# taz.de -- Regionen ohne DSL-Anschluss: Jenseits des Breitbandes
       
       > Während einige Großstädter schon freiwillig ohne DSL-Anschluss leben, hat
       > Karl-Heinz Ojinski in der Prignitz keine andere Wahl.
       
 (IMG) Bild: Mehr Störche als Breitband-Anschlüsse? Das Dorf Rühstädt in der Prignitz.
       
       BERLIN / RÜHSTÄDT / PRIGNITZ taz | "Vielleicht sind wir alle ein bisschen
       onlinesüchtig geworden", sagt Christoph Koch auf der Bühne der Kantine am
       Berghain, einer Nebenlocation des angesagten Technoclubs. Das junge
       Publikum lächelt verschämt über das halbe Kompliment. Workaholic ist doch
       90er, heutzutage ist man Webaholic. Die neue Statussucht heißt Onlinesein.
       
       Weil das viele Internet aber irgendwie auch ein Fluch ist, hat es der
       Journalist Christoph Koch 40 Tage lang aus seinem Leben verbannt und den
       Entzug in einem Buch verarbeitet. Er ist nicht der Einzige. FAZ-Herausgeber
       Frank Schirrmacher klagte letztes Jahr, dass er vom Netz überfordert sei.
       Kurz darauf outete sich SZ-Feuilletonredakteur Alex Rühle als
       internetsüchtig, belegte die körperliche Abhängigkeit mit einem
       Phantomvibrieren an seiner Brust, wenn er dort mal nicht sein Blackberry
       trug, ging ein halbes Jahr offline - und schrieb ebenfalls ein Buch
       darüber. Außerhalb der Städte fehlt dieser Sucht vielerorts die Grundlage.
       Wenige Kilometer vor Berlin warten die Leute noch immer auf ihren
       DSL-Anschluss.
       
       Per Handy ins Netz 
       
       Nach Rühstädt in der Prignitz kam schon alles mögliche. Dutzende Störche
       finden jedes Jahr den Weg in das 600-Seelen-Dorf an der Elbe - gefolgt von
       hunderten Touristen. Auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder und
       der aktuelle Ministerpräsident Matthias Platzeck waren schon da. Nicht
       wegen der Störche, sondern wegen des Vorzeigeunternehmers Karl-Heinz
       Ojinski. Seine Fabrikate treiben Schiffsmotoren an und setzen kranke Hüften
       wieder in Bewegung. Die Aufträge kommen aus der ganzen Welt. Nur
       Breitbandinternet hat es bislang nicht nach Rühstädt geschafft.
       
       "Es spottet jeder Beschreibung", sagt Ojinski und findet trotzdem die
       richtigen Worte für seine Situation: "Wir sind mit unseren CNC-Fräsen immer
       auf dem neusten Stand der Technik. Aber kommunizieren müssen wir wie mit
       Trommel und Buschfeuer." Nicht dass Netzprobleme etwas Neues für ihn wären.
       Schon die Energieversorgung sei für ihn teurer als in der Stadt und noch
       dazu unzuverlässig. Fliegt ein Storch auf eine der Freileitungen zu,
       schaltet der Strom kurz ab, die Maschinen halten an - das koste ihn jedes
       Mal 500 bis 1.000 Euro, sagt Ojinski. Mit Blockheizkraftwerk und
       Fotovoltaikanlage konnte er sich wenigstens ein Stück weit vom Stromnetz
       emanzipieren.
       
       Die Sache mit dem Internet ist problematischer. Noch immer ist die gesamte
       Gemeinde nicht mit Breitband versorgt. Die Einwohner gehen via ISDN oder
       Mobilfunk ins Netz. Ojinski behilft sich mit einer Satellitenschüssel,
       kommt so auf etwas mehr als ISDN-Geschwindigkeit - vorausgesetzt, das
       Wetter ist gut. Ausreichend ist aber auch das nicht. In seiner Branche
       werden Auftragsdaten - Muster für die Fräsen - immer häufiger übers
       Internet ausgetauscht. Die Satellitenschüssel macht das nicht mit.
       
       Dass Ojinskis Betrieb auf dem Land liegt, ist nur einer der Gründe für die
       unzureichende Versorgung. Dünne Besiedlung macht die Erschließung mit
       Breitband aufwendig und kostspielig. Die Signalstärke von Leitungen lässt
       über lange Distanzen nach, und die Verlegung von Kabeln für nur so wenige
       Anschlüsse ist unwirtschaftlich. Ein weiterer Grund ist politischer Natur:
       "Man hat in Deutschland zu sehr auf den Markt und den Wettbewerb der
       Anbieter vertraut", sagt Georg Erber vom Deutschen Institut für
       Wirtschaftsforschung. "Diese haben aber vorrangig ihre kurzfristigen
       Gewinne gesteigert und langfristigere Perspektiven insbesondere im
       ländlichen Raum ignoriert."
       
       Nur den Profit im Sinn 
       
       Als vor zwei Jahren noch immer 5 Millionen Haushalte kein Breitband hatten,
       sprang der Staat ein. Gelder aus dem Konjunkturpaket II sowie EU- und
       Landesmittel wurden zur Verfügung gestellt. Die Länder starteten
       Breitbandoffensiven. So auch Brandenburg. 130.000 Einwohner galten hier als
       unterversorgt, hatten Anschlüsse unter 1 Mbit pro Sekunde. Bis Ende 2010
       sollten alle mindestens 2 Mbit haben. In den Städten ist das Achtfache
       üblich. Jürgen Hegemann, der Breitbandbeauftragte des Landes, will die Zahl
       der Unterversorgten bis September auf 20.000 reduzieren.
       
       Parallel dazu läuft die Diskussion über ein "Grundrecht Internet". Im Juli
       hat Finnland den Breitbandanschluss zum einklagbaren Recht erhoben. In
       Deutschland erklärte der Chaos Computer Club das Breitband zu einer
       "Bedingung für die Teilnahme am kulturellen und politischen Leben". Auf der
       anderen Seite sind Andeutungen von Google durchgesickert, dass die
       Netzneutralität aufgehoben werden könnte, also der Grundsatz, dass bei
       einem Datenstau alle Daten gleich behandelt werden. Würde dies Praxis,
       könnten finanzkräftige Anbieter Datenautobahnen reservieren. Es wäre der
       Beginn des Klasseninternets.
       
       Die Erschließung ist das eine, die Geschwindigkeit das andere. In
       städtischen Gebieten der Prignitz ist der DSL-Anschluss kein Problem. In
       Stoßzeiten wird aber auch hier das Internet schon mal so langsam, dass
       manche ihre Arbeit einstellen. Das Rennen um schnelle Übertragungsraten hat
       aber in Deutschland gerade erst begonnen. Während Länder wie Japan und
       Südkorea bereits früh auf Glasfaserkabel gesetzt haben, mit denen
       Geschwindigkeiten von bis zu 1.000 Mbit möglich sein werden, hat
       Deutschland auf den - kurzfristig günstigeren - graduellen Ausbau gesetzt.
       Heute ist DSL mit 16 Mbit state of the art. In wenigen Jahren wird aber
       auch diese Technologie veraltet sein. "Jetzt wird der Druck größer, noch
       höhere Bandbreiten anzubieten", sagt Erber. Daher soll nun VDSL auf Basis
       von Glasfasern ausgebaut werden, "allerdings zunächst in Ballungszentren".
       
       Höhere Bandbreiten sind aber auch in ländlichen Gebieten nötig. Unternehmen
       brauchen mehr und mehr datenintensive 3-D-Übertragungen oder das sogenannte
       Cloud Computing, bei dem Programme nicht mehr auf dem eigenen Computer,
       sondern auf einem leistungsfähigeren Rechner am anderen Ende der Republik
       ausgeführt werden. Der Multimediaanteil wächst außerdem rasant. Nach
       Berechnungen des IT-Unternehmens Cisco wird Video in vier Jahren 90 Prozent
       des Datenvolumens ausmachen - und das längst nicht nur zur Unterhaltung.
       
       Eine schnelle Videoübertragung wird für ländliche Gemeinden etwa in den
       Bereichen Bildung und Gesundheit existenziell wichtig. Franz-Reinhard
       Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, erklärt: "In
       vielen ländlichen Gemeinden fehlen beispielsweise die Ärzte. Mit
       Ärzteversorgungszentren kann dieses Problem entschärft werden. Das setzt
       aber voraus, dass sie per Video an Krankenhäuser angeschlossen werden
       können." Videoübertragung macht es möglich, mobile Krankenpfleger mit
       Ärzten kurzzuschließen. Pilotprojekte laufen bereits.
       
       Ein Kreis hilft sich selbst 
       
       Die Bundesnetzagentur setzt im Wesentlichen weiterhin darauf, dass die drei
       großen Anbieter Telekom, Vodafone und O2/Telefonica die Infrastruktur
       sicherstellen. Wo diese nicht von sich aus aktiv werden, wird mit
       Zuschüssen nachgeholfen. Einen alternativen Weg hatte vor drei Jahren der
       Hochsauerlandkreis (NRW) beschritten. "Wo lediglich Zuschüsse an private
       Netzbetreiber gegeben werden, ist das Netz aus der Hand", sagt Stefan
       Glusa, Prokurist der Telekommunikationsgesellschaft Hochsauerlandkreis, die
       vom Kreis getragen wird. "Deshalb haben wir das Netz selbst aufgebaut und
       vermieten es an die Anbieter."
       
       Rund 20 Prozent der Bevölkerung hätte der Markt von sich aus nicht bedient.
       Aber anstatt Zuschüsse für den Bau der Infrastruktur auszuzahlen, baute der
       Kreis das Netz in den unversorgten Gebieten selbst auf. "VW baut ja auch
       nicht die Straßen", begründet Geschäftsführer Bernhard Schulte das
       Vorgehen. Das Interesse anderer Gemeinden an dem Ansatz ist groß. Denn die
       Gemeinde bleibt im Besitz der Infrastruktur und kann diese im Idealfall
       durch Vermietung refinanzieren. Rathäuser und Schulen können direkt an ein
       Rechenzentrum angeschlossen werden. Allerdings muss der Kreis die
       Investitionen selbst tragen können - und Eigeninitiative zeigen. Der Mangel
       an Letzterem ist oft der Grund dafür, dass selbst die bezuschusste
       Erschließung nicht zustande kommt.
       
       Ob Karl-Heinz Ojinski in absehbarer Zeit zu einem DSL-Anschluss kommt, ist
       offen. Würde er nochmals mit seinem Unternehmen nach Rühstädt ziehen? "Ach,
       man wächst auch mit seinen Problemen", sagt er nur. Zumindest für
       Großstädter wie Koch und die Besucher seiner Berliner Lesung ist das doch
       eine gute Nachricht - vorausgesetzt natürlich, ihre Onlinesucht ist
       tatsächlich ein Problem.
       
       30 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tin Fischer
       
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