# taz.de -- US-General McChrystal: Selbstdemontage eines Disziplinierten
> Mit Ausfällen gegen Präsident Obama und dessen Berater riskiert der
> Isaf-Chef Stanley McChrystal seine Karriere - vielleicht um seine
> militärische Mission zu retten.
(IMG) Bild: Obama und McChrystal in der Präsidentenmaschine "Air Force One" im Oktober 2009.
BERLIN taz | Was ist paradox? Ein hoher Militär, der öffentlich seinem
Oberkommandanten, dem Präsidenten der USA, den Gehorsam aufkündigt, ihn
öffentlich desavouiert. Ganz so, als ob es sich um eine gewöhnliche
politische Meinungsverschiedenheit handele, quasi um einen Akt zivilen
Ungehorsams.
Der Chef der alliierten Interventionsstreitkräfte in Afghanistan,
Viersternegeneral Stanley McChrystal, hat sich dem US-Magazin Rolling Stone
für ein langes Porträt zur Verfügung gestellt. In ihm übt er heftige Kritik
an Politikern, Beratern und Diplomaten im Umkreis von Präsident Obama,
wobei ungenannte Mitarbeiter des Generals mit seiner Zustimmung die
gröbsten Injurien ihres Chefs zitieren. Auch von seinem Präsidenten selbst
zeigt sich McChrystal enttäuscht.
Das Porträt erbost seit Tagen die politische Szene in Washington. Einmal
geht es um den beispiellos vulgären Grundton der Angriffe - etwas, was man
seit Richard Nixons Ausfällen in den "Pentagon Papers" nicht mehr vernommen
hat.
Der Name des Vizepräsidenten Biden wird zu "bite me" ("Leck mich")
verballhornt. Der Sicherheitsberater Jones ist nichts als ein "Clown" , der
Sondergesandte Holbrooke wird als "angeschossenes Tier" bezeichnet, das
nichts so fürchte wie seine Ablösung, dem USA-Botschafter in Afghanistan
kommt es laut McChrystal nur darauf an, sich für den Fall einer Niederlage
in Afghanistan nach dem Motto "Ich hab das gleich gesagt" aus der Affäre
ziehen zu können.
Mit dieser Selbstdemontage eines asketisch, hoch diszipliniert und stets
korrekt erscheinenden Militärs wird der politischen Kultur Washingtons im
Ganzen ein Schlag versetzt.
Aber hinter diesen verbalen Entgleisungen verbirgt sich ein scharfer
politischer Konflikt. Nicht umsonst hat sich McChrystal das Magazin Rolling
Stone herausgefischt, dessen Leserschaft überwiegend der jungen Generation
angehört. McChrystal geht es darum, möglichst effektiv eine politische
Botschaft zu verbreiten. Sie lautet: Nur mit der Strategie der "Counter
Insurgency" ("Coin") lässt sich der Krieg in Afghanistan gewinnen.
Coin setzt statt den Einsatz von militärischer Hochtechnologie den massiven
Einsatz von Bodentruppen voraus, die die Bevölkerung effektiv vor den
Taliban schützen und für die Sache "der Freiheit" gewinnen sollen.
Obama hat wesentliche Teile der Strategie McChrystals übernommen, sie
allerdings mit einem schrittweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan
verknüpft. Er hat damit gegen die politische Linie seines Vizepräsidenten
entschieden, der sich gegen die massive Erhöhung der Bodentruppen, gegen
Coin und für gezielte Einsätze gegen Terroristengruppen ausgesprochen hat.
Schon letztes Jahr hatte McChrystal öffentlich gegen Biden Stellung bezogen
und gewitzelt, ein solches Vorgehen würde Afghanistan zu einem "Chaotistan"
machen. Dafür erhielt er einen Rüffel Obamas, der, wie sich jetzt zeigt,
nichts genutzt hat. Der jetzige Vorstoß des Generals ist also nur seiner
Form nach etwas bislang Unerhörtes.
Es ist leicht möglich, wenn auch gegenwärtig nicht beweisbar, dass hinter
dem General Teile des führenden militärischen Establishments stehen, die
die Linie der lange dauernden Counter-Insurgency auch gegen die politische
Führung in der amerikanischen öffentlichen Meinung durchsetzen wollen.
Dann wäre McChrystal nicht der einsame Wolf, der seine militärische
Karriere aufs Spiel setzt, um seinen militärisch-politischen Prinzipien
treu zu bleiben - quasi eine tragische Figur -, sondern Teil eines Spiels,
das die verfassungsmäßigen Rechte des amerikanischen Präsidenten gegenüber
dem Militär aushöhlt.
In dieser Auseinandersetzung ist Obama dadurch gehemmt, dass er sich
bislang der Strategie McChrystals ausgeliefert hat. So war es am Mittwoch
bis Redaktionsschluss auch ungewiss, ob er seinen ungehorsamen General
feuern oder ihn nur zurechtweisen wird. Der amerikanische Präsident kennt
allerdings auch die Umfragen, deren Trend eindeutig auf die Beendigung des
militärischen Engagements in Afghanistan weist. Woran auch das Porträt
McChrystals im Rolling Stone nichts ändern kann.
24 Jun 2010
## AUTOREN
(DIR) Christian Semler
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