# taz.de -- Arme Discounterkunden: Kasse dank Masse
       
       > Die besten Discounterkunden sind die Armen. Sogar der Hartz-IV-Satz
       > orientiert sich an Aldi-Preisen. Und die Politik spielt mit. Die sozialen
       > Kürzungen sichern den Discountern ihr Stammklientel.
       
 (IMG) Bild: Shoppen für Arme.
       
       Ein Gewinner der Kürzungen im Sozialbereich steht fest: Es sind die
       Lebensmitteldiscounter. Je weniger Geld die Leute zur Verfügung haben und
       je mehr Menschen Angst haben, abzusteigen, desto sicherer kaufen sie bei
       Lidl, Aldi und Co. Einer Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung GfK
       zufolge kauft die Hälfte der Haushalte in Deutschland schon 65 Prozent
       ihres Bedarfs bei Discountern. Mit ihrem Geld alimentieren sie jene
       Unternehmen, die durch aggressive Geschäftspolitik ihren Angestellten,
       ihren Zulieferern und ihren Mitkonkurrenten gegenüber umgekehrt wieder
       Armut schaffen. Und die Politik spielt mit.
       
       Weniger Geld im Portemonnaie der sozial Abhängigen bedeutet, dass weniger
       Geld zum Ausgeben da ist. Das Wenige aber wird nun um so dringender zum
       Lebensmittelkauf gebraucht. Aldi, Lidl, Norma, Penny, Netto sind immer noch
       die Billigsten.
       
       "Made in Germany" ist schon vieles. Eines davon: die Discounter. Sie
       schreiben "deutsche Erfolgsgeschichte", meinen die Marktforscher der GfK.
       Sogar mit einer "Erfolgsformel" werden sie geadelt. Die lautet:
       "Niedrigster Preis x größte Menge + höchste Effizienz = optimale
       Wertschöpfung". Gab es 1970 noch 165.000
       Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte, sind es heute 50.000. Davon sind 16.000
       Discounter. Jeder Deutsche kann in zehn Autominuten einen erreichen. Die
       Discounter erwirtschaften 43 Prozent des Umsatzes im gesamten
       Lebensmittelbereich.
       
       Seit etwa drei Jahren aber haben Discounter ein Problem. Ihre Zuwachszahlen
       steigen nicht mehr rasant. Sie stoßen, so vermuten GfK und die
       Unternehmensberatung Accenture in dem 2008 herausgegebenen Dossier
       "Discounter am Scheideweg", an ihre Grenzen. Nun, nachdem Deutschland voll
       discounterisiert ist, verspricht "Masse statt Klasse" keinen Erfolg mehr.
       
       Um weiter Profitsteigerungen zu erreichen, müssten - so die Marktforscher -
       neue Zielgruppen erschlossen werden. Auf der Suche danach sind Aldi, Lidl
       und Co. noch nicht recht weitergekommen. Denn dafür müssten sich die
       Discounter ausdifferenzieren, mehr Service, bessere Qualität, mehr Ästhetik
       bieten. Das aber widerspricht der Erfolgsformel. Kommen, so die Vermutung,
       die Kürzungen im sozialen Bereich, da gerade recht? Sie sichern den
       Discountern nicht nur ihre Stammklientel. Sie vergrößern sie und sorgen
       dafür, dass die Schicht der Armen dauerhaft bleibt.
       
       Armut, Armutskultur und der Umgang der Politik mit Armut sind maßgeblich
       durch die Discounter mitgestaltet. Die Regelsätze für Hartz IV - für einen
       Erwachsenen liegt der Satz bei 359 Euro -, werden auf Grundlage einer
       Verbraucherstichprobe des Statistischen Bundesamtes ermittelt, bei der
       50.000 Einpersonenhaushalte befragt werden, die von ihrem Einkommen her zu
       den unteren 20 Prozent der Bevölkerung gehören. Diese haben in der Regel
       ein discounteraffines Konsumverhalten. Gefragt werden die Leute, wie viel
       sie im Monat etwa für Lebensmittel, Zigaretten oder Kosmetik ausgeben. Ein
       prozentualer Anteil dieser Summen wird der Berechnung von Hartz IV zugrunde
       gelegt.
       
       Damit gibt es für Menschen, die von Transferleistungen abhängig sind, eine
       doppelte Bindung an die Discounter. Die Ausgangssummen haben
       Discounterniveau. Weil davon noch etwas abgezogen wird, bleibt erst recht
       nur der billigste Anbieter. Und es gibt deshalb eine Komplizenschaft
       zwischen der Politik und den Unternehmen der reichsten Deutschen. Die
       Aldi-Brüder blicken auf einen jährlichen Umsatz von etwa 27 Milliarden
       Euro, Dieter Schwarz von der Lidl-Gruppe kommt auf 13,3 Milliarden Euro.
       
       Die Lebensmittelbranche in Deutschland ist gekennzeichnet durch einen
       aggressiven, von den Discountern angetriebenen Preiskampf. Auf der Strecke
       geblieben sind die kleinen Lebensmittelläden, die auch eine soziale
       Funktion hatten. Forschungen über den Verbleib derer, die ihre Läden
       aufgeben mussten, liegen nicht vor. Die Verödung der Dörfer allerdings hat
       mittlerweile solche Ausmaße angenommen, dass mit öffentlichen Geldern die
       Reetablierung von Tante-Emma-Läden gefördert wird.
       
       Die Arbeitsbedingungen bei den Discountern sind ebenfalls ein Streitpunkt.
       Es gibt kaum Vollzeitstellen. Viele Beschäftigte sind Hartz-IV-Aufstocker
       oder 400-Euro-Jobber. Die Produzenten von Lebensmitteln wiederum müssen mit
       am Limit kalkulierten Profitmargen, heruntergehandelt durch die
       Großabnehmer, produzieren. In regelmäßigen Abständen wird dies am Protest
       der Milchbauern deutlich.
       
       Um sich neue Zielgruppen zu erschließen, schlagen die
       Marktforschungsinstitute den Discountern vor, sich zu wandeln. Weg vom
       Schmuddelimage, hin zu einer anspruchsvolleren Klientel. Im Zuge dessen
       gibt es bei den Discountern einen Trend in die Innenstädte. Außerdem wurden
       die Migranten als Kundschaft ausgemacht. In der Folge ist in den Metropolen
       bereits eine Abnahme der klassischen Ethno-Lebensmittelläden festzustellen.
       Weil der Edel-Aldi allerdings nicht mit dem Armen-Aldi vereinbar scheint,
       sehen die Marktforscher die Notwendigkeit, dass sich so genannte
       Hartdiscounter etablieren, die das allerbilligste Basissortiment anbieten
       für die, die dauerhaft in Armut leben. Sie vermuten gar, dass Aldi und Lidl
       aufgrund ihrer Marktdominanz diese Discounter im Discounter nur selbst sein
       können. Die Abwärtsspirale dreht sich also weiter.
       
       Und die Politik? Die verweist auf die Wettbewerbsfreiheit. Erst wenn die
       Städte zu einzigen Pfenniglädenparadiesen verkommen sind, wachen sie auf.
       Wie jetzt in Berlin. Dort wollen die Politiker die weitere Ansiedlung von
       Billigläden in überversorgten Kiezen untersagen. Können sie also doch
       steuernd eingreifen, wenn sie nur wollen?
       
       19 Jun 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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