# taz.de -- Pro und Contra Fußball-Favoriten: Arrogante Helden braucht die WM
> Eine WM bei der Underdogs wichtiger sind, wäre wie "Polizeiruf" statt
> "Tatort", schreibt Frauke Böger. Carolin Küter hingegen findet es
> spannender, wenn auch Mal unerwartete Mannschaften mitspielen.
(IMG) Bild: Für Frauke Böger ist eine WM ohne Stars wie Messi und Maradona undenkbar.
PRO
Ach ja, na klar, wir finden es schick, für die Kleinen zu sein. Das
entspricht dem Gerechtigkeitsbedürfnis, das wir haben und das so furchtbar
leidet, weil es einfach nicht befriedigt wird. Da spielt dann Algerien
unentschieden gegen England und wir freuen uns, weil die arroganten
Imperial-Engländer das verdient haben und Algerien als Außenseiter und
sowieso armes, ungerecht behandeltes Land auch mal einigermaßen groß
auftrumpfen darf.
Aber mal ganz ehrlich - wäre ein Endspiel Dänemark gegen Honduras wirklich
ein Genuss? Kleingeistiger Fußball der Kleinen. Das wäre genauso wie ein
Sonntagabend mit "Polizeiruf" statt "Tatort". Ja, man guckt es eben, ist ja
schließlich Sonntag, eine Alternative gibt es nicht und der "Polizeiruf"
wird ja auch immer besser. Aber die große Freude sieht anders aus. Das
wohlig-kribbelige Lümmeln auf dem Sofa weicht einem resignierten
Hockenbleiben.
Ich will sie sehen, die Großen, die ich kenne - ihren Schmerz, ihre Wut und
unbändige Freude. Ich will Maradona dabeihaben, ich will richtig guten
Fußball sehen. Mit Kaka, Messi, Özil, Drogba, Robben. Und eigentlich auch
mit Anelka. Meine Charity-Gefühle lebe ich ein andermal aus.
Die Kleinen gehören dazu, und ein bisschen Schadenfreude über einen Sieg
gegen die arroganten Helden ist das Salz, was eine WM schmecken lässt. Aber
versalzen lassen will ich sie mir nicht.
Scheinheilige Sympathie für die Kleinen hat in einem Wettkampf wie der
Weltmeisterschaft nichts zu tun. Sie ist bigott, weil sie verkennt, dass
Siege der Kleinen das System nicht ändern. Wer die Fifa-WM feiern will,
muss sie feiern, wie sie ist: großkotzig, imperialistisch, korrupt und
heldenfixiert. Da können wir drüber debattieren und vieles kritisieren,
aber bitte: Es geht um Unterhaltung und Entertainment, es geht um Figuren,
die wir bewundern und bemitleiden, und das geht nur, wenn wir sie kennen.
Wie beim Sieg der Griechen bei der Europameisterschaft 2004. Klar, die
Griechen waren die Außenseiter und die Freude über ihren Sieg war groß,
weil er überraschend war. Aber auch, weil es eben Otto Rehhagel war, der
diesen Sieg geholt hat - nur wegen ihm ist der Sieg in Deutschland gefeiert
worden, nur an ihn erinnern wir uns. Ihn kennen wir, ihn genießen wir, wenn
er siegt. Und die Griechen sind uns einfach noch näher als die Honduraner.
Klar, wir wünschen den schwächeren afrikanischen Mannschaften, lange im
Turnier zu bleiben - das tut sogar der ZDF-Kommentator. Gehört sich eben
so. Aber warum? Weil sie guten Fußball spielen? Weil Blatter die WM nach
Südafrika geholt hat? Oder weil es einfach unser Herz erwärmt und unseren
eurozentristischen Blick von oben gefühlt von unten kommen lässt? Was
dahinter eigentlich schlummert ist das Feiern von elf kleinen Negerlein.
Und das kann keiner wollen.
Frauke Böger ist Volontärin und arbeitet im taz-WM-Team.
***
CONTRA
Der Ball ist rund, nach dem Spiel ist vor dem Spiel, und das Runde muss ins
Eckige. Das wissen wir, müssen wir noch mehr wissen? Zum Beispiel, dass das
Spiel der Italiener sich mehr in der Horizontalen abspielt, anstatt fairen
oder auch nur effektiven Fußball zu bieten? Oder dass Fußball aus dem
Mutterland immer wieder überbewertet und selten ansehnlich ist? Dass selbst
Holland inzwischen öden Ergebnisfußball spielt.
Erwartbare Niederlagen, Rivalenkämpfe in der Wiederholungsschleife und
Jubeln im Gewinnertrikot der letzten Turniere haben Ritualcharakter wie
Silvester, Ostern, Weihnachten. Alle Jahre wieder Korken knallen, Eier
suchen, Plätzchen backen.
Wiederholen sich im vierjährigen Turnus auch auf dem Fußballfeld nur die
altbekannten Rituale, verkommt die Fußball-Weltmeisterschaft zur reinen
Statistik, werden Beamtentugenden mehr kultiviert als Sportsgeist und
Spielbegeisterung.
Fanehrgeiz besteht nicht darin, schon vor dem Vorrundenende alle
Achtelfinalspiele in den Spielplan eingetragen zu haben. In vorhersehbaren
Mannschaftsaufstellungen, sich wiederholenden Spielkonstellationen und
erwartbaren Reaktionen finden Besserwisser ihr Glück, nicht jedoch
Fußballfans.
Auch für Sportbegeisterte ist Schadenfreude immer noch der größte Spaß. Wie
wäre es, Brasilien bei seinem totbeschworenen "schönen Spiel" bei nicht
mehr als drei Vorrundenspielen zusehen zu müssen, 90 Minuten Fußball wie
einen Krimi und nicht wie einen Jahresabschlussbericht zu erleben? Als
Krönung den Italienern in diesem Turnier statt dem Pokal ein Taschentuch
für ihre Tränen reichen zu können? Und in überraschenden Konstellationen
Mannschaften mit wahrem Kampfgeist beim Spielen zuzusehen?
Wer die Schweiz oder Nordkorea im Finale sieht, erweitert seinen
Fußballwortschatz auf mehr als die etablierten zehn Namen und erweitert
dabei noch seinen Horizont.
Auf vorhersehbare internationale Sportturniere können wir verzichten. Der
weite Weg nach Südafrika lohnt sich nicht, wenn am Ende wieder nur einer
der üblichen Verdächtigen gewinnt. Genau das macht den Reiz eines
Wettkampfs aus: Dass eben nicht immer die Favoriten - meinetwegen: die
Besten - gewinnen. Sonst könnte man auf eine solche Show gleich ganz
verzichten und einfach alle vier Jahre dem Führenden der Fifa-Weltrangliste
den Pokal per Einschreiben schicken.
Nicht, um von Altbewährtem eingeschläfert zu werden, schaut die Welt nach
Südafrika. Rasende Emotionen, Entsetzen und Fassungslosigkeit, Überraschung
und den hemmungslose Jubel des Underdogs, das erwarten wir von Fußball am
Kap. Für Nordkorea, die Schweiz oder Nigeria im Finale. Nicht weils
gerechter ist, sondern weil's mehr Spaß macht.
Carolin Küter ist taz-Akademie-Teilnehmerin und arbeitet im WM-Team der
taz.
21 Jun 2010
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