# taz.de -- ARD-Doku "Meine letzte Hoffnung": Halbgötter im Schweiß
       
       > Die ARD-Doku "Meine letzte Hoffnung - Chefärzte der Charité" verzerrt vor
       > lauter Bewunderung für ihre Protagonisten und deren Arbeit die
       > medizinische Realität zum Werbefilm.
       
 (IMG) Bild: "Gottvater der Knochen": Prof. Norbert Haas mit seinem Team im Studienkabinett an der Charité Campus Mitte.
       
       "Ausputzer der Nation", murmelt der Herr Professor während der Visite. Er
       meint sich selbst, Norbert Haas, den Kollegen auch den "Gottvater der
       Knochen" nennen. Der 63 Jahre alte Chirurg ist Chefarzt an der Berliner
       Charité, einer von dreien, die Filmemacher Yousif Al-Chalabi für seine
       zweiteilige Dokumentation "Meine letzte Hoffnung - Chefärzte der Charité"
       begleitet hat (heute und nächsten Montag, 21 Uhr, ARD) - auf den Knien, so
       unterwürfig begegnet Al-Chalabi seinen Protagonisten.
       
       Mit Knien und anderen Verschleißteilen kennt Haas sich so gut aus wie kaum
       jemand sonst auf der Welt. Deswegen hat der Herr Professor, "alte Schule,
       Gradlinigkeit, Aufrichtigkeit und Akribie", wie Al-Chalabi zusammenfasst,
       auch andauernd Besuch von Kollegen - an guten Tagen aus Peking, an
       schlechten nur aus Halle/Saale. "Es gibt Sterneköche und es gibt den Kiosk
       um die Ecke", sagt Haas. Die Frage, in welche Kategorie er gehört,
       verbittet sich.
       
       Vor Haas auf dem Operationstisch landen viele Opfer von Kollegen,
       Patienten, die in anderen Krankenhäusern gar nicht oder nicht adäquat
       behandelt wurden - wie Jan-Philipp Gaus, dem nach dem Sturz in eine
       Baugrube die Amputation eines Fußes droht. Der Herr Professor weiß diese
       Tragödie selbstverständlich abzuwenden - so wie die Krankengeschichten, die
       Al-Chalabi erzählt, überhaupt grundsätzlich gut ausgehen, mit vereinzelten
       Dellen zwar, letztlich aber ausnahmslos mit Happy End.
       
       Gestorben wird immer und überall - außer in Europas größter
       Universitätsklinik, legt Al-Chalabis Film nahe. Und das ist schon ein
       bisschen ärgerlich, verzerrt es doch die medizinische Realität zum
       lobhudelnden Werbefilm. "Perfektion spielt eine große Rolle bei uns, die
       absolute Perfektion", sagt Haas. Offenbar gibt es sie nicht nur im
       Volksmund, zumindest in Berlin, die "Halbgötter in Weiß".
       
       Für den Filmemacher haben seine Chefärzte, neben dem väterlichen Haas der
       smarte Neurochirurg Peter Vajkoczy und der charmante Geburtsmediziner
       Wolfgang Henrich, "keinen ganz normalen Beruf, eher eine Berufung, zwischen
       den Vorbildern der Vergangenheit und den Patienten von morgen,
       Spitzenmedizin im Dienste der Menschen". Das Berufsethos der Mediziner hat
       es Al-Chalabi angetan - zumindest verabreicht er seinen Protagonisten eine
       Überdosis davon. "Schwerste Krankheiten, hohe Anforderungen und eine große
       Verantwortung", dichtet er - wie er überhaupt gern dichtet. "Der kleine Max
       auf großer Reise ins Ungewisse", kommentiert er etwa die Szene, in der ein
       Brutkasten auf die Intensivstation geschoben wird.
       
       Was nach Seifenoper klingt, ist konsequenterweise auch so erzählt, wie eine
       fiktionale Krankenhausserie nämlich, inklusive optischem Schnickschnack wie
       Splitscreens, die genau wie die Ärzte ständig in Bewegung sind, sowie
       Teasern, Cliffhangern und wirklich rührenden Momenten zwischen Arzt und
       Patient. Wer da nicht von selbst die eine oder andere Träne verdrückt, hat
       möglicherweise ein erstes medizinisches Problem. Aber keine Angst: Die
       Chefärzte der Charité kriegen das wieder hin, wie sie alles wieder
       hinkriegen - garantiert.
       
       "Bei allem Handwerk vergisst der Operateur nicht, dass er einen jungen Mann
       operiert", heißt es, während der Herr Professor am Fuß von Jan-Philipp Gaus
       rumschnippelt - und was das alles für reizende Menschen sind, nicht nur die
       Chefärzte, sondern auch die Patienten, die sich an der Charité behandeln
       lassen! Wo bitte sind all die Kotzbrocken hin, die in Berlin sonst so
       rumlaufen? Gehen die alle ans Urban-Klinikum? Darin wiederum unterscheidet
       sich die Doku von Seifenopern, die Fieslinge brauchen wie ... Haas sein
       Skalpell. Was wäre "Dallas" ohne J.R.?
       
       Zum Schluss des zweiten Teils darf der Herr Professor vor seinen Zöglingen
       - 12 von Haas' Oberärzten wurden Chefärzte an anderen Kliniken, erwähnt
       Al-Chalabi stolz - nochmal sagen, was auch der Dümmste nach 90 Minuten
       Gehirnwäsche längst verstanden haben müsste: "Menschen sind mehr als nur
       Organe - das müssen wir wieder achten."
       
       11 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) David Denk
       
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