# taz.de -- Kommentar Parlamentswahlen in Belgien: Noch ist Belgien nicht verloren
       
       > Belgien scheint vor einer Spaltung zu stehen und keiner regt sich auf.
       > Das ist völlig angebracht, denn das Land funktioniert auch ohne stabile
       > Regierung.
       
       Wen kümmerts? Belgien scheint vor der Spaltung zu stehen - und keiner regt
       sich auf. Völlig gelassen nehmen Flamen und Wallonen zur Kenntnis, dass die
       flämischen Separatisten bei den Wahlen am Sonntag einen Erdrutschsieg
       verbuchen konnten. Es stört auch niemanden, dass mit einer neuen Regierung
       - wenn überhaupt - frühestens in einigen Monaten zu rechnen ist. Ähnlich
       ungerührt reagierten auch die Finanzmärkte. Die Kurse für belgische
       Staatsanleihen blieben am Montag fast unverändert, obwohl ein neuer
       Regierungschef bisher nicht in Sicht ist.
       
       Die Gelassenheit der Finanzmärkte und der Belgier ist durchaus angebracht,
       denn das Land funktioniert auch ohne stabile Regierung. Die Einheit
       garantiert der König - und ansonsten ist der Föderalismus längst so weit
       gediehen, dass Wallonen und Flamen meist separat agieren können. Zudem
       haben die Belgier gezeigt, dass sie selbst schwerste Finanzkrisen
       bewältigen, obwohl sie seit Jahren weitgehend führungslos sind: Punktuell
       bilden sich im nationalen Parlament dann pragmatische Allianzen, um die
       nötigen Gesetze durchzuwinken.
       
       Die jetzige Wahl stellt dennoch eine Zäsur dar, weil die Fronten nun ganz
       eindeutig sind. Die Flamen entschieden sich mehrheitlich für konservative
       Separatisten, während die Wallonen vor allem die Sozialisten wählten, die
       ein einheitliches Belgien wollen.
       
       Diese sehr klaren Fronten könnten sogar eine Hilfe sein, um nach Jahren der
       Staatskrise doch noch zu einem Kompromiss zu finden. Von ihren Wählern wird
       beiden Parteien zugetraut, die Interessen ihrer Klientel maximal zu wahren
       - weswegen Zugeständnisse auch nicht als Schwäche ausgelegt würden, sondern
       als die Grenze des Verhandelbaren. Der Wahlausgang sieht wie eine Spaltung
       aus. Aber vielleicht ist Belgien auf dem Weg zu einem neuen Konsens.
       
       15 Jun 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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