# taz.de -- "Tiere essen" von Safran Foer: Veganer bis 17 Uhr
       
       > Zum großen Wandel in kleinen Schritten, dazu rät Jonathan Safran Foer.
       > Sein neues Buch "Tiere essen" ist eine brillante Mischung aus
       > Recherchejournalismus und Autobiografie.
       
 (IMG) Bild: "Wenn jeder einmal die Woche weniger Fleisch isst als bisher, dann ist das eine radikale Veränderung", findet Safran Foer.
       
       Da der Klimawandel das zentrale Thema des 21. Jahrhunderts ist, müsste es
       langsam auch einen wegweisenden Roman dazu geben? Der britische
       Schriftsteller Ian McEwan hat es versucht - und ist gescheitert. Sein Buch
       heißt "Solar" und erscheint Ende September in deutscher Übersetzung. Das
       zentrale Buch zu diesem Thema und allem, was damit zusammenhängt, kommt bis
       auf Weiteres von dem New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer und ist
       kein Roman, sondern eine brillante Mischung aus Recherchejournalismus und
       Autobiografie: "Tiere essen".
       
       Safran Foer, 33, studierte in Princeton und wurde 2002 mit seinem
       Erstlingsroman "Alles ist erleuchtet" sehr berühmt. Der Roman ist eine
       fiktionalisierte, historische Spurensuche in der Ukraine, in der Safran
       Foers jüdische Großeltern den Deutschen und dem Holocaust knapp entkamen.
       Safran Foer ist Jude, und er ist verheiratet mit der sehr erfolgreichen
       Schriftstellerin Nicole Krauss - deren jüdische Großeltern vor den Nazis
       aus Europa flohen. Das "Glamourpaar" (FAZ) der US-Literatur lebt in
       Brooklyn, New York, und hat zwei Kinder. Die Geburt des ersten Kindes
       inspirierte ihn nach zwei postmodernen, stilistisch spielerischen Romanen
       zu diesem überraschenden Buch.
       
       Krieg gegen die Tiere 
       
       Safran Foer hat dafür in Schlachthäusern zugesehen, wie Tiere getötet
       werden. Er sieht die Menschheit im Krieg gegen Tiere und vor allem gegen
       die Meere. Seine Erkenntnisse über die Massentierhaltung und industrielle
       Fleischproduktion, die Grausamkeit der Massentötung und die fatalen
       Auswirkungen auf Umwelt und Klima sind weitgehend auf Deutschland zu
       übertragen.
       
       Fleisch ist für ihn der "Elefant im Wohnzimmer, den jeder übersieht".
       Industrielle Tierzucht und Fleischproduktion haben einen sehr hohen Anteil
       an der Erderwärmung; manche Quellen sagen 18 Prozent, andere beziffern das
       deutlich höher. Der britische Umweltvordenker James Lovelock sieht die
       Menschheit bis 2100 unter anderem deshalb auf ein Fünftel schrumpfen, weil
       eine demokratische Gesellschaft zu wirklich relevantem Klimaschutz wie
       fleischfreier Ernährung nicht in der Lage sei. Deutliche Reduzierung von
       Fleischverzehr ist eine Schlüsselfrage, aber der Bedarf ist steigend. Das
       Sprechen darüber ist schwer, weil große Teile der Gesellschaft sich hinter
       kulturellen und emotionalen Blockaden verschanzen.
       
       "Vieles war schwierig an diesem Buch", sagt Safran Foer am Telefon aus
       Jerusalem, wo er mehrere Monate verbringt. Zum Beispiel sei es fast
       unmöglich, in einen Schlachthof reinzukommen. "Aber das Schwierigste ist
       es, einen guten Ton zu finden, der die Leute nicht verärgert oder aggressiv
       macht." Das ist ihm in den USA weitgehend gelungen: Menschen sagten ihm, er
       habe ihr Leben verändert, etwa die Schauspielerin Natalie Portman, die nach
       Lektüre Veganerin wurde. Andere keilten zurück: Manch "erzkonservativer
       Schmock", sagt Safran Foer, sehe schon bei einem fleischfreien Tag in
       Schulen seine freiheitlichen Grundrechte bedroht. Oder seinen Marktanteil.
       Oder am besten gleich Amerika.
       
       Rhetorik des Vegetarismus 
       
       Aber auch manch linksliberaler, aufgeklärter Menschenfreund erreicht die
       eigenen kulturellen Grenzen, wenn er das Gefühl hat, man wolle ihm sein
       Wiener Schnitzel verbieten. Vor allem, wenn man ihn moralisch konfrontiere
       oder sage: "Tiere töten ist falsch. Ende der Diskussion." Damit gewinne man
       einen, verliere aber zehn, die sich dann sagten: Okay, ich bin nun mal
       Allesfresser, und die dann die entsprechenden Begründungen dafür finden,
       von den Proteinen über den Genuss, die Kultur, das Freiheitsargument bis
       zum historischen Wachstum des menschlichen Gehirns durch einsetzenden
       Fleischverzehr.
       
       "Die Rhetorik des Vegetarismus ist wirklich überzogen und sehr ärgerlich",
       sagt Safran Foer. "Nehmen Sie T-Shirts, auf denen ,Fleisch ist Mord' steht
       - ich weiß nicht, ob das andere Menschen überzeugt oder ob es sich nicht
       nur für den gut anfühlt, der es trägt." Die Frage sei: "Was willst du mit
       deiner Botschaft erreichen?"
       
       Es reicht nicht, Vegetarier zu sein und den Industriefleischesser am
       Nebentisch für verantwortlich zu erklären - selbst wenn er das für Foer
       ist. Also sagt er: "Wenn jeder einmal die Woche weniger Fleisch isst als
       bisher, dann ist das eine radikale Veränderung."
       
       Einmal die Woche? Der geübte Kritiker von individueller
       Lebensstilverantwortung könnte hier versucht sein, Safran Foer als weiteres
       Beispiel für Larifari-Besserverdienenden-Ökoboheme abzuhaken, der es an
       politischer Dimension oder Vollmoral mangelt.
       
       Es wäre ein Missverständnis. Er weiß und sagt, dass es radikalen Wandel
       braucht. Aber wie kriegt man Radikalität, wenn Menschen alles wollen, bloß
       nicht radikale Veränderung? Durch anderes Denken. "Wir missverstehen
       radikalen Wandel und denken, das bedeute, dass ein Individuum sich komplett
       verändern muss." Falscher Ansatz. "Wir sind besessen von individuellen
       Fragen und vergessen dabei, uns miteinander zu verknüpfen." Der "radikale
       kulturelle Wandel", von dem er spricht, entsteht durch Verknüpfung.
       Konkret: "Wenn alle Amerikaner, sagen wir, donnerstags fleischlos zu Mittag
       essen, entspräche das dem Äquivalent von fünf Millionen Autos weniger auf
       der Straße, das ist ein ganz großes Ding."
       
       Safran Foer glaubt nicht an eine genetische oder historische Determinierung
       und auch nicht, dass Tierproteine für eine "ausgewogene" Ernährung nötig
       sind. Er verweist darauf, dass Vegetarier länger leben. Für ihn geht der
       exorbitant gestiegene globale Fleischkonsum in den letzten hundert Jahren
       hauptsächlich auf zwei Treiber zurück: die ökonomischen Interessen der
       Industriefleischbranche und die Einübung als Wohlstandsgewohnheit - auch in
       Gesellschaften, die zuvor stark vegetarisch geprägt waren.
       
       Kochen meint Liebe 
       
       In "Tiere essen" beschäftigt er sich auch mit der Bedeutung von Essen und
       Fleisch für Menschen als Teil einer individuellen, familiären und
       gesellschaftlichen Identität. Er nennt und schätzt die Bedeutung des
       Thanksgiving-Truthahns. Er respektiert auch, dass Menschen ihre Liebe zu
       ihren Kindern, Lebenspartnern, Freunden durch Zubereitung eines Tiers
       ausdrücken möchten. "Ich verstehe, wenn jemand sagt, er liebe Fleisch, er
       könne nicht Vegetarier werden", sagt er. "Ich verstehe aber nicht, wenn
       jemand sagt, er könne nicht einmal die Woche weniger Fleisch essen." Er
       nennt den Gastrokritiker Mark Bittman von der New York Times. Der liebe
       Fleisch, müsse es beruflich essen und sei "Veganer bis 17 Uhr" geworden,
       das beinhaltet Frühstück und Mittagessen. Darum gehe es: "Statt alles oder
       nichts - eine eigene Balance finden. Das bringt viele Menschen in die
       richtige Richtung - weg von der Fleischindustrie."
       
       Geschichten über Essen, das ist seine These, sind Geschichten über uns und
       unsere Werte. Und wir sind Geschichten für unsere Kinder: Was wir sind und
       was wir sein wollen. Weil Safran Foer weiß, dass Menschen nicht wegen
       Fakten ihr Leben verändern, erzählt er die Geschichte seiner Großmutter,
       die auf der Flucht vor den Nazis ein ihr angebotenes Stück Schweinefleisch
       ablehnt - obwohl sie am Verhungern ist. Die Moral der Geschichte ist nicht,
       dass man als Jüdin nur koscheres Fleisch essen darf. Ihre Begründung
       lautet: "Wenn nichts wichtig ist, dann gibt es auch nichts zu retten."
       
       Geschichte ohne Fleisch 
       
       Foer drückt es anders aus: "Wenn ich an etwas glaube, muss ich danach
       handeln." Er ist nach einem Hin und Her von zwanzig Jahren jetzt Vegetarier
       geworden, weil er für seine Kinder eine Geschichte ohne Fleisch erzählen
       will. Er ist hochmoralisch, aber er will niemanden überfordern oder mit dem
       Gefühl der Hilflosigkeit zurücklassen, sondern allen Zugang zu einer
       individuellen positiven Veränderungsgeschichte ermöglichen. Das ist das
       Herausragende an "Tiere essen", nicht die Fakten und Zahlen und auch nicht
       die moralphilosophischen Passagen.
       
       Das Interessante ist, dass ausgerechnet ein Künstler und Intellektueller
       dermaßen Ernst macht. Einer, dessen literarische Vorbilder Homer und Kafka
       sind - zumindest Letzterer übrigens ein Vegetarier. Ein "geborener
       Surrealist", wie seine Förderin Joyce Carol Oates ihn genannt hat. Wie
       kommt das? "Vor zehn Jahren haben wir über Frieden im Nahen Osten geredet
       oder dass wir mehr Zeit mit Abendessen verbringen sollten", sagt Safran
       Foer. "Jetzt reden wir darüber, ob unser Planet unbewohnbar sein wird, ob
       in den Meeren noch Leben sein wird." Die Natur der Fragen habe sich
       geändert, Gleichgültigkeit sei schwierig geworden, unsere menschlichen
       Fehler seien nicht mehr emotional, sondern materiell real. "Wir müssen uns
       dramatisch verändern", sagt Safran Foer, "aber der einzige Weg, es zu
       schaffen, ist, damit anzufangen."
       
       Safran Foer, Enkel von Holocaust-Überlebenden, gehört zu einer
       Nachkriegsgeneration, die trotz allem vergleichsweise wohlhabend und
       unbeschwert aufwachsen konnte. Ihr Lieblingswort heißt "eigentlich".
       Eigentlich müsste man. In dem gesamten Gespräch benutzt Jonathan Safran
       Foer das Wort kein einziges Mal.
       
       Jonathan Safran Foer, "Tiere essen", Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
       2010, 400 Seiten, 19,95 Euro
       
       14 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
 (DIR) Peter Unfried
       
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