# taz.de -- Generalstreik in Spanien: Selbst im Fernsehen läuft nichts mehr
       
       > Ein Generalstreik legt Spanien lahm. Im ganzen Land demonstrieren die
       > Menschen gegen Lohnkürzungen und Arbeitslosigkeit. Die Gewerkschaften
       > sprechen von einem Erfolg.
       
 (IMG) Bild: Demonstranten und Polizisten stehen sich während des Generalstreiks in der Innenstadt von Madrid gegenüber.
       
       MADRID taz | "Ich bin wütend, immer sollen die Gleichen bezahlen",
       begründet Patricia Vargas, warum sie sich am Generalstreik beteiligt. Die
       30-jährige Madriderin gehört zu dem, was Spaniens Presse gerne die
       "verlorene Generation" nennt. "In den letzten zwei Jahren habe ich nur vier
       Monate gearbeitet", erzählt die studierte Bühnenbildnerin und
       Kunsthistorikerin.
       
       Patricia ist eine von vier Millionen Arbeitslosen in Spanien. Das sind 20
       Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Bei den unter 30-Jährigen sind gar 41
       Prozent ohne Job. 56 Prozent der jungen Menschen, die noch arbeiten, haben
       nur einen Zeitvertrag. Die Lockerung des Kündigungsschutzes, den die
       Regierung des Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero vor drei Wochen
       durchs Parlament brachte, soll die Unternehmer anregen, Arbeitsplätze zu
       schaffen. Für die Gewerkschaften UGT und die Arbeiterkommissionen (CCOO)
       war dies nach einer achtprozentigen Lohn- und Gehaltskürzung im
       öffentlichen Dienst der Auslöser zum fünften Generalstreik in Spanien.
       
       Patricia glaubt nicht, dass die Flexibilisierung des Kündigungsschutzes
       positive Auswirkungen haben wird. Vor zwei Jahren verlor sie ihren ersten
       und bisher auch letzten festen Job in einem Designerstudio: "Von 15 wurden
       12 entlassen. Wir verdienten 24.000 Euro brutto pro Jahr." Vor ein paar
       Wochen habe sie zufällig gesehen, dass das Studio wieder Leute sucht.
       "Jetzt zahlen sie noch die Hälfte."
       
       Auch Beatriz Salmerón kam kurz vor Mitternacht zum Lokal der
       Arbeiterkommissionen im Zentrum Madrids, um bei den Streikposten dabei zu
       sein. Die 26-Jährige, die in einem Beratungsbüro für
       Genossenschaftsbetriebe aller Art arbeitet, sieht sich als Opfer der
       Kürzungen. "Gemeinden, Regional- und Zentralregierung geben immer weniger
       aus. Das bekommen unsere Kunden zu spüren." In ihrem Büro sind mittlerweile
       alle in Kurzarbeit. Statt spärlichen 850 Euro netto monatlich verdient
       Beatriz jetzt nur noch 650 Euro. "Klar wohne ich noch bei meinen Eltern",
       sagt sie und zieht mit ihren KollegInnen los.
       
       Überall sind die Trillerpfeifen der Streikposten zu hören. Wo sie
       vorbeikommen, gehen die Läden der letzten noch offenen Kneipen herunter.
       "Geschlossen wegen Streik" kleben Gewerkschafter auf die Scheibe. Immer
       wieder kommt es zu Scharmützeln mit der Polizei. Beamte in Zivil mit
       Gewerkschaftsaufklebern mischen sich unter die Streikposten. Blitzschnell
       ziehen sie ihre Schlagstöcke und versuchen Gewerkschafter zu verhaften. Die
       Stimmung heizt sich auf. Vor allem bei den Betriebshöfen der Linienbusse
       und vor dem Großmarkt spitzt sich die Lage zu. Ein riesiges Polizeiaufgebot
       versucht die Streikposten aufzulösen. Menschen werden schwer verletzt,
       andere festgenommen.
       
       Die Gewerkschaften sprechen von einem Erfolg. Landesweit sollen sich rund
       70 Prozent der Arbeiter beteiligt haben. Die Region Madrid und das
       südspanische Andalusien erwachen ohne Regionalfernsehen. Bei mehreren
       kleineren Privatsendern bleibt der Bildschirm ebenfalls schwarz. Zeitungen
       erscheinen nur mit Notausgaben. Ausgeliefert wird vielerorts nicht einmal
       diese. Die Industrie wird im ganzen Land komplett bestreikt. Viele der
       großen Kaufhäuser bleiben zu. Geschäfte und Kneipen sind ebenfalls
       geschlossen. Es gibt kaum Flüge in Barcelona und Madrid. Mehrere Großmärkte
       haben die Auslieferung eingestellt. In Madrid fahren so gut wie keine
       Busse, der Müll wird nicht abgeholt. Der Stromverbrauch ist niedrig.
       
       Patricia ist zufrieden und hofft, dass die Regierung die Reform noch einmal
       überarbeitet. "Falls Zapatero seine Politik überdenkt, denke ich nochmals
       über meine Stimme nach", erklärt Patricia. "Wenn nicht, werde ich die
       Sozialisten nicht mehr wählen." Sie will sich jetzt ausruhen, bevor es am
       Abend auf die Großdemonstration geht.
       
       29 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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