# taz.de -- DEBATTE REICHE IN EUROPA (2): Im Hafen wartet die Yacht
       
       > Auch in Italien rechnen sich die Wohlhabenden ungestört arm. Die
       > Mittelschicht zahlt die Zeche und tanzt in Diskos namens "Billionaire".
       
       Reiche? In den italienischen Statistiken, wenigstens in denen der
       Steuerbehörden, gibt es sie bloß als äußerst rare Spezies. Im Jahr 2009
       erklärten in dem 60-Millionen-Einwohner-Land nur 149.000 Steuerzahler ein
       Bruttoeinkommen von über 150.000 Euro jährlich. Mehr noch: Bloß 20.000 von
       ihnen waren Unternehmer, Selbständige, Freiberufler - der große Rest der
       Großverdiener bestand aus Pensionären und abhängig Beschäftigten. Und dies
       in einem Land, in dem auch heute noch knapp 30 Prozent aller Beschäftigten
       selbständig sind.
       
       Unbehelligte Eliten 
       
       Die immense Schar der Unternehmer, der Ärzte, der Hoteliers oder
       Rechtsanwälte, der Händler und Handwerker führt statistisch ein insgesamt
       recht bescheidenes Dasein. Hoteliers und Restaurantbesitzer zum Beispiel
       kommen auf nicht einmal 1.200 Euro monatlich, brutto wohlgemerkt, während
       Arbeiter und Angestellte im Schnitt "stolze" 1.800 und Rentner immer noch
       1.400 Euro nach Hause tragen.
       
       Zugleich aber besagen alle internationalen Statistiken in merkwürdigem
       Widerspruch hierzu, dass Italien zu den westeuropäischen Ländern mit dem
       größten Arm-Reich-Gefälle gehört, dass zum Beispiel die reichsten 10
       Prozent der Bevölkerung etwa 45 Prozent des gesamten Vermögens in ihren
       Händen halten. Und jedes Jahr werden in Italien 200.000 Luxusautos mit
       Preisen von über 50.000 Euro zugelassen (insgesamt sind eine Million der
       Teuermodelle auf Italiens Straßen unterwegs); in Italiens Häfen liegen
       knapp 100.000 Yachten mit mehr als 10 Meter Länge und weitere 500.000
       kleinere Boote.
       
       Neu ist diese Situation nicht. Traditionell stehlen sich Italiens
       Wohlhabende aus ihrer fiskalischen Verantwortung, rechnen sich arm - tragen
       dabei aber zugleich ihren Reichtum offensiv zur Schau. Viele dieser "armen"
       Reichen gehen sogar dreist einen Schritt weiter: Ihren armseligen
       Steuerbescheid in der Hand, lassen sie sich zum Beispiel für ihre Kinder
       den niedrigsten Sozialtarif für die Schulspeisung oder die
       Universitätsgebühren einräumen.
       
       Die Kehrseite dieser Medaille ist: Die abhängig Beschäftigten zahlen - bei
       einer etwa gleichen Staatsquote wie in Deutschland - deutlich mehr an
       Steuern, als es ihre deutschen Kollegen tun. Und dies bei Einkommen, die
       deutlich unter dem deutschen Level liegen: Ein Fiat-Arbeiter zum Beispiel
       geht mit etwa 1.200 Euro netto nach Hause, und ein Grundschullehrer kommt
       auf 1.400 Euro. Und dennoch erlebt Italien seit Jahren keine wirkliche
       Debatte über die Privilegien der Reichen. Die Zeiten, als hier die stärkste
       Kommunistische Partei des freien Westens solche Umstände anprangerte, sind
       lange vorbei. Und die - mehr als schüchternen - Versuche, das Thema zu
       reanimieren, dürfen als kläglich gescheitert gelten. So plakatierte im
       Herbst 2006 die Partei Rifondazione Comunista, damals Koalitionspartner in
       der Mitte-links-Regierung unter Romano Prodi, in ganz Italien den Slogan
       "Auch die Reichen sollen weinen". Bebildert war die Losung mit einer dicken
       Luxusyacht, und die Botschaft sollte sein: Endlich werde sich der Staat
       auch bei den Geldsäcken bedienen.
       
       Sozialstaatsmissbrauch? 
       
       Die Wähler goutierten es nicht. Nur ein gutes Jahr später erlitten Italiens
       Kommunisten die herbste Niederlage ihrer Geschichte, scheiterten sie mit
       einer linken Einheitsliste an der 4-Prozent-Hürde, waren sie aus dem
       Parlament verbannt. Stattdessen gewann Silvio Berlusconi die Wahlen. Dass
       er, der reichste aller Italiener, auch von der Mehrheit der Arbeitslosen,
       der Mehrheit der in der Privatwirtschaft als Arbeiter Beschäftigten, der
       Mehrheit der Menschen im armen Süden gewählt wurde, zeigt allein schon,
       dass Reichtum - egal wie er zustande gekommen ist - in den Augen des Gros
       der italienischen Bevölkerung nicht schadet. Um die Dinge so zu sehen,
       braucht die breite und schon lange vor der gegenwärtigen Krise unter Druck
       geratene Mittelschicht allerdings nicht die Unterschichten, muss sie sich
       nicht künstlich abgrenzen oder gar die Ärmsten der Gesellschaft unter dem
       Titel "Sozialstaatsmissbrauch" auch noch für die eigenen Sorgen
       verantwortlich machen. Das ginge auch schlecht: Italiens Sozialstaat ist
       mehr als bescheiden ausgelegt; der alles beherrschende Posten sind die
       Rentenzahlungen, die niemand im Land ernsthaft infrage stellt. Irgendwelche
       "Schmarotzer", die sich dagegen an Arbeitslosenzahlungen oder
       Sozialtransfers gütlich tun, kann man schon deshalb nicht auf die
       Anklagebank setzen, weil es sie einfach nicht gibt.
       
       Der braungebrannte Neoplebs 
       
       Nicht die Abgrenzung nach unten, sondern die Identifizierung mit den
       Oberen: Nach diesem Modell hat die Mehrheit der Italiener quer durch alle
       Einkommensgruppen ihren Frieden mit den Reichen geschlossen. Als
       "Mikro-Bürgertum" präsentiere sich in Italien dank seiner Lebens- und
       Konsumstile eben auch das, was noch von der Arbeiterklasse übrig geblieben
       sei, hält der Soziologe Carlo Donolo fest. Mehr noch: Donolo diagnostiziert
       einen großen, alle Klassen einbegreifenden Kompromiss im Zeichen des
       "Neoplebejertums".
       
       Die Eliten, die der in Italien grassierende - und durch Silvio Berlusconi
       ebenso wie den Chef der Lega Nord, Umberto Bossi, politisch kapitalisierte
       - Populismus attackiert, sind eben nicht durch ihren Reichtum definiert,
       sondern entweder durch die Wahrnehmung einer politischen oder
       administrativen Funktion im Staat (die angeblich parasitäre res publica als
       Feind fleißiger Privatleute) oder dadurch, dass sie als Intellektuelle
       auffallen.
       
       Genau das meint Donolo mit dem Neoplebejertum, mit der kulturellen
       Hegemonie, die sich der Plebs in Italien erobert habe, eine Hegemonie, die
       den großen Kompromiss der "gewöhnlichen" Italiener auch mit den Reichen
       kulturell absichert. Vorbild des Italieners ist eben nicht mehr der
       dandyhafte, aber höchst distinguierte Gianni Agnelli, sondern ein Flavio
       Briatore, braungebrannt, das Goldkettchen auf der behaarten Brust, der die
       Reichen und Schönen in seiner Diskothek "Billionaire" auf Sardinien
       empfängt. Und im Hafen von Porto Cervo drängen sich die Massen - mit dem
       Hauptanliegen, die Luxusyachten der Superreichen staunend zu bewundern.
       MICHAEL BRAUN
       
       12 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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