# taz.de -- Rentner streitet um Geschichtsbild: Nazi ist nicht gleich Stasi
       
       > In Mittelsachsen übermalte ein Rentner eine Denkmalinschrift. In seinen
       > Augen setzt sie die beiden deutschen Diktaturen undifferenziert gleich.
       > Ein Streit, der andauert.
       
 (IMG) Bild: Nazi-Vergleiche gehören sich nicht? DDR-Emblem am Palast der Republik.
       
       DÖBELN taz | Manchmal wird Wilfried Bretschneider mitten im Gespräch von
       seiner "zu bildhaften Vorstellungskraft" übermannt, wie er selbst sagt.
       Wenn die Rede auf Konzentrationslager der Nazis kommt, wendet sich der
       68-Jährige mit Tränen in den Augen ab. Vor dem Amtsgericht im
       mittelsächsischen Döbeln erging es ihm nicht anders. Dort musste er sich im
       Januar dieses Jahres verantworten, weil er sich auch mit Pinsel und
       Filzstift gegen eine Denkmalinschrift gewehrt hatte, die alle Gewaltopfer
       von 1933 bis 1989 undifferenziert zusammenfasst. Der Streit um diese
       Gleichsetzung der beiden deutschen Diktaturen ist bis heute nicht
       ausgestanden.
       
       Die Geschichte begann vor fast drei Jahren, als Bretschneider auf den
       Gedenkstein vor dem Lessing-Gymnasium Döbeln aufmerksam wurde. "Zum
       Gedenken an die Lehrer und Schüler, die Opfer von Krieg, Unrecht und
       Willkür wurden", hatte der Förderverein des Gymnasiums in den Stein meißeln
       lassen und die Jahreszahlen 1933-1989 hinzugefügt. Der relativ früh wegen
       eines Unfalls pensionierte Bretschneider ist alles andere als eine rote
       Altlast, verweigerte sich der Wahlfarce in der DDR und schrieb schon damals
       Briefe an die Obrigkeit. Aber einen solchen "Verstoß gegen Anstand und
       Würde", wie er schreibt, wollte er nicht stehen lassen.
       
       Briefe und der Besuch öffentlicher Parteiforen bewirkten nichts. Wilfried
       Bretschneider bastelte zunächst Plakate, bevor er direkt am Denkmal zur
       Kreide und Filzstift griff. Dreimal entfernte eine Spezialfirma seine
       Veränderungen, bevor jemand anderes, wie er sagt, zu Ölfarbe griff. "1933 -
       heute" steht noch immer auf dem Stein zu lesen. Der Rentner, der stets
       öffentlich agiert hatte, aber wurde wegen "gemeinschädlicher
       Sachbeschädigung" zu einer Geldstrafe von 1.000 Euro verurteilt.
       
       Für Bretschneider "eine Ehre und keine Straftat", wie sogar das Urteil
       vermerkt. Auch der psychologische Sachverständige bescheinigte ihm
       "verminderte Steuerungsfähigkeit", weil er sich durch die Inschrift
       "moralisch angegriffen" fühlte und sie zwanghaft korrigieren musste.
       
       Schon einmal hatte der sonst so ruhig und warmherzig wirkende Mann ähnlich
       reagiert. Das Buch "Schörner, Feldmarschall der letzten Stunde", das die
       "Verdienste" des in Hitlers Testament als Wehrmachts-Oberbefehlshaber
       vorgesehenen Generals preist, erregte ihn so, dass er öffentlich mit
       Flugblättern dagegen vorging. Seine Frau bezahlte stillschweigend die
       Ordnungsstrafe.
       
       Nachdem die Presse über seinen Fall berichtet hatte, gingen Spenden ein,
       die die Verfahrenskosten von rund 3.500 Euro weit übertrafen. Bretschneider
       zeigt Solidarisierungsbriefe an ihn, den Förderverein und die Behörden.
       Laut einem Zeitungsbericht will eine Mehrheit der Döbelner nun ein Denkmal
       ohne Jahreszahlen. Hinter vorgehaltener Hand hätten ihm sogar Polizisten
       Recht gegeben.
       
       So ermuntert, zeigte der Rentner wiederum die Richterin im Verfahren gegen
       ihn an, weil das Urteil unmöglich "Im Namen des Volkes" ergangen sein
       könne. "Ich habe im Namen des Volkes gehandelt!", beharrt er.
       
       Nach der Einstellung dieses Verfahrens gab Wilfried Bretschneider keine
       Ruhe. Ein wenig unbeholfen, aber leidenschaftlich formulierte er eine
       Verfassungsbeschwerde. "Manche halten mich für einen Don Quijote", sinniert
       Bretschneider. "Aber ich habe persönlich nichts davon und tue das nur im
       Sinn anderer."
       
       Beim Förderverein des Gymnasiums hat er möglicherweise schon einen
       Sinneswandel bewirkt. Ende September will der über das künftige Aussehen
       des Denkmals entscheiden.
       
       14 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
       
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