# taz.de -- Sicherungsverwahrung: "Sie wollen gebrochene Gefangene"
> Der Häftling Klaus Witt spricht über die Verhältnisse in der
> Sicherungsverwahrung. Es fehlt kompetentes Personal, viele seiner
> Mitinsassen seien depressiv, sagt er.
(IMG) Bild: Viele werden depressiv: Gefangene in der Sicherungsverwahrung.
Bei seinem letzten Raub war Klaus Witt der Polizist. Verkleidet nimmt er
einen Dealer hopp und "beschlagnahmt" die heiße Ware. Weil das nicht seine
erste Tat ist, verurteilt ihn das Gericht 1999 wegen Raubes zu 4 Jahren und
6 Monaten Knast - mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die tritt er
2003 in der JVA Tegel an, in Deutschlands größter Anstalt. Das Gebäude für
Sicherungsverwahrte erinnert an ein Hochhaus, allerdings mit vergitterten
Fenstern. Im Erdgeschoss wartet im Besucherraum Nr. 21 der Verwahrte Witt.
Er ist 58 Jahre alt, rund 30 davon hat er im Gefängnis verbracht.
Hallo Herr Witt, Sicherungsverwahrung ist gerade ein großes Thema. Meistens
diskutieren aber nur die Experten.
Klaus Witt: Pseudoexperten!
Wie fühlt sich das an, hier als "Bestie" verwahrt zu werden - so denken
viele in der Gesellschaft über Täter wie Sie?
Da komme ich in einen Zwiespalt. Ich selbst habe immer gewisse Grenzen
eingehalten. Es gab keine Toten oder Schwerverletzte. Ich hatte mich für
ein Leben entschieden, das nicht legal war. Und ich habe die Konsequenzen
getragen.
Aber?
Trotzdem gibt es hier Leute, die ich nicht wieder rauslassen würde. Hier
sitzt einer, der hat eine Frau umgebracht. Später ist er in Hafturlaub
gegangen und hat wieder eine Frau umgebracht. Dann ihren 5-jährigen Sohn.
Und an dem hat er sich danach noch vergangen. Solche Leute dürfen mich hier
nicht ansprechen. Da habe ich eine klipp und klare Haltung.
Herr Witt, Sie selbst sind ein Sicherungsverwahrter.
Stimmt, das wird in der Öffentlichkeit alles zusammengewürfelt. Säße ich
jetzt draußen mit Leuten zusammen und würde denen erzählen, dass ich ein
Sicherungsverwahrter bin, dann würde bei 90 Prozent im Kopf die Lampe
angehen: Kinderschänder, irgendwas mit Sex. Aber hier sitzen Betrüger,
Serieneinbrecher, Räuber. Die haben alle zwar auch irgendwas mit Gewalt zu
tun. Aber da gibt es Grenzen.
Diese Grenzen loten Gerichtsgutachter aus. Wie lief bei Ihnen die
Begutachtung ab?
Es ging allgemein um meine Lebenseinstellung. Zufällig hatte ich davor
einen Beitrag im Fernsehen gesehen. Da war ein altes Mütterchen, die im
Park Pflanzen ausgerissen hatte. Da ist dann dieser Korinthenkacker vom
Ordnungsamt hingegangen und hat ihr 10 Euro abgeknöpft. Dieser Depp. Das
habe ich auch dem Gutachter so gesagt. Ich habe ihm erklärt, wenn ich bei
Rot an der Ampel stehe und die Straße ist leer, dann geh ich da rüber. Der
hat daraus gemacht, es sei ersichtlich, dass ich mich nicht an die Normen
und Werte der Gesellschaft halten würde. Das hätte ich, so steht es hier
wörtlich, "mit der Mitteilung dokumentiert, auch in Zukunft bei Rot die
Straße zu überqueren".
Gutachter entscheiden, ob Sie irgendwann einmal aus dem Knast kommen. Wie
oft hat sich der Sachverständige mit Ihnen unterhalten?
Drei Mal, jeweils zwei Stunden. Ich habe beim zweiten Mal gemerkt, worauf
es hinausläuft. Der arbeitet die Kindheit und die Vergangenheit auf. Ich
habe ihm erklärt: Ich will nicht mehr kriminell sein. Ich bin mal kriminell
geworden, weil ich ein Faible für französische Kriminalfilme hatte, für
Alain Delon und Jean Gabin. Das waren meine Vorbilder. Irgendwann holt
einen aber die Realität ein. Bei meiner letzten Verhaftung stand ich vor
der Wahl: Entweder ich kämpfe noch einmal - oder ich hänge mich weg.
Wogegen kämpfen?
Die wollen kaputte Leute, die gebrochen sind und krank, die sie am besten
aus der Sicherungsverwahrung in ein Pflegeheim abschieben können. Aktive
Gefangene wie mich - da könnte ja noch was passieren.
In der Sicherungsverwahrung werden die Inhaftierten gebrochen?
Ich liege seit sechs Jahren auf einer Station mit 15 Gefangenen. Während
dieser Zeit sind vier Gefangene nie duschen gewesen, die Hälfte ist nie in
der Freistunde. Egal ob Sommer oder Winter. Die liegen nur in der
abgedunkelten Zelle.
Die Gefangenen waschen sich mehrere Jahre nicht?
Ja. Ich haben dem Teilanstaltsleiter gesagt: Das stinkt höllisch aus den
Zellen. Er sagt mir, ich müsste damit leben. Auf völlig verdreckten
Matratzen liegt da einer jahrelang. Jetzt dreht er mit einer Pädagogin
jeden Tag eine Runde draußen. Weil er das davor nie gemacht hat. Sie
wollten ihn einmal zum Klamottenkaufen ausführen, da ist er einfach
zusammengebrochen. Der kriegt Tabletten und gut ist. Er ist nicht der
Einzige.
Juristen sagen, die Sicherungsverwahrung ist keine Strafe. Wie sehen Sie
das?
Das ist ein Hohn, so etwas zu behaupten. Ich sitze unter denselben
Bedingungen wie normale Gefangene. Ich darf ein Elektrogerät mehr haben
oder 6 Pakete mehr pro Jahr bekommen. Vielleicht 5 Prozent der
Sicherungsverwahrten bekommen diese Pakete. Der Rest hat keine Verwandten
mehr draußen. Mit einer Strafe kann ich mich auseinandersetzen, da gibt es
einen Strafrahmen. Mit Sicherungsverwahrung geht das nicht.
Weil Sie nicht wissen, ob und wann Sie wieder rauskommen?
Ja natürlich.
Was tun Sie?
Das ist ein tagtäglicher Kampf. Man muss sich Bereiche suchen, wo man sich
entspannen kann, wo man an etwas Schönes denken kann. Ich habe Rituale.
Zweimal in der Woche Fußpflege, meinen Sport, Sachen, die ich konsequent
einhalte, weil ich weiß, wie gefährlich das ist, wenn man das schleifen
lässt. Ich habe keine Lust tablettenabhängig zu werden.
Viel haben Sie mit anderen Verwahrten wohl nicht zu tun?
Meine Zelle ist tabu. Ich habe mit denen nichts gemeinsam. Ich habe so gut
wie keine Kontakte. Außer zu Kurt*. Der ist auch ein alter Ganove.
Der ist nicht kaputt?
Der hat keine Perspektiven mehr. Neulich bin ich zu ihm hin und sage: Kurt,
du hast Depressionen. Deine Zelle ist immer dunkel, nimm dir einen Anwalt,
kümmere dich! Da sagt er: ja. In Wirklichkeit aber kommt er nicht in die
Hufe. Früher war Kurt mal jemand im Knast.
Klingt nach Gangsterromantik.
Stärke, sage ich heute, bedeutet, anderen nicht an die Birne zu hauen.
Stärke ist Selbstdisziplin. Wenn du in eine Situation kommst, wo du
beweisen musst, dass du wirklich kämpfen musst - dann zeigt sich Stärke.
Wie kamen Sie zu der Einsicht?
Ich werde nie das Bild vergessen, wie ich beim LKA sitze, in Handschellen.
Meine Freundin kommt den Gang entlang. Da fließen nur Tränen. Das hat ihr
das Herz gebrochen. Das war so eine liebe Frau, und ich habe das zerstört.
Ich wusste mein ganzes Leben nicht, was Liebe zu einer Frau bedeuten kann.
Als das bei mir passierte, wusste ich, wie kaputt mein ganzes Leben ist.
Sie hatten alles versaut?
Ja, man hat sich Jahrzehnte lang selbst beschissen. Wenn du das alles
erkennst und dich damit ehrlich auseinandersetzt, dann ist das eine
gefährliche Sache. Manchmal überlege ich, ob ich mir die
Sicherheitsverwahrung nicht besser erspart hätte.
Also weghängen?
Man muss sich doch bloß mal überlegen, wo man hier lebt. Man lebt im Dreck,
Schmutz. Alles Schöne ist weg, und ich bin kein Mensch, der sich im Dreck
wohlfühlt.
Viele Menschen meinen, dass Sicherungsverwahrte ihr Recht verspielt haben,
fürstlich behandelt zu werden.
In den Talkshows reden Leute, die keine Ahnung haben. Der Gesetzgeber sieht
ja vor, dass etwas getan werden muss im Knast. Aber da wird nichts getan.
Die haben gar nicht das Personal und lassen die Leute vergammeln. Das sind
normale Bedienstete, die den Dienst da oben machen. Mit Leuten, die sind
kaputt in der Birne.
Die bräuchten Psychologen.
Richtig. Das kriminelle Milieu hat sich schon immer von solchen Leuten
abgegrenzt. Wenn mir das vorgeworfen wird, frage ich die Bediensteten:
"Würden Sie gerne mit denen in einem Haus wohnen? Mit Kinderfickern
frühstücken und mit denen einen Plausch halten?"
Haben Sie noch Kontakte zu Ihrer Familie?
Bei meiner Schwester habe ich es einmal versucht. Aber ich hatte das
Gefühl, dass ihr das nicht so zusagt. Das habe ich auch so angesprochen und
die Sache beendet.
Sie sind hart zu sich selber. Ist das Ihr Motto?
Ich habe meinen Willen, und den lasse ich mir nicht nehmen. Das verstehen
die im Knast nicht. Hier soll man gebückt gehen.
Böse Beamte, gute Gefangene also?
Nein, gar nicht. Früher wäre es im Knast für mich undenkbar gewesen, mit
Beamten in einem Raum zu sitzen und zu reden. Heute sind sie teilweise
meine Lebensrettung. Mit denen kann ich mich über ganz normale Dinge
unterhalten. Das ist ein menschliches Verhältnis.
Sie haben nichts dagegen, gezeigt und mit Ihrem Namen genannt zu werden.
Fürchten Sie nicht, erkannt zu werden?
Wo ist das Problem? Ich habe nichts zu verbergen. Wenn jemand von mir etwas
will, soll er auf mich zukommen.
Aber so verhalten sich Menschen nicht.
Aber ich bin so. Für das, was ich getan habe, habe ich bezahlt.
Wenn Sie rauskommen, was wollen Sie dann machen?
Ich habe letztens im Fernsehen etwas über eine Kanufahrt durch den
Spreewald gesehen. Das ist für mich Freiheit. Ländliche Gegend,
Brandenburg. Und dann sucht man sich die Menschen selber aus, mit denen man
reden möchte.
* Name geändert
10 Oct 2010
## AUTOREN
(DIR) Kai Schlieter
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