# taz.de -- Islamismus in Deutschland: Die netten Herren von Milli Görüs
       
       > Sie galten als Reformer der IGMG. Doch nachdem bekannt wurde, dass
       > Funktionäre über einen Hilfsverein die Hamas unterstützten, fragen sich
       > Experten: Wie umgehen mit Milli Görüs?
       
 (IMG) Bild: Nennt sich auch "anatolischer Hanseat": IHH-Chef Mustafa Yoldas.
       
       BERLIN taz | In Hamburg ist Mustafa Yoldas ein angesehener Mann. Mit elf
       Jahren kam der Sohn türkischer Gastarbeiter nach Deutschland, heute
       betreibt er eine Arztpraxis im Bezirk Altona. Er ist Vorsitzender der
       Schura, eines Zusammenschlusses von Moscheegemeinden in der Hansestadt. Mit
       dem Senat verhandelt Yoldas über einen Staatsvertrag, analog zu denen mit
       den christlichen Kirchen und der Jüdischen Gemeinde.
       
       Und das, obwohl der 40-Jährige in der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs
       (IGMG) aktiv ist, der größten islamistischen Organisation in Deutschland.
       Doch selbst beim Verfassungsschutz, der die IGMG beobachtet, hieß es
       bisher, der Hamburger Regionalverband werde von der Politik "als seriöser
       Ansprechpartner akzeptiert". Das könnte nun vorbei sein.
       
       Am Montag haben Polizisten Yoldas' Haus durchsucht, zeitgleich fanden in
       Hessen und Nordrhein-Westfalen weitere Razzien statt. Zuvor hatte
       Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Internationale Humanitäre
       Hilfsorganisation (IHH) verboten. Der Vorwurf: Die IHH soll 6,6 Millionen
       Euro an die radikalislamische Hamas gespendet haben, die im Gazastreifen de
       facto regiert und auf der Terrorliste der EU steht.
       
       Vorsitzender der IHH ist Mustafa Yoldas, im Kuratorium sitzen zahlreiche
       Funktionäre der IGMG. "Organisationen, die sich von deutschem Boden aus
       gegen das Existenzrecht des Staates Israel richten, haben ihr Recht auf
       Vereinigungsfreiheit verwirkt", sagte de Maizière.
       
       Es ist dritte schwere Schlag gegen die IGMG innerhalb kurzer Zeit. Bereits
       im August 2008 und im März 2009 fanden Großrazzien statt, bei denen auch
       die IGMG-Zentrale in Kerpen durchsucht wurde. Hintergrund: Die
       Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Generalsekretär Oguz
       Ücüncü wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Spendenbetrugs und
       Steuerhinterziehung. De Maizière schloss deshalb den von der IGMG
       dominierten Islamrat von der Islamkonferenz aus.
       
       Der Imageschaden für die Organisation ist riesig. Dabei wollte sie sich so
       gern vom Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit befreien. Und es schien einen
       Reformerflügel zu geben, dem man eine Mäßigung zutraute. Einer ihrer
       Vertreter: Mustafa Yoldas.
       
       Am Mittwoch steht Yoldas vor Journalisten in einem Hotel in Berlin, 500
       Meter vom Bundestag entfernt. Die Pressekonferenz soll die Vorwürfe des
       Innenministers entkräften - doch Yoldas macht alles nur schlimmer.
       "Drangsaliert und kriminalisiert" werde man, poltert Yoldas. Deutschland
       mache sich zum "willfährigen Vollstrecker" Israels. De Maizière, so Yoldas,
       sehe die Dinge "mit der Brille des Mossad". Die entscheidende Frage aber
       will Yoldas nicht beantworten: ob er gewusst habe, mit wem seine IHH da
       zusammenarbeitete; mit einer Organisation, die auf der Terrorliste der EU
       steht und das Existenzrecht Israels negiert.
       
       Yoldas lavriert, windet sich. Er sagt, das Geld sei "nicht der Hamas
       zugutegekommen, sondern notleidenden Menschen". Aber er sagt auch, wer in
       Gaza etwas auf die Beine stellen wolle, komme an der Hamas nicht vorbei. Ob
       er gewusst habe, dass Geld an Vereine geflossen sei, die Angehörige von
       "Märtyrern" unterstützen? Es sei die "Repressionspolitik Israels", die die
       Menschen in die Arme von Selbstmordattentätern treibe, sagt Yoldas.
       
       "Yoldas galt als freundliches Gesicht der IGMG", sagt Verfassungsschützer
       Herbert Landolin Müller aus Baden-Württemberg. "Aber wir hatten schon immer
       unsere Zweifel an den angeblichen Reformern."
       
       Sind also selbst IGMG-Vertreter wie Yoldas Wölfe im Schafspelz, wie es
       Kritiker immer wieder beschwören? Funktionäre, die davon reden, in der
       Demokratie angekommen zu sein - die aber in Wirklichkeit die islamistische
       und antisemitische Ideologie ihres Gründers Necmettin Erbakan
       weiterverfolgen?
       
       Wer versucht, sich ein Bild von der IGMG zu machen, trifft auf viele
       Deutungen - und wenige Fakten, vor allem was das Machtgefüge in der
       Organisation angeht. Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer, ein Kenner
       der Szene, spricht von einer "unübersichtlichen Gemengelage". Klar ist: Die
       IGMG ist mit gut 320 Moscheevereinen die größte islamistische Organisation
       hierzulande, nach eigenen Angaben hat sie 57.000 Mitglieder. "Die IGMG hat
       direkten Einfluss auf schätzungsweise 60.000 Menschen und auf ein noch
       größeres Umfeld, tausende Kinder und Jugendliche wachsen in die
       Organisation hinein", sagt die Islamismusexpertin Claudia Dantschke. Kiefer
       und Dantschke sind sich einig: Schon allein wegen ihrer Größe kann man die
       IGMG nicht sich selbst überlassen.
       
       Die IGMG wird vom Verfassungsschutz beobachtet, gilt aber als gewaltfrei
       und "legalistisch". Sie ist Teil der länderübergreifenden
       Milli-Görüs-Bewegung, die auf den türkischen Politiker Erbakan zurückgeht.
       Dieser erklärte Anfang der 70er die Überwindung von Laizismus und
       Demokratie zum Ziel und die Errichtung einer "gerechten Ordnung" auf
       islamischer Grundlage. Umstritten ist, wie sehr sich die IGMG an diesem
       Ziel orientiert.
       
       Während der Verfassungsschutz immer wieder die "verbalen Bekenntnisse der
       IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat" in Zweifel zieht, hat der Ethnologe
       Werner Schiffauer eine ganz andere Deutung. Demnach haben die Reformer in
       der IGMG die Führung übernommen und versuchen, ihre traditionelle Klientel
       mit Demokratie und säkularem Rechtsstaat zu versöhnen. Schiffauers
       Hoffnungsträger sind Männer wie Generalsekretär Ücüncü, dessen Vize Mustafa
       Yeneroglu und ihr norddeutsches Gesicht Yoldas - und damit genau die
       Funktionäre, die bei der IHH aktiv waren. Doch Schiffauer will keine Fehler
       bei Yoldas und Co. sehen. Eher zweifelt er die Verbotsentscheidung des
       Innenministers an. "Noch liegen keine Belege vor, dass das Geld für
       nichthumanitäre Zwecke verwendet wurde", sagt Schiffauer. "Ich weiß nicht,
       ob das Verbot vor Gericht besteht."
       
       Die Chancen dafür stehen aber nicht schlecht. Es stützt sich auf ein
       Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 2004, das ein ähnliches Verbot prüfte.
       Auch Spenden an Hamas-Sozialvereine gelten demnach als Unterstützung der
       Terrororganisation.
       
       Schiffauer sieht zwischen dem IHH-Verbot, den Ermittlungen gegen
       Generalsekretär Ücüncü und dem Ausschluss aus der Islamkonferenz eine
       Verbindung: "Die Politik, insbesondere ein Teil der CDU, will Milli Görüs
       kaltstellen." Das aber liefere dem Flügel, der gegen eine Öffnung zur
       deutschen Gesellschaft ist, nur neue Argumente.
       
       Doch die Frage ist: Wie bedeutend ist dieser Flügel überhaupt?
       
       Mitte April in der Duisburger Mercatorhalle. Ohrenbetäubender Beifall, als
       Erbakan die Bühne betritt. "Mücahit Erbakan!", tönt es aus tausenden
       Kehlen, "Anführer Erbakan". Erbakan wirkt gebrechlich, aber die Botschaft,
       die der 83-Jährige in seiner immer wieder von Jubelchören unterbrochenen
       Rede verbreitet, ist klar. Es gebe nur zwei Kategorien von Menschen: die
       Milli-Görüsler, die für Gerechtigkeit einträten - und alle anderen.
       
       Neben Erbakan auf dem Podium sitzt die Führungsspitze der IGMG. Der
       Vorsitzende und sein Generalsekretär schauen verkniffen. Sie sind seit
       Jahren bemüht, den Anschein einer größeren Eigenständigkeit der türkischen
       Milli-Görüs-Bewegung zu erwecken. Doch an der Basis wird Erbakan weiter
       verehrt. "Wir müssen Rücksicht nehmen auf unsere älteren Mitglieder", sagt
       ein junger Funktionär hinter vorgehaltener Hand.
       
       Ahmet Senyurt ist Journalist, seit 15 Jahren recherchiert er zu Milli
       Görüs. Er hat über die undurchsichtigen Strukturen und das
       Immobilienimperium der IGMG gearbeitet, über abgeschottete Gemeinden,
       dubiose Schulungen und die Beziehungen der IGMG zu noch radikaleren
       Gruppierungen. Senyurts Deutung fällt ganz anders aus als die Schiffauers.
       "Mit dem IHH-Verbot hat sich der sogenannte Reformflügel in der IGMG selbst
       beschädigt", sagt Senyurt. Für ihn ist klar: So demokratisch, wie sie sich
       geben, sind die Reformer nicht. Die Rechtfertigungsversuche von Yoldas
       regen ihn auf: "Es ist immer dasselbe: Es gibt einen Skandal;
       Opferinszenierung und Gerede über Schaden für die Integration folgen, und
       am Ende liegt die Schuld bei den anderen." Das Problem sei, dass die IGMG
       die entscheidenden Fragen nicht transparent diskutiere: Wie halten wir es
       mit der Demokratie? Mit Antisemitismus? Mit Gewalt? Wie stehen wir also zu
       der Ideologie Erbakans?
       
       Die Politik ist uneins, wie sie mit der IGMG weiter umgehen soll. Berlins
       Innensenator Ehrhart Körting (SPD) will auch nach dem IHH-Verbot den Dialog
       mit Milli Görüs fortsetzen. Er hatte nach dem Ausschluss aus der
       Islamkonferenz demonstrativ eine Moschee besucht, die der IGMG nahesteht.
       Hingegen deutete Innenstaatssekretär Ole Schröder (CDU) an, weiter Härte
       zeigen zu wollen: "Wir werden sehen, inwieweit diese Verbindungen auch zu
       einer politischen Neubewertung von Milli Görüs führen werden."
       
       In Hamburg will man sich noch nicht äußern, wie sich das IHH-Verbot auf die
       Gespräche mit Mustafa Yoldas, dem freundlichen Gesicht der IGMG im Norden,
       auswirkt. Aber ein "Weiter so" wird es kaum geben können.
       
       Autoren: SABINE AM ORDE / PASCAL BEUCKER / WOLF SCHMIDT / DANIEL WIESE
       
       18 Jul 2010
       
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