# taz.de -- Afrodeutsches Theater auf Tour: Warten auf das schöne Leben
       
       > Die Berliner afrodeutsche Theatergruppe Label Noir ist mit ihrem Stück
       > über Heimat durch Brandenburg gereist. Es geht um Angst, Ignoranz und um
       > Vorurteile - auch um die der Schauspieler.
       
 (IMG) Bild: Label Noir on stage: Moses Leo, Lara-Sophie Milagro und Vanessa Rottenburg
       
       Was ist Heimat, was ist ein guter Mensch? Diese Fragen treiben die
       Charaktere in dem Stück "Heimat, bittersüße Heimat", mit dem das
       afrodeutsche Theaterprojekt Label Noir gerade auf Tournee war, quer durch
       Brandenburg. Es ist die erste Produktion der Gruppe. Die Texte für die fünf
       lose miteinander verknüpfte Kapitel stammen von der Autorin und
       Schauspielerin Lara-Sophie Milagro. Sie alle handeln von Vorurteilen,
       gescheiterter Kommunikation und der Suche nach "Heimat".
       
       Und orientierungslos sind nicht nur Menschen, die eine andere Hautfarbe als
       die Mehrheitsgesellschaft haben. Deshalb ist "Heimat, bittersüße Heimat"
       auch nicht ausschließlich ein Stück über die alltäglichen Erfahrungen von
       Afrodeutschen mit Rassismus in "politisch korrekter Aufmachung." Denn
       letztlich wirken Vorurteile nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch
       in den kleinsten sozialen Einheiten, in Beziehungen. Im zweiten Teil des
       Stücks lautet die Frage daher "Was ist Liebe?". Im besten Falle bietet sie
       das, was die Gesellschaft für viele ihrer Minderheiten nicht ist: Heimat.
       
       Paarbeziehungen könnten Ausflucht sein aus der Orientierungslosigkeit, der
       Verlorenheit. Und scheitern dann doch auch wieder am gegenseitigen
       Missverstehen. "Vorurteile bedeuten ja immer, Angst zu haben, etwas neu zu
       betrachten, und sei es der eigene Partner", sagt Label-Noir-Mitglied
       Leander Graf.
       
       Die Entscheidung, mit dem Stück in Eberswalde, Schwedt und Frankfurt (Oder)
       aufzutreten, ist den Schauspielern nicht leicht gefallen. "Als schwarzer
       Berliner hat man schon eine gewisse Ehrfurcht vor Brandenburg, teilweise
       ist die bestimmt auch berechtigt", sagt Graf. "Ich wollte mich meiner Angst
       aber stellen". So habe er Brandenburg erstmals richtig kennengelernt. Und
       eine überraschende Erkenntnis von der Tour mitgebracht: "Fürstenwalde
       morgens im Nebel, das ist wunderschön!" Ob zwanzig Jahre wiedervereintes
       Deutschland zu mehr Toleranz geführt haben? Die Schauspieler wissen es
       nicht, "wir haben uns durch die Tour aber auch mit unseren eigenen
       Vorurteilen auseinandergesetzt", sagt Graf.
       
       Die Resonanz im Publikum war ambivalent: "Wir haben vor sehr
       unterschiedlichem Publikum gespielt, zweimal auch vor Schulklassen, die das
       Stück, so würde ich sagen, zu 60 Prozent nicht verstanden haben", erzählt
       Vanessa Rottenburg. "Das mag aber auch daran liegen, dass man die
       Stereotype aus unserem Stück eher in Berlin findet."
       
       Bei der letzen Vorstellung der Tour im Potsdamer Kabarett Obelisk am
       vergangenen Freitag sei ziemlich viel gelacht worden, sind sich die
       Schauspieler einig. "Man ertappt sich ja auch in vielen Szenen. Gerade in
       der zweiten Hälfte, in der es um Paarbeziehungen geht, kann fast jeder die
       Erfahrungen teilen", sagt Milagro.
       
       Dabei bleibt einem bei vielen Szenen das Lachen auch im Hals stecken, man
       fühlt sich ertappt. Denn die Vorurteile, mit denen sich "Heimat, bittersüße
       Heimat" auseinandersetzt, sind nicht die der "bösen Seite", der Nazis. Es
       ist die Ignoranz der vermeintlich aufgeklärten, vielleicht sogar linken
       Mittelschicht, das politisch korrekt verpackte Unverständnis des
       Bürgertums.
       
       Explizit lustig sei das Stück auch nicht gemeint, betont Milagro, "es ist
       auch nicht wirklich überspitzt." Deutlich wurde das bei einem der ersten
       Auftritte in der Berliner Werkstatt der Kulturen: Im überwiegend
       afrodeutschen Publikum lachte fast niemand. "Die fanden das nicht komisch,
       sondern wurden richtig wütend, weil sie die Szenen, die wir darstellen,
       selbst so oft erlebt hatten", erzählt Milagro.
       
       "Das, was wir darstellen, ist ein Phänomen der multikulturellen
       Gesellschaft, in der sich heute jeder bemüht, tatsächliche oder eben auch
       nicht vorhandene Offenheit in die richtige Form zu kleiden", sagt Milagro.
       Viele fühlten sich durch das Stück dann vielleicht ertappt, angegriffen.
       
       So löste in Fürstenwalde die Szene, in der zwei Hausfrauen ihr eigenes
       Deutschsein verdammen und sich über ihre Verbundenheit mit der bunten
       Kultur der "Afrikaner" profilieren, in Fürstenwalde zu extremen Reaktionen
       im Publikum: "Es gab Buhrufe, und wir haben uns spontan entschlossen, im
       Anschluss ein Publikumsgespräch anzubieten", erzählt Rottenburg.
       
       In den kommenden Monaten wollen die Schauspieler mit dem Programm an
       verschiedenen Orten in Berlin auftreten. "In Zukunft wollen wir aber auch
       in die klassische Richtung", sagt Milagro, die gern den "Sommernachtstraum"
       oder "Macbeth" inszenieren würde, Leander Graf würde gern die "Räuber"
       spielen.
       
       4 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ariane Lemme
       
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