# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Warten auf Montag früh
       
       > Wir leben längst digital, fühlen uns aber noch analog. Deshalb darf
       > nervös sein, wer offline ist, wer aber freiwillig dem Internet entsagt,
       > versteht nicht, was sich verändert hat.
       
       Eigentlich wollte ich gerade eine Kolumne über Internetsucht schreiben.
       Genauer gesagt über die Welle an Selbstversuchen zur Internetabstinenz, die
       uns derzeit erreicht. Seit Schirrmacher die Büchse der Internetskepsis
       geöffnet hat, häufen sich ja die Titel wie "Mein Leben ohne Internet" oder
       "Ich bin dann mal offline".
       
       Aber man sollte das Schicksal nicht herausfordern. Gerade als ich mich an
       den Text mache, bricht ein schweres Unwetter aus und kappt meine
       Internetverbindung. Kein Witz. Und so sitze ich nun ein ganzes langes
       Wochenende völlig netzlos in der Pampa und warte darauf, dass mich
       Montagmorgen um acht Uhr ein Techniker wieder connected.
       
       Nun, wo ich den Entzug also am eigenen Leib erlebe, könnte ich Ihnen mitten
       aus der Erfahrung berichten. Allein, mir fehlt das wesentliche Element: die
       Freiwilligkeit. Die Erfahrungsberichte gehören der Gattung der Askese an,
       das ist freiwilliger Verzicht, seelische Selbstschulung zu höheren Zwecken.
       
       Tatsächlich ist dies eine erstaunliche Selbstdisziplinierung. Denn im
       Unterschied zu sonstigen Süchten - ob Drogen, Spiel oder Zigaretten - ist
       die Internetsucht ja primär eine kollektive Abhängigkeit, also eher ein
       gesellschaftlicher Zustand. Mehr noch, sie ist zur Voraussetzung unseres
       gesellschaftlichen Seins geworden. Es reicht also nicht aus, starken
       Wünschen einen noch stärkeren Willen entgegenzuhalten, wie bei den
       individuellen Lastern. Die Probanden müssen vielmehr eine Reihe von
       Vorkehrungen treffen, bevor sie sich in die Diaspora der analogen Welt
       verabschieden: Sie müssen sich regelrecht abmelden.
       
       Was mich in erster Linie beschäftigte, war nicht unsere unauflösliche
       Verwobenheit mit dem Netz, auch nicht der Verfall von Fertigkeiten oder
       Konzentration. Mich interessierten vielmehr diese Selbstversuche als
       solche, diese öffentlichen Kasteiungen, diese privaten Initiativen, die
       einen gesellschaftlichen Zustand überschreiten oder besser umkehren wollen.
       Denn diese Art des Ausstiegs ist ja getragen von der Sehnsucht nach einem
       anderen Leben, von der Suche nach einem anderen Subjekt-Sein. Ist dies ein
       authentischeres Subjekt? Jedenfalls ist es ein früheres. Diese
       Selbstversuche zeigen sehr deutlich das Dilemma an: die Tatsache, dass wir
       alle längst in dieser schönen neuen Welt leben, dass wir längst digitale
       Subjekte sind, auch wenn wir uns noch analog fühlen. Es ist dies die
       klassische Problematik von Wendezeiten, wo man gleichzeitig in zwei
       gegensätzlichen Erfahrungsformen steht.
       
       Die Versuche des Entzugs zeigen also nicht so sehr, wie abhängig wir vom
       Internet sind, als vielmehr, wie objektive Veränderung und subjektive
       Wahrnehmung unserer Individualität auseinanderklaffen. Gerade an solchen
       Gegenbewegungen wird deutlich, wie weit die Veränderung bereits
       fortgeschritten ist und wie wenig wir dies verstanden haben. Wie etwa beim
       Nationalismus, wo erst das moderne Subjekt für authentische, archaische
       Lebensformen schwärmen konnte, weil es diese eben verlassen hatte.
       
       Aber macht das Internet wirklich Cyborgs aus uns, an Maschinen
       angeschlossene Mischwesen, die sich ihrer Subjektivität nicht mehr
       vergewissern können? Dem unterliegt ein romantisches Missverständnis von
       Technik. Der Urvater aller Medientheorie, Marshall McLuhan, schrieb bereits
       in den 1960er Jahren, dass alle Techniken Medien seien, also Mittel zur
       Kommunikation mit unserer Umwelt. Und jedes Medium - ob Glühbirnen,
       Kleider, Häuser, Elektrizität oder Telefone - sei nichts anderes als eine
       Erweiterungen unseres Körpers, unserer Sinne, unseres Ichs.
       
       Wir sind also nicht nur mit jedem Medium unmittelbar körperlich vernetzt,
       sondern jedes Medium verändert uns grundlegend. Wir brauchen nicht zu
       beklagen, dass wir Cyborgs werden: Denn wir sind immer schon Cyborgs
       gewesen (mit je verschiedenen Medien kurzgeschlossen). Und die Vorstellung,
       jemals etwas anderes gewesen zu sein, ist nichts als eine romantische
       Flause. In diesem Sinne ist es also ganz normal, wenn ich zunehmend nervös
       werde, so ganz de-connected in der Wüste der analogen Welt. Und wenn ich
       nur noch auf Montag früh warte, so bin ich einfach nur auf der Höhe der
       Zeit.
       
       26 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Isolde Charim
       
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