# taz.de -- Flimm startet Staatsoper-Intendanz: Ein Mann für alle Fälle
       
       > Im fliegenden Wechsel von den Salzburger Festspielen nach Berlin hat
       > Jürgen Flimm sein neues Amt als Staatsopern-Intendant im Ausweichquartier
       > Schillertheater angetreten.
       
 (IMG) Bild: Neuer Intendant der Staatsoper Unter den Linden in Berlin: Jürgen Flimm.
       
       Das Amt, für das er seinen Posten als Intendant der Salzburger Festspiele
       vorzeitig und mit lautem Rauschen im Blätterwald aufgab, hat Jürgen Flimm
       nun angetreten. Der Theater-Hansdampf in allen Regie- und Leitungs-Gassen,
       1941 geboren, ist der neue Intendant der Staatsoper Unter den Linden in
       Berlin. An der Seite oder unter, keinesfalls aber über deren musikalischem
       Chef Daniel Barenboim.
       
       Freilich ohne den glänzenden Rahmen des zur Baustelle mutierten, schönen
       alten Hauses an der preußischen Prachtstraße im Osten, dafür mit allen
       Chancen, die sich mit dem vorübergehend reaktivierten Schillertheater im
       Westen der Stadt ja auch bieten.
       
       Die so erzwungene räumliche Nähe zur Deutschen Oper in der Bismarckstraße
       ist aber nicht mal ein Omen. Einer gemeinsamen Lösung für die Berliner
       Opernmisere und die mangelnde Koordination zwischen den drei Häusern wird
       man trotz vieler Anläufe in der Opernstiftung in absehbarer Zeit wohl auch
       mit Jürgen Flimm nicht näher kommen. Dafür fehlt es dem Senat an Visionen
       und politischer Durchsetzungskraft. Von den ersten Proben im
       Schillertheater wird jedenfalls Positives vermeldet.
       
       Immerhin ist es Flimm schon jetzt gelungen, dieses Haus mit einer
       Atmosphäre des Aufbruchs zu füllen und mehr Neugierige ins Haus zu locken
       als Plätze vorhanden waren. An dem Programm für die anstehende Spielzeit
       kann man - ob man nun Flimm-Fan ist oder nicht - kaum etwas aussetzen.
       Schon der Auftakt am kommenden Wochenende mit der Uraufführung von
       "Metanoia" von dem zeitgenössischen Komponisten Jens Joneleit ist
       außergewöhnlich.
       
       Jenseits der Repräsentation 
       
       Christoph Schlingensiefs Arbeit an diesem Stück dürfte auch nach seinem Tod
       dafür sorgen, dass Musiktheater jenseits der Repräsentation erlebt werden
       kann. Dass Flimm dann Ingo Metzmacher und Krzysztof Warlikowski mit
       Strawinskys "Rakes Progress", Daniel Barenboim und Andrea Breth mit Bergs
       "Wozzeck" beauftragt hat, verspricht musikalisch und szenisch
       Interessantes. Dazu kommen ein paar Reminiszenzen an das Repertoire der
       Vorgänger: von Ruth Berghaus "Barbier" über Mozarts "Entführung" (als
       Thalheimer-Exerzitium) bis hin zu zwei Inszenierungen des im Unfrieden mit
       lautem Türenknallen geschiedenen Intendanten-Vorgänger Peter Mussbach: Hans
       Werner Henzes spätem Wurf "Phädra" und Verdis "Traviata".
       
       Dazu kommen die im Schillertheater möglich gewordenen
       Werkstatt-Produktionen: Stücke von Henze, Satie und Kagel - so was braucht
       Rückendeckung. Und auch einen Doppelabend mit Peter Maxwell Davies und
       Salvatore Sciarrinos Einaktern in der Inszenierung von Michael von zur
       Mühlen dem Eröffnungswochenende beizufügen, zeigt, dass der Routinier Flimm
       weiß, wie man sich zumindest ins rechte Feuilletonlicht setzt.
       
       In Salzburg ist ihm das, trotz aller Erfahrung und zur Schau getragenen
       Frohnatur, bis zuletzt nicht so recht gelungen. Da war man Ende froh, dass
       er sich nach Berlin aufgemacht hat, um ihm gleichzeitig zu verübeln, dass
       er zunächst in seinem letzten regulären Salzburger Intendantenjahr den
       Berliner Job mit erledigen wollte.
       
       Er hat sich dann doch für den vorzeitigen Wechsel in die deutsche
       Hauptstadt entschieden. Dabei war Flimm bei seinem Antritt 2007 kein
       Salzburg Neuling. Er hatte dort schon etliche Male Regie geführt und für
       einige Jahre auch die Schauspielsparte verantwortet. Doch Angst vor den
       Schlangengruben der Ränke und Intrigen, seien sie nun österreichischer oder
       Berliner Machart, scheint er ebenso wenig zu haben wie Selbstzweifel, neue
       Aufgaben zu stemmen.
       
       Eine erkennbare Dramaturgie oder gar eine Ära, die sich mit seinem Namen
       verbinden ließe, wollte ihm die Kritik jedenfalls nicht bescheinigen. Der
       für alle Sparten zuständige Flimm musste sich vor allem am Opernprogramm
       messen lassen, und da hielt sich das wirklich Herausragende tatsächlich in
       Grenzen.
       
       Es hat sich (jedenfalls künstlerisch) nicht ausgezahlt, dezidiert
       konservative Pultstars wie Riccardo Muti mit biederen
       (Nicht-)Regieangeboten bei Laune zu halten oder für große Sänger- oder auch
       Maler-Namen die passenden Opern zu suchen. Nachhaltiger wirkt da schon
       Flimms auch vorhandener Mut zum Risiko, man denke nur an das Operndebüt der
       Regisseurin Andrea Breth.
       
       Ausgerechnet Metzmacher 
       
       Daneben schlagen ausgerechnet die von Ingo Metzmacher dirigierten Beispiele
       der Moderne für Flimm zu Buche: Luigi Nonos "Al gran sole" und der
       Uraufführungsglücksgriff mit Wolfgang Rihms "Dionysos". Wenn der - wofür
       gute Chancen bestehen - im Repertoire landet, dann wird das auch mit Flimms
       Namen verbunden bleiben und manches Mittelmäßige seines Salzburger
       Intermezzos überstrahlen. Nun ist ein neues Amt ein neues Spiel. Und auch
       in Berlin sollte die Unschuldsvermutung gelten.
       
       Jürgen Flimm hat schon alles gemacht und fast jede Position gehabt, die man
       in seinem Metier haben kann. Er muss sich und anderen nichts beweisen.
       Vielleicht gelingt es ja gerade diesem auf der Bühne und hinter allen
       Kulissen erfahrenen Routinier in Berlin als Sachwalter des Übergangs an der
       Lindenoper so eine Art visionäre Pragmatismus zu installieren. Mit dem
       Programm für seine erste Spielzeit stehen die Chancen dafür gut.
       
       29 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Lange
       
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