auch oft im Gefängnis gesessen. Im Londoner Exil wurde er
       dann Sozialdemokrat, wir verteilten treppauf, treppab Zettel für die Labour
       Party. Anlässlich des Geburtstags meines Vaters am 9. März 1961 bin ich in
       die SPD eingetreten. Im kommenden Jahr werden es 50 Jahre, Abteilung grünes
       Dreieck, Wedding.
       
       Passt die SPD überhaupt noch zu Ihnen? Seit dem Kosovokrieg 1999 ist sie
       doch Kriegspartei. 
       
       Ich bin aber auch ein großer Anhänger von Willy Brandt. Der verstand die
       SPD immer als eine Partei, die sich für den Frieden einsetzt. Und am Anfang
       der Friedensbewegung, 1981 im Bonner Hofgarten, da war Willy Brandt, da
       waren aber auch Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder. Natürlich arbeite
       ich mit denen in der SPD zusammen, die auch friedensbewegt sind. Unser
       Museum hat von der SPD die meiste Unterstützung bekommen, nicht von der
       angeblichen Anti-Kriegs-Partei Linke - von denen besucht uns kaum jemand.
       
       A propos Hofgarten: War das für Sie der Anstoß zur Neugründung des Museums
       im Jahr 1982? 
       
       Ja. Aber auch, dass die Berliner SPD 1981 auf einem Landesparteitag
       beschloss, das Anti-Kriegs-Museum von Ernst Friedrich wieder zu gründen.
       Gleichzeitig kam ein FDPler zu meiner Mutter und sagte, er wolle das
       Anti-Kriegs-Museum wiederbeleben und es leiten. Eine christliche
       Friedenskonferenz schlug vor, man müsse vielleicht das Spandauer
       Kriegsgefängnis dafür nehmen, wo Rudolf Heß saß. Da haben wir, eine Gruppe
       von vier Lehrern, gesagt: Dieses Museum muss ein Kind der Friedensbewegung
       sein, parteiunabhängig. Gut, ich bin Sozialdemokrat, aber eben ein linker.
       
       Arbeiten Sie im Museum viel mit Schülergruppen, weil Sie selber Lehrer
       waren? 
       
       Ja. Es kann übrigens durchaus passieren, dass ein ehemaliger Kollege anruft
       und sagt: "Tommy, ich habe da zwei Neonazis in der Klasse, ich muss mal
       wieder mit denen ins Anti-Kriegs-Museum." Mancher Kollege kommt immer
       wieder.
       
       Beobachteten Sie über die Jahre eine Veränderung in den Reaktionen der
       Jugendlichen? 
       
       Es gibt da einen Dia-Vortrag, den ich 1981 für eine Versammlung der Liga
       für Menschenrechte vorbereitet habe. Es ist einfach die Lebensgeschichte
       meines Großvaters. Diesen Vortrag habe ich bis heute unzählige Male
       gehalten, und es ist schön zu erleben, wie sensibel junge Menschen auf die
       Thematik Gewalt und Krieg reagieren. Das kann man im Gästebuch nachlesen.
       Manchmal gibt einem am Ende ein Schüler die Hand und sagt: "War toll hier,
       hat uns gefallen." Ein solches Feedback ist wunderbar.
       
       Die Schüler lassen sich also begeistern? 
       
       Mir kann keiner sagen, unsere Jugendlichen seien politisch nicht
       interessiert. Ich sage ihnen aber auch immer: Lest mal eine Zeitung, schaut
       mal eine politische Sendung an. Schaut euch an, wie die DDR-Bevölkerung
       gesagt hat: Wir sind das Volk. Ihr könntet eure eigene Partei gründen, ihr
       könnt Transparente malen und fordern "Weg mit Hartz IV". Ihr dürft das.
       Nutzt diese Chance.
       
       Ihr Museum fokussiert stark auf die Weltkriege. Wäre es nicht sinnvoller,
       den Jugendlichen Gründe und Folgen gegenwärtiger Kriege zu vermitteln? 
       
       Das ist teilweise richtig. Deswegen zeigen wir eine Weltkarte, auf der die
       aktuellen Konflikte und Kriege dargestellt sind. Wir zeigen auch
       Sonderausstellungen, letztens über Waffen aus abgereichertem Uran, die
       gegen die Genfer Konventionen verstoßen. Aber wir merken auch, wie wichtig
       in Deutschland die Reflexion auf die Weltkriege ist. Und weil das Museum ja
       auch vor diesem Hintergrund entstanden ist, sind wir in der Tradition
       geblieben. Außerdem bringen uns die Berliner immer noch Exponate: ein Foto,
       das Tagebuch des Sohnes, der nicht aus dem Krieg zurückkam, zu Kochtöpfen
       umfunktionierte Stahlhelme. Unsere Besucher sollen aus der Vergangenheit
       lernen und ins Gespräch kommen. Wir haben hier Diskussionen organisiert mit
       Palästinensern und Israelis, Polizisten und Autonomen. Mit Bosniern und
       Serben, die haben sich fast gekloppt. Man trägt das an uns heran: Wir
       wollen uns im Anti-Kriegs-Museum treffen.
       
       Wäre Ihnen wichtig, dass das Museum in der Familie bleibt? 
       
       Nein, es geht doch um die Sache. Man muss aber dazu sagen, dass von diesem
       Job niemand leben kann. Die Familie hat hier immer schon eine Menge Geld
       hineingesteckt. Wir haben auch eine große Fluktuation in der Gruppe, da hat
       sich ein Nachfolger noch nicht herauskristallisiert. Vielleicht in ein paar
       Jahren.
       
       Gab es irgendwann mal einen Moment, in dem Sie an Ihrem Pazifismus
       gezweifelt haben? 
       
       Nein, das kann ich nicht behaupten. Ich denke, das liegt daran, dass
       Frieden ein menschliches Bedürfnis ist.
       
       14 Jun 2010
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
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 (DIR) Besuch im Anti-Kriegs-Museum: Von Grenzen und Gefahren
       
       Das Berliner Anti-Kriegs-Museum, vor 40 Jahren gegründet, wurzelt in der
       Idee des Pazifismus. Wir haben mit seinem Gründer über den Krieg
       gesprochen.