# taz.de -- Deutsche schickt Gaza-Hilfsschiff: Ärger schaffen ohne Waffen
       
       > Der politische Rückhalt für ihre Initiative ist gering. Die deutsche
       > Jüdin Edith Lutz stört das nicht. Sie organisiert ein Hilfsschiff, auf
       > dem nur jüdische Aktivisten mitreisen sollen.
       
 (IMG) Bild: Bald ein Hilfsschiff einer Deutschen? Im Gegensatz zur "Free Gaza" Initiative soll die Schiffsbesatzung komplett gewaltfrei bleiben.
       
       SÖTENICH taz | Seit ein paar Wochen fragt sie sich, ob der Mossad wohl ihr
       Telefon abhört. Wie sonst soll sie sich diesen merkwürdigen Anruf beim
       letzten Treffen mit den anderen Aktivisten erklären? "Jonathan!", rief eine
       Männerstimme am anderen Ende der Leitung: "Jonathan?" An einen Irrtum oder
       einen Zufall mag sie nicht glauben. Denn Jonathan, heißt ja einer der
       Skipper, die demnächst das Schiff mit Hilfsgütern nach Gaza steuern sollen.
       "Die Israelis sind IT-Experten", sagt Edith Lutz. "Wir wissen gar nicht,
       was der Geheimdienst schon alles weiß."
       
       Sie bespricht also ihre Reisepläne möglichst nicht mehr am Telefon. Und
       wenn sie Mitstreiter persönlich trifft, nimmt sie vorsichtshalber den Akku
       aus ihrem Handy, damit das Gerät nicht abgehört werden kann. Niemand soll
       den Plan sabotieren, an dem sie seit Monaten arbeitet.
       
       Es ist ein kühler Frühsommertag, sie hat sich eine weiße Häkelstola über
       die Schultern geworfen. Ihr Mann reicht eine Thermoskanne mit Kaffee durch
       das kleine Wohnzimmerfenster nach draußen. Edith Lutz empfängt am
       Gartentisch, sie will nicht so viele Fremde in ihr Haus blicken lassen.
       Denn die Medien reißen sich um sie, seit israelische Soldaten die "Mavi
       Marmara" gut 100 Kilometer vor der Küste von Gaza gestürmt haben. Der WDR
       hat gerade bei ihr gedreht, das Deutschlandradio hat sie interviewt, in der
       Jerusalem Post war über sie zu lesen, und die Nachrichtenagentur Agence
       France Presse hat die ungewöhnliche Geschichte in alle Welt verbreitet:
       Ausgerechnet eine deutsche Jüdin will gemeinsam mit Juden aus aller Welt
       die israelische Blockade des Gazastreifens auf dem Seeweg durchbrechen!
       
       Ihr provisorisches Gartenbüro liegt in Sötenich, einem blank geputzten Dorf
       in der Nordeifel, auf halbem Weg zwischen Bonn und der belgischen Grenze.
       1.200 Einwohner, die katholische Sankt-Matthias-Kirche thront über dem Ort,
       beim Metzger gibt es Mettwurst im Sonderangebot, die historische Diesellok
       vor dem Bürgerhaus ist in Schwarz-Rot-Gold lackiert. Und gleich gegenüber
       an der Durchfahrtstraße ein verwittertes Fachwerkanwesen, der Putz blättert
       in tellergroßen Platten ab, ein paar Fensterscheiben sind zerschlagen,
       Mohnblumen und Margeriten blühen im Vorgarten, Farne wuchern, Efeu hat sich
       bis weit aufs Dach gerankt, an der Pforte steht statt eines Briefkastens
       eine kleine, offene Holzkiste. Sollten je Mossad-Agenten bis nach Sötenich
       vorstoßen, dürften sie sich wundern: In dieser Villa Kunterbunt soll ein
       Coup gegen Israels Regierung geplant werden?
       
       "Niemals würde ich sagen, unsere Aktion ist gegen Israel gerichtet", ruft
       Edith Lutz in die lauschige Stille ihres Sommergartens hinein. "Eben nicht!
       Eben nicht! Wir wollen doch eine Brücke bauen für eine Kehrtwende der
       Politik!" Ihre Worte tanzen im rheinischen Singsang die Tonleiter rauf und
       runter.
       
       Es wird für sie nicht die erste Segelpartie übers Mittelmeer sein. Edith
       Lutz ist im Sommer 2008 schon einmal von Zypern aus in See gestochen,
       damals noch gemeinsam mit Aktivisten von "Free Gaza", jener internationalen
       Bewegung, deren neue Flottille Ende Mai von der israelischen Armee
       gewaltsam gestoppt wurde.
       
       Wie anders die erste Mittelmeerpassage der "Free Gaza"-Kampagne vor zwei
       Jahren ausgegangen war: Nach etwa 30 Stunden auf See konnten die beiden
       Segelboote im Hafen von Gaza-Stadt anlegen. Auch die "Tagesschau"
       berichtete damals über die geglückte Aktion der Friedensaktivisten, zeigte,
       wie jubelnde Palästinenser die Schiffe empfingen. Auf Deck an der Reling
       eine große, hagere Frau mit spitzem Gesicht, die weißgrauen Locken mit
       einem Kopftuch gebändigt - Edith Lutz, 61 Jahre, Mutter von vier
       erwachsenen Kindern, zum Judentum konvertierte Judaistin mit Doktortitel,
       Englisch-, Spanisch- und Biologielehrerin aus der Nordeifel.
       
       "Lieben Sie Israel?", wollte damals ein Reporter von der deutschen Jüdin
       wissen. Sie schmunzelt, wenn sie ihre Antwort wiederholt: "Ja, und deshalb
       bin ich hier!"
       
       In diesem Sommer will Edith Lutz erstmals auf eigene Faust nach Gaza
       segeln, unter deutscher Flagge, im Namen des Vereins Jüdische Stimme für
       einen gerechten Frieden in Nahost, einer Gruppe deutscher Juden, die den
       Umgang der israelischen Regierung mit den Palästinensern anprangert.
       Unterstützt wird der deutsche Verein von "Jews for Justice in Palestine",
       der britischen Schwesterorganisation.
       
       Edith Lutz spricht ungern über die Frage, warum sie vor zwei Jahren an Bord
       eines "Free Gaza"-Schiffes mitfuhr, in diesem Jahr aber bei der
       umstrittenen Flottille der Gaza-Solidaritätsbewegung fehlte. Sie seien
       nicht rechtzeitig fertig geworden mit den Vorbereitungen für das eigene
       Schiff, sagt sie knapp. Mehr nicht. Sie distanziert sich mit keinem Wort
       von der "Free Gaza"-Kampagne. Es soll bloß nicht klingen, als seien Juden
       die besseren Weltverbesserer.
       
       Dabei sind Unterschiede zwischen beiden Initiativen offensichtlich. Sollte
       das israelische Militär ihr Boot stoppen, werden sie "auf keinen Fall
       Gegenwehr leisten", versichert Edith Lutz. Sie nehme ja auch die
       Sicherheitsbedenken der Israelis ernst, würde sogar eine Kontrolle des
       Schiffes auf Waffen vor der Passage nach Gaza akzeptieren: "Wer wirklich
       Brücken bauen will", mahnt sie, "der darf nicht nur auf sein Recht pochen."
       Die britische Partnerorganisation hat unlängst Regeln für den Notfall
       aufgestellt, zwei davon lauten: Keine körperliche Auseinandersetzung mit
       den Israelis. Falls die Marine einen Kurswechsel des Schiffes verlangt,
       wollen sich die Aktivisten allein mit passivem Widerstand zur Wehr setzen.
       
       Wenn man Edith Lutz fragt, ob sie die israelischen Soldaten mit
       Metallstangen an Bord empfangen würde, wie offenbar kürzlich auf der "Free
       Gaza"-Flottille geschehen, hüstelt sie kurz. Dann lächelt sie schweigend.
       
       Sie schließt die Tür zu einem Nebengebäude ihres Hofes auf. In der
       staubigen, spinnwebverhangenen Kammer lagert ein Teil der Hilfsgüter für
       Gaza, Spenden von Schülern aus Deutschland. 80 bunte Schulranzen,
       Kinderrucksäcke und Turnbeutel, der Turm reicht fast bis unter die Decke.
       Edith Lutz öffnet einen Rucksack, darin sind Stifte und Schreibpapier, eine
       Kinderjeans, ein grün-weißer Ringelpulli, eine Plüschmaus, ein deutsches
       Kinderbuch. Auch einige Musikinstrumente, Medikamente und Fischernetze
       sollen mit an Bord. Das "Gaza Community Mental Health Programme", eine
       Einrichtung für psychisch Traumatisierte, werde helfen, die Ladung an
       Bedürftige zu verteilen.
       
       Edith Lutz hatte im Namen der Initiative für gut 80.000 Euro sogar schon
       einen Motorsegler für die Überfahrt nach Gaza gekauft. Doch nach dem Drama
       um die "Free Gaza"-Flottille zog die Bank den Kredit zurück. Nun bemühen
       sich Aktivisten aus England, mit Spendengeld ein Ersatzschiff zu kaufen,
       das an einem geheimen Ort am Mittelmeer liegt. Doch es fehlen noch viele
       tausend Euro. Mieten sei leider unmöglich, erzählt Edith Lutz: "Sobald der
       Vermieter hört, wofür wir sein Schiff einsetzen wollen, hat sich die
       Anfrage erledigt."
       
       Das neue Schiff ist klein. Es bietet höchstens zwölf Aktivisten Platz,
       viermal so viele Bewerber stehen auf ihrem Zettel. Sie wolle bei der
       Auswahl auf den "politischen Aussagewert" achten, sagt Edith Lutz.
       
       Es werden wohl ausschließlich jüdische Aktivisten mitreisen. Menschen aus
       Israel, aus den USA, aus Deutschland, Australien, England und Kanada, unter
       ihnen auch Holocaust-Überlebende. Reuven Moskowitz beispielsweise, ein
       israelischer Friedensaktivist, Jahrgang 1928, Träger des Aachener
       Friedenspreises. Spätestens im August solle ihr Schiff ablegen.
       
       Der politische Rückhalt für das Projekt in Deutschland ist überschaubar. Im
       April hatte die "Jüdische Stimme" alle 622 Abgeordneten des Bundestags
       angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Mitreisen wollten nur fünf
       Politiker der Linken, sagt Edith Lutz. Auch alle Jüdischen Gemeinden in
       Deutschland seien schriftlich über ihr Projekt informiert worden.
       Reaktionen: fast keine. Von zwei unflätigen E-Mails abgesehen.
       
       Auch diplomatische Unterstützung können die jüdischen Aktivisten nicht
       erwarten. "Wir raten allen deutschen Staatsangehörigen, die Reise- und
       Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts für Gaza genau zu beachten", sagt
       eine Sprecherin des Auswärtigen Amts knapp. In den Hinweisen steht: "Vor
       Reisen in den Gazastreifen wird dringend gewarnt!"
       
       Die Reaktion des Zentralrats der Juden in Deutschland fällt weniger
       zurückhaltend aus. "Überhaupt nichts" halte er von dieser
       "unverantwortlichen" und "völlig unnötigen Provokation", erklärt der
       Generalsekretär am Telefon. Stephan Kramer ist verärgert. Er wolle die
       schreckliche Situation im Gazastreifen überhaupt nicht herunterspielen.
       Aber gerade jetzt, nachdem es neun Tote auf der "Free Gaza"-Flottille
       gegeben habe, müsse man sich doch um Deeskalation bemühen.
       
       In der israelischen Botschaft gilt die Aktion als Affront. "Dieses Projekt
       trägt nicht zum Frieden bei", warnt Emmanuel Nahshon, Gesandter Israels in
       Deutschland. "Es ist eine bewusste Verletzung des israelischen Rechts auf
       Selbstverteidigung. Und es hilft den Terroristen der Hamas." Er bedauere
       es, dass ausgerechnet Juden sich entschlossen hätten, auf diese Weise
       berühmt zu werden. Und die Holocaust-Überlebenden an Bord? "Ein zynischer
       Schachzug, der dem Frieden nicht förderlich ist", antwortet Nahshon kühl.
       Schließlich gibt er zu bedenken: Israel habe doch gerade die Blockade des
       Gazastreifens gelockert; sollten Edith Lutz und ihre Mitstreiter ihren Plan
       nicht überdenken angesichts dieser guten Nachrichten?
       
       "Ein Gefängnis bleibt ein Gefängnis", erwidert Edith Lutz, "auch wenn man
       mehr Futter hineinlässt." Sie pariert die Vorwürfe mit so leiser, klagender
       Stimme, dass man genau hinhören muss, was sie da gerade wirklich sagt: "Wer
       hier der größere Terrorist ist, das darf man infrage stellen. Ist es nicht
       auch Terror, wenn man Bomben abwirft und die Infrastruktur eines Volkes
       total zerstört?"
       
       Die Reisewarnung des Auswärtigen Amts für Gaza interessiert sie nicht. Sie
       spricht jetzt pathetisch: "Man sucht sich manchmal die Wege, die man geht,
       nicht aus."
       
       Bis sie im August 2008 zu ihrer ersten Passage nach Gaza aufbrach, war
       Edith Lutz noch als Lehrerin an einer Gesamtschule angestellt gewesen. Die
       Kündigung erreichte sie, bevor das Schiff den Anker eingezogen hatte. Der
       Vorwurf: Sie habe ihre "Dienstpflichten" verletzt. Mehr will Edith Lutz
       dazu nicht sagen. Sie sucht jetzt eine neue Stelle. Denn nach den
       Sommerferien will sie ja zurück in der Eifel sein.
       
       12 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
       
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