# taz.de -- Streik in Frankreich: Ringen um Rentenreform
       
       > Die Regierung plant eine Reform, die das gesetzliche Pensionsalter von 60
       > auf 62 Jahre anheben soll. Hunderttausende streiken, die Regierung will
       > allerdings nicht verhandeln.
       
 (IMG) Bild: Heißer Herbst in Frankreich: Streiks und Proteste gegen die Rentenreform.
       
       "Cest la grève. Its strike!", erklärt im Auftrag der Bahngesellschaft eine
       Studentin den ratlos auf die Anzeigetafel schauenden Touristen im Pariser
       Bahnhof Montparnasse. Sie wird für diesen Informationsjob bezahlt und
       streikt selber nicht. Mehr als die Hälfte des Bahnpersonals aber war seit
       Montagabend im Ausstand. Das erklärt die große Zahl von Bahnverbindungen,
       welche die elektronischen Anzeige als gestrichen aufführt.
       
       Die SNCF-Direktion bestätigte, dass die Hälfte der TGV-Schnellzüge
       ausfielen, im Regional- und Nahverkehr fuhr dagegen sogar oft nur einer von
       vier Zügen fahrplanmäßig. Ähnliche Probleme gab es bei der Pariser Metro
       und der Schnellbahn RER sowie in den städtischen Transporten zahlreicher
       Provinzstädte. Wegen des Streiks blieben auch viele Post- und Arbeitsämter,
       Schulen und Kindergärten geschlossen. Das zwang viele Eltern, zum
       Kinderhüten zu Hause zu bleiben.
       
       Der 27-jährige Antoine ist zwei Stunden früher aufgestanden, um trotz
       Streik rechtzeitig von seinem Wohnort Evry im Süden zur Arbeit in einem
       Pariser Supermarkt zu erscheinen. Am Stadtrand, an der Porte dOrléans,
       wollte er ein "Vélib"-Mietfahrrad nehmen. Doch andere hatten dieselbe Idee,
       und da kein Rad mehr frei war, erwischte er mit Glück einen Bus.
       
       Wie er sorgten die meisten Franzosen vor, die seit Wochen von diesem
       Streiktag wussten, um ein Chaos zu vermeiden, wie es früher bei solchen
       Anlässen die Regel war. Lassen deswegen Streik und Proteste in fast 200
       Städten, an denen sich laut Gewerkschaften zwei Millionen Menschen
       beteiligt haben, die Regierung unbeeindruckt?
       
       Die Basis sei zum Widerstand motivierter denn je, sagen die
       Arbeitnehmerverbände. Es gehe nicht um ein abstraktes Tabu, wenn das
       Pensionsalter von 60 auf 62 erhöht wird, die Zahl der Beitragsjahre von
       40,5 auf 41,5 und die Altersgrenze für eine ungekürzte Rente von 65 auf 67.
       "Die Leute haben begonnen nachzurechnen, welche Konsequenzen das für sie
       persönlich haben würde", erklärt Philippe Cornélis vom Postbeamten-Verband
       Sud-PTT. Die im Kampf gegen die Rentenreform vereinten Gewerkschaften
       werten die Mobilisierung als vollen Erfolg. Falls die Regierung nun nicht
       einlenke, werden weitere Aktionen folgen, kündigte FO-Chef Jean-Claude
       Mailly an. Ob das einen Generalstreik bedeute, wollte er aber nicht sagen.
       
       Die sozialistische Opposition kündigte an, in der gestern eröffneten
       Parlamentsdebatte ein alternatives Modell zur Sicherung des Rentensystems
       vorzulegen und bei einer Rückkehr an die Macht das Pensionsalter 60 wieder
       in Kraft zu setzen.
       
       Für die Regierung hingegen ist das heraufgesetzte Pensionsalter nicht
       verhandelbar. Konzessionen sind für sie allenfalls für Schwerarbeiter oder
       Arbeitnehmer, die sehr früh erwerbstätig wurden, denkbar. Dass die
       umkämpfte Vorlage vor dem Parlament nun ausgerechnet von Arbeitsminister
       Eric Woerth verteidigt wird, ist allerdings ein Handikap. Er ist im
       Zusammenhang mit der Bettencourt-Affäre um Parteispenden und die Verleihung
       des Ordens der Ehrenlegion an den Ex-Arbeitgeber seiner Gattin unter
       Beschuss. Präsident Nicolas Sarkozy, der diese Reform zum Kernstück seiner
       Amtszeit machen will, sprach seinem Minister trotzdem erneut das Vertrauen
       aus. Bis nächsten Dienstag will er die neue Pensionsordnung verabschiedet
       haben.
       
       7 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Arbeitskampf
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nach Attacke auf Air-France-Manager: Sechs Mitarbeiter festgenommen
       
       Die Fluggesellschaft will knapp 3.000 Stellen abbauen. Das trifft auf
       scharfen Protest. Vorige Woche hatten Mitarbeiter Spitzenmanager
       attackiert.
       
 (DIR) Streik gegen Rentenreform: Widerstand in Frankreich wächst
       
       Massenproteste gegen die Pläne der Regierung von Präsident Sarkozy - auch
       viele Schüler und Studenten sind dabei. Gewerkschaften kündigen
       unbefristeten Streik an.
       
 (DIR) Protest gegen Arbeiten bis 62: Frankreich streikt gegen Rentenreform
       
       Hunderttausende Franzosen haben am Dienstag gegen die anstehende
       Rentenreform protestiert. Die Regierung will das Rentenalter von 60 auf 62
       Jahre anheben.