# taz.de -- Massaker an Entwicklungshelfern: Taliban-Kommandant spricht von Mord
       
       > Der Militärführer der Aufständischen in West-Nuristan verurteilt das
       > Massaker an zehn Entwicklungshelfern und würdigt deren Arbeit. Zuvor
       > hatte sich ein Taliban-Sprecher zu der Tat bekannt.
       
 (IMG) Bild: Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisation
       
       BERLIN taz | Als Sonnabendmittag auf dem alten britischen Friedhof von
       Kabul zwei der am 5. August in Nordostafghanistan ermordeten zehn
       Entwicklungshelfer im kleinen Kreis bestattet wurden, war gerade eine
       weitere Kondolenzbotschaft eingegangen. "Wir bedauern diese Morde und
       unterstreichen strikt, dass dies nicht die Tat der Taliban ist, die niemals
       genuinen Helfern schaden würden. Wir übermitteln unser Beileid den Familien
       der Getöteten." Absender ist Qari Malang, Kommandeur der "Taliban-Front von
       West-Nuristan", auf dessen Gebiet das Augencamp der International
       Assistance Mission (IAM) stattgefunden hatte, das von den beiden in der
       afghanischen Hauptstadt Bestatteten, Dan Terry und Tom Little, mit zehn
       afghanischen und ausländischen Kollegen organisiert worden. Auf dem
       Rückweg, an der Grenze zwischen Nuristan und der nördlichen Nachbarprovinz
       Badachschan, waren zehn von ihnen ermordet worden. Die genauen Umstände
       sind nicht bekannt.
       
       Keiner der örtlichen Taliban-Kommandeure habe die Morde begangen, sagte
       Qari Malang, der direkt dem Taliban-Gegengouverneur von Nuristan
       untersteht, dem in Kabul und Berlin ansässigen unabhängigen Afghanistan
       Analysts Network (AAN). Man werde eine eigene Untersuchung durchführen. In
       dem Gebiet sind die Aufständischen präsenter als Strukturen der Kabuler
       Regierung. Zudem würdigte der Taliban-Kommandeur die Arbeit der Ermordeten.
       "Wir haben alle Fakten überprüft, die mit diesen Ausländern zu tun haben",
       sagte er. "Unsere Leute in dem Gebiet haben bestätigt, dass es sich um
       Entwicklungshelfer gehandelt hat, die die Bevölkerung unterstützt haben."
       Schon ein paar Tage zuvor hatte der Schattengouverneur von Badachschan die
       Tat als "Verbrechen" bezeichnet und ebenfalls sein "Beileid" ausgesprochen.
       
       Diese Erklärungen lassen zwei Interpretationen zu. Zum einen könnten sie
       ein Versuch der Taliban von Nuristan und Badachschan sein, sich von einer
       Tat reinzuwaschen, die sie inzwischen als schädlich betrachten. Doch dann
       hätte man mit Ausflüchten rechnen können. Die klaren Worte von "Verbrechen"
       und "Beileid" lassen eher den Schluss zu, dass zumindest im Nordosten des
       Landes örtliche Kommandeure eine weitgehende Autonomie von der entfernt
       irgendwo im Grenzgebiet von Pakistan und Südafghanistan sitzenden Führung
       der Aufständischen um Mullah Omar genießen. Sie haben offenbar kein Problem
       damit, ihr öffentlich zu widersprechen. Beide Taliban-Funktionäre sind
       zudem - im Gegensatz zu Mullah Omars innerem Kreis - keine Paschtunen.
       
       Zudem lassen diese Aussagen die zwei Tage nach den Morden veröffentlichte
       Erklärung eines Taliban-Sprechers, seine Bewegung habe die Tat begangen, in
       neuem Licht erscheinen. Mullah Omars Taliban-Führung könnte wieder einmal
       die Verantwortung für eine Aktion übernommen haben, die sie nicht
       durchgeführt hat, von der sie aber annahm, dass sie sich als "Schlag gegen
       die Okkupanten" propagandistisch ausschlachten lässt. Nicht ohne Grund
       bezeichnete der Taliban-Sprecher die Getöteten, die einer schon 40 Jahre
       lang in Afghanistan tätigen christlichen Organisation angehörten, nicht als
       Entwicklungshelfer, sondern als "Missionare" und bezichtigte sie - ohne
       dass irgendjemand das bestätigt hätte -, Bibeln in Landessprache mit sich
       zu führen.
       
       Insgesamt wollen die Taliban sowohl in der afghanischen als auch der
       internationalen Öffentlichkeit nicht als fanatische Mörder dastehen,
       sondern als Befreiungskämpfer, die sich diszipliniert an bestimmte
       Prinzipien halten. Deshalb hat die Taliban-Führung gerade ein
       aktualisiertes Handbuch für ihre Fußsoldaten herausgegeben, indem es unter
       anderem heißt, dass Todesurteile nur von Mullah Omar, seinem Stellvertreter
       oder durch ein örtliches islamisches Gericht verhängt werden dürfen. Das
       letztere war im Fall der zehn IAM-Helfer offensichtlich nicht der Fall.
       
       22 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA