# taz.de -- Commonwealth Games in Indien: Aha-Effekt vor leeren Rängen
       
       > Gastgeber Indien ist bei den Commonwealth Games so erfolgreich wie nie -
       > und gewöhnt sich langsam daran, dass Sport ganz spannend sein kann.
       
 (IMG) Bild: "Wahnsinn!": Australischer Schwimmer Ashley Delaneybei den Commonwealth Games.
       
       Shreya Chakravertty steht vor dem Stadion der Delhi-Universität, aus dem
       laute westliche Tanzmusik erschallt. Die Rugby-Spieler machen gerade Pause.
       Mit 25 Jahren ist die selbstbewusste junge Frau bereits Reporterin für die
       indische Ausgabe des renommierten US-Magazins Sports Illustrated. Doch von
       den meisten Reporter-Kollegen wurde sie bisher belächelt. Wer will in
       Indien schon über Sport schreiben?
       
       Aber das ist an diesem Tag anders. "Wahnsinn! Das Stadion ist zu 80 Prozent
       voll", sagt Chakravertty. Die Commonwealth Games in Delhi geben ihr
       erstmals das Gefühl, im Kricket-begeisterten, aber ansonsten eher
       sportabstinenten Indien den richtigen Job zu machen. "Rugby ist eine
       Sportart, die die meisten Inder noch nie in ihrem Leben gesehen haben.
       Trotzdem schauen jetzt alle hin", sagt Chakravertty. Die Spiele, bislang
       mit Kritik wegen Korruption und Baupannen von den Medien gescholten,
       bekommen aus ihrer Sicht eine ungeahnte Bedeutung, weil "Indien sehr gut
       abschneidet".
       
       Es geht dabei nicht so sehr um den Triumph einer neuen Sportgroßmacht, wie
       das im Falle Chinas bei den Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008 der
       Fall war. Die Commonwealth Games dienen Indien zu einem ganz anderen Zweck.
       Es geht für das breite indische Publikum vor allem um einen Aha-Effekt:
       dass tatsächlich auch Inder und Inderinnen im internationalen sportlichen
       Vergleich bestehen können. Bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen
       sieht man sie bisher einfach zu selten.
       
       Kein Wunder also, dass gestern das ganze Land über die erste indische
       Leichtathletik-Goldmedaille bei Commonwealth-Spielen seit 1958 jubelte.
       Krishna Poonia hatte sie im Diskuswerfen der Frauen gewonnen. Das aber ist
       für die meisten sportlichen Beobachter die eigentliche Überraschung der
       Spiele: Dass indische Sportler in der Leichtathletik mit ihren meist
       australischen, englischen oder kanadischen Konkurrenten mithalten, dass sie
       gut Tennis, Tischtennis und Badminton spielen.
       
       Das macht sich dann auch im von allen indischen Medien ständig beäugten
       Medaillenspiegel bemerkbar. 31-mal Gold gab es bisher für Indien. Nach neun
       Tagen liegt der Gastgeber damit an zweiter Stelle hinter Australien, aber
       vor Großbritannien. Wenn das auch nach dem letzten Wettkampftag am
       Donnerstag so sein sollte, wird man es in Delhi als nie da gewesenen Erfolg
       feiern.
       
       Dabei ist nicht zu übersehen, wie allgemein schwach das Niveau der Spiele
       ist. Fast alle echten Stars der Commonwealth-Länder, allen voran Sprinter
       Usain Bolt aus Jamaica, hatten schon im Voraus abgesagt. Die Spiele liegen
       für viele Topathleten spät in der Saison, deren Planung sie nicht wegen
       Delhi umstellen wollten. Für viele indische Sportler aber ist das ein
       Glück: Sie erreichen deshalb die vorderen Plätze und damit die
       Aufmerksamkeit des riesigen Fernsehpublikums, das sonst nur Kricket schaut.
       
       Allerdings geschieht das alles vor leeren Rängen. Selbst einer der
       indischen Superstars der Spiele, die Weltranglistenzweite im Badminton,
       Saina Nehwal, gewann ihr Viertelfinalspiel am Montagabend vor kaum
       besetzten Sitzen - dabei war die berühmte Bollywood-Schauspielerin Deepika
       Padukone aus Mumbai am gleichen Tag extra nach Delhi gereist, um "Saina" zu
       sehen. "Wir lieben dich, Saina", stand auf einer Publikumsbanderole, neben
       der die Schauspielikone wirkungsvoll applaudierte. Doch das war während des
       Achtelfinales am Vormittag. Abends war alles wieder leer.
       
       Der Grund: wohl wieder mal die Korruption. "Die Stadien sind leer, weil die
       Regierungsleute die Eintrittskarten an Familienmitglieder und
       Geschäftsfreunde verteilen. Die Karten kommen gar nicht an die
       Öffentlichkeit", beobachtet Shalni Ahlawat, Vertriebsmanagerin der Firma
       Wizcraft, die die Eröffnungs- und Schlussfeier der Spiele organisiert.
       Dennoch ist Ahlawat von den Spielen begeistert. In ihren hellen,
       rotgestrichenen Großraumbüro in Delhis Vorstadt Gurgaon verfolgt sie mit
       Kollegen die Wettkämpfe im Fernsehen. Sie reden über Boxen und Badminton.
       Und sie schwärmen vom neuen Delhi. "Die Stadt sieht fantastisch aus, was
       Straßen, Lichter und Sicherheit angeht - alles sehr organisiert und anders
       als sonst", sagt Ahlawat.
       
       12 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Blume
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA