# taz.de -- Ein Jahr nach dem Kundus-Luftschlag: "Nie wieder Afghanistan"
       
       > Wie hat sich Deutschland seit dem Luftschlag verändert? Ein Ex-Soldat,
       > ein Abgeordneter, die Mutter eines Soldaten und ein Sozialforscher
       > antworten.
       
 (IMG) Bild: Viele Zivilisten fanden hier den Tod: Zerbombter Tanklaster nach dem von der Bundeswehr angeforderten Luftschlag vor einem Jahr.
       
       Kundus, im vergangenen Dezember. Ein Routinetag. Martin F. steht an einer
       Brücke und bewacht Bauarbeiter. Er ist aufmerksam, achtet auf jede
       Bewegung, jede Kleinigkeit. Gegen Abend wird es neblig. Innerhalb von
       Sekunden ändert sich die Stimmung. Aufständische beschießen die Truppe mit
       Panzerfäusten. F. erleidet schwere Verletzungen am Kopf. Ob es Taliban sind
       oder Kriminelle, erfährt er nie.
       
       In Deutschland wird über den Vorfall kaum berichtet, wahrscheinlich fehlt
       die Dramatik. F. ist frustriert. Die Bundeswehr will ihm trotz der
       bleibenden Schäden keine Rente gewähren. Seit dem Frühjahr ist der frühere
       Soldat zurück aus Kundus, dem Ort, wo vor einem Jahr auf deutschen Befehl
       ein Tanklaster bombardiert wurde und bis zu 142 Menschen ums Leben kamen.
       
       In Deutschland hätten die Menschen gesagt, "um Gottes willen, wie kann
       Oberst Klein so etwas anordnen", berichtet F. Aber er habe in Kundus keinen
       Soldaten erlebt, der Georg Klein kritisiert hätte. Auch er fand den
       Bombenangriff auf den Tanklaster in Ordnung. "Danach hatten wir relative
       Ruhe."
       
       "Die Soldaten haben in Afghanistan keine Rechtssicherheit darüber, wann sie
       schießen dürfen, ob nur zur Verteidigung oder auch vorbeugend", meint F.
       "Oberst Klein hat klargestellt: Man muss vorbeugen." Wenn Klein verurteilt
       worden wäre, ist sich F. sicher, hätte es tief greifende Veränderungen der
       Einstellung der Soldaten gegeben. Denn sie müssten wissen, dass sie sich
       wehren dürften.
       
       F. meint, die Öffentlichkeit werde seither immer noch nicht ausreichend
       informiert. "Es wird sehr nüchtern berichtet. Aber was dort passiert, ist
       nicht nüchtern." Immerhin würden die Medien seither auch über kleinere
       Gefechte berichten, manchmal zumindest.
       
       "Uns ist immer gesagt worden, es sei ein humanitärer Einsatz, wo es darum
       geht, den Menschen zu helfen: Brunnen bohren, Brücken bauen", sagt F. Vor
       Ort habe sich das ganz anders dargestellt. "Man dachte vorher immer, das
       ist ein Guerillakrieg und die laufen in Lumpen rum", sagt er, "aber das
       waren richtig gut ausgeführte militärische Angriffe."
       
       Ob die Soldaten seit dem Einsatz ängstlicher geworden sind? "Nein!", sagt
       F. energisch.
       
       Wolfgang Börnsen hält einen Moment inne, als er über das Bombardement von
       Kundus redet. "Mehr als erschüttert" war er, als er davon gehört hatte.
       "Kein Ereignis hat die Öffentlichkeit so beeinflusst wie dieses", sagt der
       CDU-Bundestagsabgeordnete, "dieser Tag hat der Öffentlichkeit in aller
       Deutlichkeit die Auswirkungen des Einsatzes vor Augen geführt.
       
       Börnsens Partei unterstützt den Einsatz in Afghanistan mehrheitlich. Und
       sie hat keine grundsätzlichen Probleme mit militärischen Interventionen.
       Börnsen war schon lange vorher ein Gegner des Einsatzes. Seit Kundus fühlt
       er sich bestätigt: "Die Notwendigkeit des baldigen Rückzuges aus
       Afghanistan ist vielen hierdurch klar geworden."
       
       Und damit stehe er nicht allein. "Quer durch die Fraktionen hat die Debatte
       eine neue Qualität bekommen", sagt Börnsen, "viele haben ihre Einstellung
       geändert." Er bemängelt, dass in den Folgemonaten auch im
       Untersuchungsausschuss "viel zu sehr über die Reputation von Personen"
       gesprochen worden sei. "Stattdessen hätten wir uns fragen sollen: Ist Krieg
       allgemein das richtige Mittel? Was ist die Wirkung eines Krieges gegen
       Terroristen?"
       
       Eine Beobachtung ist für Börnsen im Laufe des vergangenen Jahres deutlich
       geworden: "Die Sensibilität und Bereitschaft zu neuen Einsätzen ist
       zurückgegangen", so Börnsen, "wir sollten dreimal überlegen, ob sich
       Deutschland an einem solchen Einsatz beteiligt oder ob es nicht politische
       Lösungen gibt."
       
       Seit Kundus, sagt Angela Lenzen, ist das Thema Afghanistan für sie
       unerträglich geworden: "Seit bei dem Angriff so viele Zivilisten starben,
       steht für mich fest: Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan, so schnell
       wie möglich."
       
       Immer wenn sie im Fernsehen Bilder aus Afghanistan sieht, wenn sie
       Nachrichten dazu in der Zeitung liest und im Radio hört, zuckt sie zusammen
       und denkt: Um ein Haar wäre mein Sohn dabei gewesen.
       
       Der ist heute 23 Jahre alt, er war vier Jahre bei der Bundeswehr, bei den
       Gebirgsjägern. Die Elitetruppe wird regelmäßig für einige Monate in
       Afghanistan eingesetzt, seine ehemaligen Kameraden waren alle dort. Es
       hätte auch ihren Sohn treffen können.
       
       Doch vor kurzem hat er seinen Dienst bei der Bundeswehr quittiert. Weil er
       Vater wurde. "Ich habe nie verstanden, dass mein Sohn nach Afghanistan
       wollte", sagt Lenzen. Ihr Mann war Wehrdienstverweigerer. Und auch die
       Krankenschwester hat ihrem Sohn zu Genüge erklärt, was Afghanistan
       bedeutet. Dass die zurückkehrenden Soldaten traumatisiert sind, manche bis
       an ihr Lebensende.
       
       "Aber das alles wollte mein Sohn nicht hören", sagt die Frau aus
       Niederkassel im Rheinland. Er hat, glaubt seine Mutter, in einem
       Afghanistaneinsatz ein Abenteuer gesehen: "Wer hört als junger Mensch schon
       auf die Warnungen seiner Eltern?"
       
       Als der Sohn sagte, dass er aufhört bei der Bundeswehr, fiel Angela Lenzen
       "eine ganze Steinmauer vom Herzen", wie sie sagt. Das Bangen um den Sohn
       hatte nun ein Ende.
       
       Seit dem 4. September 2009, sagt Klaus Naumann vom Hamburger Institut für
       Sozialforschung, "liegt eine Art Mehltau über dem Thema Afghanistan".
       Melancholie habe sich im Land ausgebreitet. "In der Bevölkerung entwickelt
       sich der Eindruck: Alles war umsonst."
       
       Seit dem folgenschweren Bombardement von Kundus wisse die Bevölkerung,
       wohin Afghanistan steuere. "Die ohnehin vorhandene Skepsis ist bestätigt
       worden", sagt Naumann. Bis in die politischen Ebenen im
       Verteidigungsministerium hinauf sei die Verunsicherung gestiegen. "Dieser
       Luftschlag steht sinnbildlich für den gesamten Einsatz."
       
       Auch die Informationsstrategie der Politik kritisiert Naumann. "Der
       Begründungszwang besteht bei steigender Ablehnung umso mehr", sagt er, "die
       Politik darf in Zukunft nicht mehr so blauäugig Solidarität versprechen,
       wie dies in Afghanistan der Fall war."
       
       Laut Umfragen gibt es zwar eine Akzeptanz für Interventionen, die etwa
       darauf ausgerichtet sind, Geiseln zu befreien - oder sogar Diktatoren
       militärisch zu bekämpfen. "Aber Einsätze, die geografisch fern, lange
       andauernd oder ohne klares Ergebnis stattfinden, wollen die Leute nicht",
       sagt Naumann. Ebendeshalb schwinde die Legitimation besonders seit den
       verheerenden Morgenstunden von Kundus weiter.
       
       Eigentlich, sagt Naumann, habe sich Deutschland ja aus politischen Gründen
       gerade den verhältnismäßig ruhigen Norden Afghanistan als Operationsgebiet
       ausgesucht. Doch in der Bevölkerung habe sich, besonders nach dem
       Luftschlag von Kundus, ein entgegengesetzter Effekt eingestellt.
       
       "Mittlerweile sagt die Stimmung in der Bevölkerung: Nie wieder
       Afghanistan", so Naumann.
       
       4 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) G. Repinski
 (DIR) K. Schädler
 (DIR) S. Schmollack
       
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