# taz.de -- Kommentar Butler Zivilcourage-Preis: Eine Minderheit unter vielen
       
       > Der Kern von Judith Butlers Kritik wurde nicht verstanden. Viele Lesben
       > und Schwule wollen zur Mitte der Gesellschaft gehören. Dafür nehmen sie
       > Ungerechtigkeiten in Kauf.
       
       Ein Blick auf die Reaktionen zeigt, dass Judith Butler großen Zuspruch
       gefunden hat. Viele hielten ihre Entscheidung, den Zivilcourage-Preis des
       Berliner CSD e.V. nicht anzunehmen, für richtig. Umso erstaunlicher ist es,
       wie manche Journalisten versuchen, die Debatte darüber in eine Sackgasse zu
       lenken.
       
       Für den taz-Journalisten und Ex-CSD-Funktionär Jan Feddersen sprach Judith
       Butler, eine "Diva ohne Glamour", lediglich einem überwinterten Kern linker
       KritikerInnen aus dem Herzen, die ohnehin bloß "identitär recht behalten"
       möchten. Der transgeniale Christopher Street Day, oft auch "alternativ"
       genannt, den Butler lobend erwähnte, sei eine "dörfliche" Veranstaltung,
       aus dessen Spektrum keine bedeutsamen politischen Impulse für die queere
       Bewegung ausgehen würden, so Feddersen.
       
       Und Martin Reichert konnte dieses Jahr unter den Teilnehmenden der
       transgenialen CSD-Demonstration durch Neukölln und Kreuzberg vor allem
       Menschen mit "bleichen Gesichtern" erkennen. So wird diese Manifestation
       diffamiert, um die große CSD-Parade auf dem Kurfürstendamm als politischen
       Ort der Inklusion zu verkaufen.
       
       Das zeigt nur, dass der Kern der Kritik nicht verstanden wurde. Denn Judith
       Butler hat der CSD-Parade auf dem Kurfürstendamm weder das Existenzrecht
       abgesprochen noch sie als "oberflächlich" eingestuft, wie sie noch einmal
       im taz-Interview am Donnerstag betonte. Vielmehr hat sie laut darüber
       nachgedacht, was sie unter den gegebenen Bedingungen als Zivilcourage
       versteht.
       
       Butler hat angemerkt, dass queere Menschen "benutzt werden können von
       jenen, die Kriege führen wollen" ob mit militärischen Mitteln wie in
       Afghanistan und im Irak oder in Form des antimuslimischen Rassismus, wie er
       seit einigen Jahren vielerorts in Europa um sich greift. Viele
       PolitikerInnen behaupten, schwul-lesbisch-queere Freiheit zu schützen, und
       wollen uns glauben machen, dass dazu Ressentiments bis hin zu Hass gegen
       MigrantInnen nötig ist.
       
       Deshalb gilt es, Nein zu sagen, wenn uns statt der Wahrheit, so heterogen,
       erschreckend und widersprüchlich sie auch sei, einfache Lösungen angeboten
       werden. Nein zu sagen, wenn Sexismus und Homophobie pauschal bestimmten
       MigrantInnen-Communities zugeschrieben werden. Denn dadurch wird ein
       Trugbild erzeugt, das uns glauben lassen soll, diese Phänomene würden nach
       Deutschland "importiert" und es gelte, bereits errungene Freiheiten vor
       diesen Kuckuckseiern zu schützen.
       
       Manche Vertreter der schwulen Communities stimmen diesem vereinfachenden
       Feindbild zu. Sie fordern, man müsse die Probleme beim Namen nennen, und
       verweisen immer wieder auf ein dezidiertes Täterprofil: jung, männlich,
       Migrationshintergrund. Damit lässt sich traurigerweise Politik machen.
       Schade, denn sonst könnten ja auch das höhere Armuts- und Selbstmordrisiko,
       die größere Gefahr der Obdachlosigkeit und die weit verbreiteten
       Essstörungen unter Lesben, Schwulen und Transpersonen in diesem Land
       wichtige Themen für die queere Bewegung sein.
       
       Im Bett mit der Mehrheit 
       
       Wie dünn der Boden in der sogenannten Mitte der Gesellschaft ist, an der
       manche schwulen Aktivisten um jeden Preis teilhaben möchten, zeigt sich an
       zwei Beispielen. So wurden im öffentlichen Diskurs über Homophobie
       Migrantenjugendliche, vor allem aus arabisch- oder türkeistämmigen
       Familien, in den letzten Jahren mit Straftätern aus rechtsextremen Milieus
       auf eine Stufe gestellt; dies geschah nicht zuletzt auf Betreiben
       schwul-lesbischer Lobbygruppen.
       
       Damit wurden nicht nur der ideologische Hintergrund und die Gefahr des
       Rechtsextremismus verharmlost, sondern auch rassistische Ressentiments in
       der eigenen, queeren Community geschürt. Hingegen konnte man die
       Bundesregierung nicht dazu bewegen, die Gleichstellung eingetragener
       Lebenspartnerschaften mit der Ehe zu verwirklichen oder die sexuelle
       Orientierung in den Antidiskriminierungskanon der Verfassung aufzunehmen –
       trotz aller Lobbyarbeit, auf die Jan Feddersen das Hohelied singt.
       
       Nichtdestotrotz sehen sich einige heute lieber als Teil eines größeren
       "Wir", indem sie die bestehende Rangordnung der Majoritätsgesellschaft nach
       sozialer Herkunft und Ethnizität übernehmen. MigrantInnen, Schwarze oder
       Roma können im Zweifelsfall draußen bleiben oder abgeschoben werden,
       solange es für "uns" schneller Ehegattensplitting und ein Adoptionsrecht
       gibt. Für den Rest muss symbolische Politik reichen. Dass das Schwenken
       einer israelischen Fahne nicht die Polizei vor jüdischen Einrichtungen in
       Deutschland ersetzt, können "wir" dann ja getrost ignorieren.
       
       Kein Platz für Nationalismen 
       
       So teilte auch der CSD-Sprecher Jan Salloch in seiner spontanen Reaktion
       von der Bühne am Brandenburger Tor die Welt in zwei Teile auf: "Wir sind
       hier in der Mehrheit, ihr seid nur eine Minderheit." Diese "Minderheit"
       aber trifft auf viele andere Minderheiten und zieht jährlich mit dem
       transgenialen CSD durch Kreuzberg. Der Platzverweis für alle
       nationalistischen Symbole, aber vor allem Forderungen wie die Abschaffung
       der Zweigeschlechtlichkeit, die klare Positionierung gegen Krieg und die
       starke Thematisierung von Armut sind für uns gute Gründe, dort mitzumachen.
       Auch im Rest des Jahres gehen wir diesen Themen nach und arbeiten deswegen
       auch mit den Gewerkschaften, sozialen Verbänden und der öffentlichen
       Verwaltung zusammen.
       
       Während die Bürgerrechtsbewegung der Lesben und Schwulen noch an
       eindimensionalen Identitätsmodellen hängt, sind immer mehr Menschen nicht
       nur "gewöhnlich" homosexuell. Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Religion,
       Alter, eine Behinderung und viele andere Merkmale prägen unsere Identität
       gleichermaßen. "Gewöhnliche" Hartz-IV-EmpfängerInnen können sich die
       Partyszene der Hauptstadt nicht leisten. Für "gewöhnliche" homosexuelle
       AsylbewerberInnen gelten nicht die Bürgerrechte, sondern gilt die
       Residenzpflicht. Wer die Zusammenhänge von Herkunft, Geschlecht und
       sexueller Orientierung nicht erkennt, wird weder der Berliner noch der
       deutschen Realität gerecht.
       
       3 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tülin Duman
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Judith Butler
       
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