# taz.de -- Niederlande nach der WM: Stil spielt keine Rolle mehr
       
       > Nach der Finalniederlage entdeckt ein Land die eigene Entfremdung. Und
       > zwar vom schönen Spiel. Denn das ist in diesem Sommer endgültig entsorgt
       > worden.
       
 (IMG) Bild: Diskussionsbedarf: Die Niederländer Wesley Sneijder (li) und Joris Mathijsen.
       
       AMSTERDAM taz | Man stelle sich vor: Deutschland steht im Finale der
       Fußballweltmeisterschaft, und wenige Tage vor dem Anpfiff verkündet Franz
       Beckenbauer in einem Interview, er fühle sich stilistisch eher dem
       Endspielgegner verbunden. Undenkbar? Nicht für seinen Zeitgenossen Johan
       Cruyff. "Ich bin zwar Niederländer, aber ich verteidige den Fußball, den
       Spanien spielt", gestand Oranjes legendäre Nr. 14 am Wochenende einer
       spanischen Zeitung.
       
       Nicht mit dem Ablauf, aber doch zumindest mit dem Ausgang des Endspiels
       dürfte Cruyff, der beim FC Barcelona einen ähnlichen Heldenstatus genießt
       wie in den Niederlanden, zufrieden sein. In seiner Heimat aber fand in den
       letzten Wochen eine unerhörte Entfremdung statt, die mit der Treterei in
       diesem Finale festgeschrieben wurde: Eine Kluft tut sich auf zwischen
       Cruyff, der Verkörperung des "totaalvoetbal" der Siebzigerjahre und seither
       höchste ästhetische Instanz im Land des nun dreimaligen Vizeweltmeisters,
       und der Elftal.
       
       Ausgerechnet mit effizientem Ergebnisfußball erzielte diese den größten
       WM-Erfolg seit Cruyffs Zeiten. Der orangen Euphoriewelle konnte das keinen
       Abbruch tun. Dass das Idol das Team mit Liebesentzug strafte, fiel im
       allgemeinen Taumel nicht einmal mehr auf.
       
       Der letzte Akt des Turniers wurde zu einer zynischen Karikatur dieser
       Metamorphose: Die niederländischen Spieler gingen zu Werke, als wollten sie
       das alte Bild vom stilvollen Scheitern endgültig in die Geschichtsbücher -
       nun ja, treten. Es schien, als hätten sie die Vorgabe Mark van Bommels
       wörtlich genommen: "Wir müssen ihr Mittelfeld brechen, um ihre Spielmacher
       am Spielen zu hindern."
       
       Van Bommel war im Halbfinale selbst mit gutem Beispiel vorangegangen und
       hatte die anatomische Belastbarkeit einiger Uruguayer auf eine harte Probe
       gestellt. Im Finale war sich selbst der feinsinnige Robin van Persie nicht
       für schmutzige Fouls zu schade. Und als Nigel de Jong Xabi Alonso mit einem
       selten gesehenen gesprungenen Brustkick niederstreckte, weckte dies
       endgültig den Eindruck, hier seien noch einige alte Rechnungen aus dem
       30-jährigen Krieg zu begleichen. Dieser führte im 17. Jahrhundert zur
       Abspaltung der protestantischen nördlichen Niederlande vom Reich des
       Habsburger-Königs Philip II. - und wird noch heute in der niederländischen
       Hymne besungen.
       
       Ein Krieg der Meinungen war bereits vor dem Finale ausgebrochen: Zuerst
       echauffierten sich Traditionalisten noch über die glanzlosen Vorrundensiege
       gegen Dänemark und Japan. Offensivästheten empfanden das Primat der
       Effizienz gar als Verrat an der eigenen Vergangenheit und dem stilistischen
       Gütesiegel Oranje.
       
       Je weiter sich das Team jedoch durchs Turnier arbeitete, desto mehr wuchs
       zusammen, was eigentlich nicht zusammenpasst. Das Ausschalten Brasiliens
       markierte die Versöhnung der Anhänger mit Bondscoach Bert van Marwijk, der
       vor zwei Jahren das Amt übernahm mit der Mission, Weltmeister zu werden.
       Beständig wiederholte er in diesen Tagen, dass Stil dabei keine Rolle
       spielt. Die Zustimmung äußerte sich in massenhaft zur Schau gestellten
       orangen Bertje-T-Shirts.
       
       Während sich die Legende Cruyff also abwendete, leuchtete Bertje van
       Marwijk dem orangen Fußvolk immer mehr ein. Den Älteren mag es wie späte
       Gerechtigkeit vorgekommen sein. Hatte nicht 1974 und 1978 das bessere Team,
       der schönere Fußball, verloren? Was ist das bisschen Defensivspiel schon
       gegen ewigen Ruhm? Dass die Niederlande auch mit hässlichem Spiel nicht
       Weltmeister werden können, mag einige Betrachter beruhigt haben. Diese aber
       sitzen meist im Ausland und hängen einer Oranje-Projektion nach, die in den
       Niederlanden selbst in diesem Sommer endgültig entsorgt worden ist.
       
       12 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
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