# taz.de -- Debatte Reiche in Deutschland: Ein Land guckt weg
       
       > Wer arm ist, wird komplett durchleuchtet, wer Geld hat, bleibt unerfasst.
       > Der Datenmangel ist kein Zufall, er ist politisch gewollt.
       
       Geld ist ein scheues Reh. Dieses Bild ist abgegriffen, aber wahr. So gehört
       es zu den deutschen Statistikwundern, dass zwar erfasst ist, dass es 2007
       exakt 69 Theaterorchester gab - doch sehr unklar ist, über wie viel
       Vermögen und Einkommen die reichen Bundesbürger verfügen.
       
       Diese statistischen Lücken sind kein Zufall. Die deutschen Eliten wissen
       genau, dass eine Verteilungsdiskussion nur aufkommen kann, wenn bekannt
       ist, wie der Wohlstand verteilt ist. Also bleibt dies ein Geheimnis.
       
       Die Kurvenmethode 
       
       Dieser Datenmangel wird zudem geschickt kaschiert, denn regelmäßig
       erscheinen seriös anmutende Vermögensberichte. Akribisch wirkt etwa der
       "Weltreichtumsbericht", den die US-Investmentbank Merrill Lynch und die
       Beratungsfirma Capgemini jährlich erstellen. Danach soll es 2009 in
       Deutschland 861.500 Millionäre gegeben haben, 2008 waren es angeblich nur
       809.700. Das sieht nach echter Statistik aus - bis man zum Methodik-Teil
       der Studie blättert. Dort wird es abenteuerlich. Offenbar wird die Zahl der
       Millionäre dank einer "Capgemini Lorenz Kurvenmethode" ermittelt, die
       "Schätzungen" auf der "Makro-Ebene" fortschreibt. Unklar bleibt aber, was
       wohl diese "Capgemini Lorenz Kurvenmethode" sein soll. Zudem ist
       unwahrscheinlich, dass die Zahlen stimmen - wie schon der Vergleich mit
       einem Konkurrenzunternehmen zeigt.
       
       Die Beratungsfirma Boston Consulting hat nämlich ebenfalls entdeckt, dass
       Reichen-Rankings ein wunderbares Marketing-Instrument sind, das
       großformatige Zeitungsartikel garantiert. Allerdings kommt Boston
       Consulting für das Jahr 2008 nur auf 373.565 Dollar-Millionäre in
       Deutschland. Noch seltsamer: Capgemini weist zwar deutlich mehr Millionäre
       aus, dafür sollen diese aber deutlich weniger besitzen als bei Boston
       Consulting. Für 2008 schätzt Capgemini das Vermögen der "High Net Worth
       Individuals" auf weltweit insgesamt 32,8 Billionen Dollar. Boston
       Consulting kommt auf stolze 92,4 Billionen.
       
       Aber auch die amtliche Statistik weiß fast nichts über die Reichen in
       Deutschland. Die offiziellen Daten sind so lückenhaft, dass sie kaum zu
       gebrauchen sind.
       
       Um die Erhebungen kurz vorzustellen: Einen groben Überblick bietet die
       Bundesbank. Sie hat für das Jahr 2007 ermittelt, dass die Deutschen ein
       Reinvermögen von 9,5 Billionen Euro besaßen - davon 4,6 Billionen als
       Geldvermögen. Diese Durchschnittswerte sagen jedoch nichts darüber aus, wie
       sich das Vermögen individuell zwischen Armen, Mittelschicht und Reichen
       verteilt. Dafür sind die Statistiken der Bundesbank blind.
       
       Scheu wie die Rehe 
       
       Daher erstellt das Statistische Bundesamt alle fünf Jahre die Einkommens-
       und Verbrauchsstichprobe (EVS). Befragt werden knapp 60.000 Haushalte. Das
       Amt selbst ist sehr stolz auf diese Masseninterviews: Die EVS sei "die
       größte Erhebung dieser Art innerhalb der Europäischen Union". Allerdings
       werden Großverdiener nicht erfasst. Die Statistik berücksichtigt keine
       Haushalte, die über ein monatliches Nettoeinkommen von mehr als 18.000 Euro
       verfügen. Sie würden "in der Regel nicht in so ausreichender Zahl an der
       Erhebung teilnehmen, dass gesicherte Aussagen über ihre Lebensverhältnisse
       getroffen werden könnten". Übersetzt: Das Statistikamt hat festgestellt,
       dass die Reichen eine gewisse Scheu zeigen, über ihr Einkommen und ihr
       Vermögen freiwillig Auskunft zu geben.
       
       Nicht freiwillig ist hingegen eine andere Stichprobe: der Mikrozensus.
       Jährlich ist ein Prozent der Bevölkerung verpflichtet, sich an dieser
       Erhebung zu beteiligen. Auch die Reichen können sich nicht entziehen.
       Allerdings wird das Vermögen gar nicht abgefragt - und das Einkommen nur
       sehr pauschal erhoben. Spitzenverdiener müssen dort nur ankreuzen, ob ihr
       persönliches Nettoeinkommen "18.000 Euro oder mehr beträgt". Mit dem
       Mikrozensus ist also nicht besonders viel anzufangen.
       
       Und die Finanzämter? 
       
       Bleiben noch die Finanzämter. Denn auch Spitzenverdiener müssen Steuern
       zahlen. Den aktuellsten Daten von 2005 ist zu entnehmen, dass es damals
       39.833 Steuerpflichtige gab, die ein Jahreseinkommen von mehr als 500.000
       Euro brutto zu versteuern hatten. Doch auch bei dieser Statistik bleiben
       immense Lücken. Gerade Unternehmer, Selbstständige und Freiberufler können
       sich leicht fürs Finanzamt arm rechnen. Legendär ist etwa die Tatsache,
       dass zwar 52 Prozent der Deutschen zur Miete wohnen, bei den Finanzämtern
       jedoch kaum Mieteinnahmen versteuert werden. Stets wissen es die
       Hausbesitzer so darzustellen, dass ihre Mehrfamilienhäuser eigentlich nur
       Kosten verursachen.
       
       Zudem erhebt die Einkommensteuerstatistik - wie der Name schon sagt - nur
       das jährliche Einkommen. Über das Gesamtvermögen der Reichen haben die
       Finanzämter keine Übersicht. Früher gab es immerhin noch eine
       Vermögensteuer, die zumindest ein wenig verriet, wer wie viel besaß. Doch
       seit 1997 wird sie nicht mehr erhoben.
       
       Als eine ziemlich verlässliche Quelle bleibt daher nur noch das
       Sozio-ökonomische Panel, kurz SOEP. Seit 1984 gibt es diese repräsentative
       Langzeiterhebung, die jährlich die gleichen rund 12.000 Haushalte befragt.
       Seit 2002 gehört auch eine "Hocheinkommensstichprobe" dazu, um endlich
       bessere Daten über die Reichen zu erhalten. Es existiert keine genauere
       Erhebung - trotzdem liefern auch die SOEP-Befragungen nur lückenhafte
       Erkenntnisse. Billionen verschwinden aus der Statistik: Während die
       Bundesbank für das Jahr 2007 ein Reinvermögen von 9,5 Billionen ermittelte,
       kam das SOEP nur auf 6,6 Billionen. Diese Differenz lässt sich zum Teil
       durch statistische Abweichungen erklären. So erhebt das SOEP nicht den Wert
       von Gebrauchsgegenständen wie Autos oder Teppichen. Trotzdem ist weit mehr
       als eine Billion Euro verschollen. Niemand weiß, wer sie besitzt.
       
       In Deutschland gibt es einen Armuts- und Reichtumsbericht, der 226 eng
       beschriebene Seiten umfasst. Doch nur zehn Seiten davon widmen sich den
       Reichen, der Rest beschäftigt sich mit den Armen. Die Unterschichten sind
       statistisch bestens erfasst, während man über die Vermögenseliten kaum
       etwas weiß. Das ist politisch gewollt.
       
       26 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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