# taz.de -- Igor Sutjagin über seine Haft: "Zwischen Ehre und Familie"
       
       > Elf Jahre saß der kritische Rüstungsexperte Igor Sutjagin wegen Spionage
       > in russischer Haft. Mit der taz sprach er über die Haftbedingungen und
       > den Austausch.
       
 (IMG) Bild: Igor Sutjagin nach seiner Verurteilung am 7.4.2004 im Moskauer Gericht.
       
       taz: Sie haben elf Jahre lang gesagt, dass Sie kein Spion seien. Kurz vor
       der Freilassung haben Sie doch Ihre Schuld eingestanden. Warum? 
       
       Igor Sutjagin: Die Präsidenten Russlands und der USA erwarteten von allen
       an diesem Gefangenentausch Beteiligten mit dem Gnadengesuch ein
       Schuldeingeständnis. Hätte ich mich geweigert, an dem Deal teilzunehmen,
       wäre mein weiteres Leben in Russland sehr, sehr schwer geworden. Vor die
       Entscheidung gestellt, zwischen der Ehre und dem Wohlergehen der Frau, der
       Kinder und der Eltern, die ich liebe, zu wählen, habe ich mich für die
       Unterzeichnung dieses Papiers entschieden. Und es ging ja nicht nur um mich
       und meine Familie. Ein Nein von mir hätte auch für alle anderen Gefangenen
       dieses sog. Tausches lange Haftzeiten bedeutet. 
       
       Wie waren Ihre Haftbedingungen? 
       
       Sehr unterschiedlich - mitunter wurden mir Dinge verboten, die andere
       Gefangene machen durften. Doch andererseits wurden mir auch Dinge
       ermöglicht, die anderen nicht gestattet waren. Während meiner Haftzeit in
       der Nähe von Archangelsk im hohen Norden musste ich vor allem schwere
       körperliche Arbeit leisten. Ich war Hilfsarbeiter, Putzkraft, musste
       schwere Holzbalken schleppen. Mehrmals hat die Schule der Strafkolonie mich
       gebeten, Unterricht in Physik und Englisch zu erteilen, doch jedes Mal
       wurden diese Anträge von der Gefängnisverwaltung abgelehnt. Auch in einer
       Weiterbildungseinrichtung für Maschinenarbeiter an Industriekesseln durfte
       ich nicht unterrichten, und in der Strafkolonie wurde mein geplantes
       Seminar zu aktuellen Fragen von der dortigen Gefängnisleitung untersagt.
       Noch in der Strafkolonie Sarapul habe ich vor fünf Jahren hingegen im Club
       arbeiten können. Dort war ich für die Bibliothek zuständig, habe Drehbücher
       für die Theatergruppe geschrieben, war Herausgeber der Zeitung der
       Strafkolonie.
       
       Wieso sind Sie eigentlich in England aus dem Flugzeug gestiegen, während
       das Flugzeug in die USA weitergeflogen ist? 
       
       Warum in England? Ehrlich gesagt, ich weiß auch nicht, warum man mir sagte,
       ich solle in England aussteigen. Aber ich bin froh darüber, dass ich in
       England und nicht in den USA bin. Je näher ich an meiner Heimat bin, desto
       besser.
       
       Wollen Sie in England bleiben? 
       
       Ich habe Sehnsucht nach Russland. Russland ist meine Heimat, da sind die
       Menschen, die mir lieb und wichtig sind, meine Freunde, mein Zuhause, mein
       Garten, der mich schon als Kind getröstet und beruhigt und mir Kraft
       gegeben hat. Im Moskauer Gefängnis Lefortowo hat mir ein russischer General
       kurz vor meiner Freilassung versichert, ich könne jederzeit nach Russland
       zurückkehren. Ich sei weiterhin russischer Staatsbürger, der Staat würde
       meiner Rückkehr keinen Stein in den Weg legen. Wie gerne würde ich dem doch
       glauben. Aber erst in den vergangenen Tagen ist bei meinem Anwalt ein
       Schreiben des stellvertretenden Chefs des Gefängnisses Lefortowo, Herrn
       Oberst V.A. Schkarin, eingegangen, worin es heißt: "Der Verurteilte Igor
       Wjatscheslaw Sutjagin hat die Haftanstalt am 8. Juli 2010 nicht verlassen".
       Das heißt, offiziell bin ich noch gar nicht aus der Haft entlassen, in den
       Datenbanken der Strafverfolgung werde ich wohl noch immer als Häftling
       geführt. Solange das so ist, kann man mich in Russland jederzeit wie einen
       Häftling auf der Flucht verhaften.
       
       Wie werten Sie die politische Lage in Russland? 
       
       Das russische Haftsystem, in dem ich die letzten 11 Jahre verbrachte, ist
       eine besondere Welt, die sich doch sehr vom Rest des Landes unterscheidet.
       Deswegen fällt es mir schwer, mich jetzt über die politische Lage in
       Russland zu äußern. Doch allein der Umstand, dass ich nun schon seit zwei
       Monaten nicht in den Besitz des Begnadigungserlasses des Präsidenten von
       Russland kommen kann, spricht Bände. Wenn das System nicht mal in der Lage
       ist, mir ein Dokument des Präsidenten der Russischen Föderation
       auszuhändigen, ist tatsächlich etwas nicht in Ordnung.
       
       3 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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