# taz.de -- Debatte Rassismus gegen die Roma: Herder lebt
       
       > Der Hass auf die Roma ist das Erbe der Aufklärung. Deshalb steckt er so
       > tief in unseren Köpfen.
       
       Der EU-Gipfel endete letzte Woche in einem Eklat. Der französische
       Präsident Nicolas Sarkozy fühlte sich wegen seiner Romapolitik zu Unrecht
       angegriffen und behauptete dreist, auch in Deutschland würden demnächst
       Roma-Lager geräumt. Berlin dementierte sofort, und auch der Zentralrat der
       Sinti und Roma aus Deutschland teilte umgehend mit, dass solche Lager in
       Deutschland gar nicht existierten. Damit hatte Sarkozy nicht gerechnet.
       
       Einfacher erwies sich die Verständigung mit dem rumänischen Amtskollegen
       Traian Basescu. Rumänien und Frankreich, ließ man verlautbaren, wollen im
       Konflikt um die Roma-Rückführungen auf einen Vermittler verzichten. In
       Rumänien, sagte Rumäniens Staatspräsident Basescu, gebe es eine Million
       Roma, die integriert seien. Für die Nomaden unter den Roma müsse aber eine
       intelligentere Lösung gefunden werden als die einfache Ausweisung oder
       Rückführung in ihr Land, fügte der rumänische Staatschef hinzu.
       
       Streicht den NGOs das Geld 
       
       Basescu fiel bereits als Oberbürgermeister von Bukarest besonders
       unangenehm auf, als er die Öffentlichkeit im Jahr 2003 mit dem schmissigen
       Vorschlag überraschte, für die Roma am Rande der Hauptstadt Stellplätze
       einzurichten und sie auf diese Weise aus der Ortschaft zu entfernen. Vor
       drei Jahren, als er bereits Präsident war, beschimpfte er eine Journalistin
       als "stinkende Zigeunerin". Wenn er nun erklärt, man möge den
       Nichtregierungsorganisationen auf europäischer Ebene keine europäischen
       Gelder mehr zur Verfügung stellen, dann heißt dies im Klartext, Roma-NGOs
       unterschlagen die Hilfsmittel, können mit Finanzen nicht umgehen und
       verleumden zudem die offizielle Integrationspolitik des rumänischen
       Staates. Und er setzte dann noch eins drauf und sagte, es sei ein Fehler
       gewesen, die gängige Bezeichnung "Zigeuner" abgeschafft und durch den
       Begriff "Roma" ersetzt zu haben.
       
       Seit Jahrhunderten gelten Roma als nicht integrierbar. Als einer der ersten
       formulierte diese These der bekannte deutsche Aufklärer Johann Gottfried
       Herder (1744-1803). Obwohl er mit seinem Plädoyer für Toleranz und
       Völkerverständigung wegweisend für die europäische Geistesgeschichte war,
       formulierte er in seinem Hauptwerk "Ideen zur Philosophie der Geschichte
       der Menschheit" (1784/91) all jene Vorurteile gegen Roma und Juden, die
       später den ideologischen Ausgangspunkt für den militanten und mörderischen
       Antisemitismus und Antiziganismus des 20. Jahrhunderts lieferten. Herder
       beschreibt die Roma als ein "zahlreiches, fremdes, heidnisches,
       unterirdisches Volk", als eine "verworfene Indische Kaste, die von Allem,
       was sich göttlich, anständig und bürgerlich nennet, ihrer Geburt nach
       entfernt ist". Wozu taugen die Zigeuner in Europa, fragt sich Herder weiter
       und antwortet: "zur militärischen Zucht, die doch Alles aufs Schnellste
       discipliniert". Übersetzt in die Sprache Sarkozys, hieße das:
       Polizeieinsatz, Zwangsräumung, Ausweisung und Beschneidung der
       Freizügigkeit.
       
       Gedudel stört Volksmusik 
       
       In Rumänien mag man derartige harsche Lösungen, gelten Roma doch
       schlechthin als Leute, die dem Image des Landes schaden. Häufig werden im
       östlichen Europa deshalb Roma als eine schwer sozialisierbare, kriminelle
       und parasitäre Kategorie beschrieben. Und nicht zuletzt als eine
       demografische Gefahr und eine Volksgruppe, die insbesondere mit ihrem
       Gedudel die rumänische Musiktradition durch eine geschmacklose Subkultur
       verseucht.
       
       Kurz nach der rumänischen Revolution von 1989 entluden sich die Spannungen
       zwischen Roma und der Mehrheitsbevölkerung in pogromartigen
       Ausschreitungen. Extremistische Parteien forderten die Errichtung von
       Internierungslagern für Roma oder deren Ausweisung aus dem Land. Vereinzelt
       hörte man auch den Ruf nach der Antonescu-Lösung. Die von dem
       Hitlerverbündeten und faschistischen Militärdiktator Ion Antonescu
       eingeleitete ethnische Säuberungsaktion kulminierte in den Jahren 1941-1944
       in der Internierung rumänischer Roma in KZ-ähnlichen Einrichtungen, in
       denen Tausende verhungerten.
       
       Ohne politische Vertretung 
       
       Laut offiziellen Statistiken leben in Rumänien 500.000 Roma, in
       inoffiziellen Schätzungen ist die Rede von zwei bis drei Millionen. Durch
       den Zusammenbruch der sozialistischen Industrie- und
       Landwirtschaftsbetriebe hatten nach 1990 fast alle Roma ihre Arbeit
       verloren. In ihren zumeist am Rande der Ortschaften angesiedelten
       Behausungen herrschte totale Armut. Eine Folge dieses desolaten Zustands
       war auch der Anstieg der Kriminalität.
       
       Als die ersten bettelnden Roma in Deutschland auftauchten, wurden sie
       Anfang des vergangenen Jahrzehnts in Rostock mit Molotowcocktails
       empfangen. 2010 halten französische Einsatzkräfte der Polizei die
       Vertreibung der Roma für ihre Aufgabe.
       
       In Rumänien existiert keine Interessenvertretung der Roma und Sinti - wie
       im Falle anderer nationaler Minderheiten. Die verschiedenen Romaparteien,
       die im Laufe der Jahre entstanden und sich wegen innerer Querelen rasch
       auflösten, schafften es nicht, bei den Parlamentswahlen als Block
       aufzutreten. Die Folge davon ist, dass im rumänischen Parlament nur ein
       einziger Romaabgeordneter sitzt, der für die Minderheitenvertretung
       automatisch ein Mandat bekommt.
       
       Das "Romaproblem" ist nicht ausschließlich ein rumänisches oder
       bulgarisches, sondern es ist ein europäisches Problem. Solange die
       einzelnen Regierungen die Integrationsproblematik vor sich herschieben und
       nur dann etwas sagen, wenn es zu folgenschweren Maßnahmen wie in Frankreich
       kommt, wird diese Bevölkerungsgruppe weiter stigmatisiert und unter
       Ausgrenzung, der traditionellen Diskriminierung und latenten Ablehnung zu
       leiden haben. Die gezielte Einschulung der Romakinder,
       Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Roma und eine fachkundige Beratung durch
       ausgebildete Sozialarbeiter, verbunden mit einer sachgerechten sozialen
       Direktunterstützung dieser Unterprivilegierten, wären ein wirkungsvoller
       Anfang. Alles andere wird nicht viel bringen - und Ausweisungen verhindern
       wegen ihrer moralischen und politischen Ineffizienz tatsächliche Lösungen.
       
       22 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) William Totok
       
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