# taz.de -- Bildung: Das Sorgenkind heißt Vera
       
       > Der Grundschulverband kritisiert die alljährliche Lernstandserhebung von
       > Drittklässlern, weil sie die Kinder überfordert und zu wenig
       > differenziert sei.
       
 (IMG) Bild: Ein Wort, das viele Drittklässler noch nicht kennen: Mangobaum.
       
       Vera war es, die Maresi Lassek wohl die meisten Sorgen bereitet hat im
       Schuljahr, das gerade zu Ende gegangen ist. Die Sorgen waren so groß, dass
       sich die Bundesvorsitzende des Grundschulverbands, die als Rektorin die
       Bremer Grundschule am Pfälzer Weg leitet, Zeit für ein ausführliches
       Gespräch nimmt, obwohl jetzt erst mal große Ferien sind.
       
       Vera ist keine Schülerin, sondern eine Lernstandserhebung, der sich die
       dritten Klassen unterwerfen müssen, Vergleichsarbeiten in der Grundschule,
       dafür steht die Abkürzung. Vera soll Leistungsvergleiche ermöglichen, den
       Schulen bei der Standortbestimmung helfen und Impulse geben für die
       Unterrichtsentwicklung. Vera will viel, erreicht es aber nicht wie
       gewünscht - und dürfte damit ziemlich exakt dem entsprechen, was viele der
       Schülerinnen und Schüler erleben, die sich an drei Tagen - zuletzt im
       Februar und März - mit Aufgaben in Rechtschreibung, Lesen und Mathematik
       abmühen mussten. Lassek, 60, sagt: "Vera beschämt und benachteiligt viele
       der Kinder." Sie hat Schüler weinen sehen, die an den Matheaufgaben
       scheiterten; sie und ihre KollegInnen müssen nach den Tests Kinder
       aufbauen, die frustriert sind, weil sie es gerade mal geschafft haben, den
       Text für das Leseverständnis zu lesen und keine Zeit mehr hatten, die
       Fragen zu beantworten. "Den Kindern kann man dann nur sagen: ,Du hast das
       prima gemacht'. Man muss sie aufbauen und ihnen zeigen, dass der Test nicht
       so eine Bedeutung hat."
       
       Die Kritik des Grundschulverbands, der sich mit 10.000 Mitgliedern für die
       Verbesserung der Grundschulen einsetzt, trifft Vera von zwei Seiten. Zum
       einen, sagt Lassek, bezögen sich die Testfragen auf Kompetenzstandards der
       Kultusministerkonferenz für Viertklässler, Vera selbst aber wird am Ende
       der dritten Klasse abgehalten. Schon allein strukturell überfordert er die
       Kinder also. Lassek verdeutlicht das an einem Text, den die Kinder lesen
       und verstehen müssen. Da ist von einer Elefantenherde die Rede, die immer
       wieder durch ein Hotel schreitet, weil das Hotel auf Wegen gebaut wurde,
       die die Tiere seit jeher benutzen. Der Text hat es in sich. Eine Kollegin
       Lasseks hat gleich mehrere Dutzend Wörter identifiziert, die die Kinder
       noch gar nicht kennen. "Mangobaum" zum Beispiel, "Rezeption",
       "Gewohnheitstier" oder "Pfeifchen". Ehe sich die Kinder durchgearbeitet
       haben, ist die Zeit oft abgelaufen. Bei den Matheaufgaben sieht es ähnlich
       aus; Erich Wittmann, emeritierter Mathematik-Professor der TU Dortmund, hat
       Vera in einer Analyse an die hessische Kultusministerin als "Zumutung" und
       "sprachlichen Schund" bezeichnet.
       
       Der zweite Teil der Kritik des Grundschulverbands betrifft den Umgang mit
       Vera. Eigentlich sind die Testergebnisse intern, dennoch würden Schulen
       damit werben, wenn sie gut abschneiden. Das setze andere unter Druck,
       befürchtet Lassek: "Schulen, die nicht mit Vera-Ergebnissen werben, werden
       automatisch als schlecht angesehen." Sie weiß von Schulen, die regelrecht
       auf Vera hin üben und die Kinder zu besonders guten Leistungen anspornen,
       damit die Schule bei Vera gut abschneidet. Das, sagt Lassek, widerspricht
       dem Ziel von Vera, das kein Bildungs-Monitoring à la Pisa sein soll, und
       verfälsche die Ergebnisse.
       
       Der Grundschulverband lehnt Lernstandserhebungen nicht grundsätzlich ab,
       fordert aber differenziertere Fragestellungen und vor allem angemessene
       Aufgaben, die von den Kindern auch gelöst werden können. Einen Boykott, wie
       er von Berliner Schulen gefordert wurde, unterstützt der Verband nicht,
       sagt Lassek. Es gehe mehr um Alternativen und Beratung.
       
       29 Jun 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Zimmermann
       
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