# taz.de -- Drogenkrieg in Mexiko: Leichenteile per Post
       
       > Der Krieg unter den Drogenkartellen Mexikos wird mit einer bisher nicht
       > bekannten Grausamkeit geführt. Das Morden übernehmen Söldner und Banden.
       
 (IMG) Bild: Graffitoi-Kreuze am Gebäude der Staatsanwaltschaft von Ciudad Juarez erinnern an die zahlreichen von der Drogenmafia ermordeten Frauen.
       
       Gewalt und organisiertes Verbrechen sind wahrlich nichts Neues für die
       mexikanische Gesellschaft. Mafiaterror und eskalierende Drogenkriege, denen
       auf immer bestialischere Weise mehr und mehr Menschen zum Opfer fallen,
       hingegen schon: Die mexikanischen Mafias bemächtigen sich immer größerer
       Teile des Landes, seiner Politik, Ökonomie und des Lebensgefühls.
       
       Waren es bis vor wenigen Jahren vor allem junge Frauen gewesen, die in der
       Grenzstadt Ciudad Juárez um ihr Leben fürchten mussten, so ist dieser
       Ausnahmezustand heute für nahezu alle Bewohner der Stadt zum Alltag
       geworden. Die Regierung setzt auf Militarisierung und facht dadurch den
       "Krieg gegen die Drogen" nur noch an.
       
       Ob Ciudad Juárez heute "unvergleichlich viel gefährlicher als Bagdad oder
       Kabul" sei, wie der ehemalige Anti-Drogen-Zar der USA, Barry McCaffrey,
       verlauten ließ, sei dahingestellt. Wer zählt schon die Toten im Krieg? In
       der Wüstenstadt an der Nordgrenze Mexikos aber gibt es verlässliche Zahlen:
       Allein 2009 wurden im Umkreis der Stadt 2.635 Menschen im Zusammenhang mit
       dem sogenannten Drogenkrieg ermordet - in einer Stadt mit weniger als
       anderthalb Millionen Einwohnern. Und das Morden nimmt exponentiell zu: Im
       Vorjahr waren es "nur" 1.600, im Jahr davor gerade mal 318.
       
       Dahinter steht ein brutaler Verteilungskampf zwischen den Drogenkartellen,
       die sich in schnell wechselnden Allianzen die lukrativsten Plazas, die
       Schmuggelrouten und Umschlagplätze, streitig machen. Für Entsetzen sorgt
       nicht nur der rasante Anstieg, sondern auch die ungeheure Brutalisierung
       des Mordens. Tote werden demonstrativ an Brücken gehängt, Leichenteile mit
       der Post verschickt, abgeschlagene Köpfe in Diskotheken geworfen.
       
       "Krieg" sei das falsche Wort, monieren Menschenrechtler zu Recht. Das würde
       klare Lager und Frontverläufe implizieren. Zutreffender ist wohl, von
       Ausnahmezustand zu sprechen, von einem - wenn auch nicht deklarierten -
       Notstand. Und von einem neuen Typus von Terror.
       
       Woher aber kommt die exponentielle Zunahme von Macht und Gewalt der
       Kartelle in den letzten Jahren? Die eine Erklärung lautet Kontrollverlust,
       das Kollabieren der viel gerühmten politischen Stabilität Mexikos. In der
       Ära der langjährigen Regierungspartei PRI hatte sich seit den späten 1970er
       Jahren ein dichtes Geflecht zwischen Politik, Polizei und Drogengeschäft
       herausgebildet, in dem die politischen Machthaber und die Polizeiführung
       das Sagen hatten. Sie haben die Territorien zugeordnet und weitgehend die
       Regeln bestimmt.
       
       Heute, nach dem Niedergang dieser Zentralmacht der PRI, gibt es keine
       Mediation zwischen den Interessengruppen mehr. So haben sich die Rollen neu
       verteilt, die Kartelle konkurrieren nun verschärft untereinander, ohne eine
       regulierende Instanz.
       
       Die andere Entgrenzung: Die Kartelle agieren heute immer stärker in
       transnational orientierten und operierenden Netzwerken. Die territoriale
       Verankerung weicht einem landes- und grenzüberschreitenden Floaten.
       
       Derzeit konkurrieren, in immer neuen Allianzen und regionalen Verteilungen,
       je nach Zählweise bis zu acht Kartelle um den Umschlagplatz und Transitraum
       Mexiko: das Sinaloa-Kartell des Chapo Guzmán, das Golf-Kartell unter dem
       seit 2004 einsitzenden Osiel Cárdenas (der sein Unternehmen derzeit von
       einem US-Gefängnis aus leitet), das Juárez-Kartell, La Familia aus
       Michaocán, die Gebrüder Beltrán, die Arellano-Gruppe aus Tijuana und die
       Zetas, die sich erst kürzlich von ihrem ehemaligen Auftraggeber, dem
       Golf-Kartell, unabhängig gemacht haben.
       
       Anfang 2010 haben diese Konsortien sich zu zwei einander bekämpfenden
       Blöcken neu gruppiert: hier der Chapo, seit Neuestem an der Seite seines
       früheren Erzfeindes, des Golf-Kartells und der Familia, auf der anderen
       Seite das Juárez-Kartell, die Beltrán-Brüder, die Arellano und nicht
       zuletzt die Zetas. Lokal konzentrieren sie sich längst nicht mehr auf die
       Knotenpunkte Tijuana oder Ciudad Juárez an der nördlichen Grenznaht zu den
       USA, sondern erstrecken sich entlang der Golfküste über Veracruz bis in den
       Süden hinunter, am Pazifik von Sinaloa bis nach Michoacán.
       
       Schon der Begriff Kartell sei heutzutage zu monolithisch, meint Howard
       Campbell, Professor für Anthropolohie an der Harvard University. Es handele
       sich eher um temporäre, wandelbare Bündnisse verschiedener Akteure, die
       jeweils ihre Auftraggeber, Financiers, Zulieferer und vor allem tausende
       von Helfershelfer haben. Dies sind kurzfristig angeheuerte Zuarbeiter, die
       nicht mehr notwendig organische Verbindungen oder gar Loyalitäten zum
       Kartell pflegen.
       
       Auch beim Mordgeschäft wird immer mehr Outsourcing betrieben. Damit werden
       entweder dezentrale paramilitärische Banden beauftragt, die dann als eine
       Art Söldnerarmee fungieren, oder auch lokale Banden. An die sechshundert
       solcher Gangs oder "Pandillas" soll es im ganzen Lande geben, allein in
       Juárez mehrere hundert. Die - durch besonders blutige Mordtaten -
       bekanntesten sind die Aztecas oder auch Artistas Asesinos, die
       Killer-Künstler. ANNE HUFFSCHMID
       
       31 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Huffschmid
       
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