# taz.de -- Nachruf Hermann Scheer: Größer als die Beatles
       
       > Hermann Scheer war nicht nur "ein SPD-Politiker". Er war der
       > herausragende Politiker seiner und unserer Zeit. Am Donnerstag ist er
       > unerwartet mit 66 Jahren gestorben.
       
 (IMG) Bild: Umweltpolitiker und Gegner des Kosovokriegs: Hermann Scheer.
       
       BERLIN taz | Wenn man eines Tages die Namen von aktuellen Spitzenpolitikern
       längst vergessen haben wird, speziell jene der SPD, dann wird man sich
       immer noch erinnern an einen herausragenden Weltpolitiker, Intellektuellen
       und Humanisten unserer Zeit. An Hermann Scheer. Am Donnerstag ist er in
       Berlin mit 66 Jahren völlig unerwartet gestorben.
       
       Um es auch für den popkulturell konditionierten Teil der Gesellschaft
       klarzumachen: Hermann Scheer ist größer als die Beatles. Über seine
       Bedeutung kann heute noch kein Konsens bestehen. Aber das wird sich ändern.
       Scheer hat die Wende zu hundert Prozent erneuerbaren Energien nicht nur
       früh als zentrale Aufgabe der Gegenwart erkannt, er sah die
       gesellschaftliche und soziale Dimension, er war in der Lage, die
       ökologische Transformation zu denken. Mehr: Er war sicher zu wissen, wie
       man sie hinkriegt.
       
       Als viele Grüne sich noch nicht trauten, von hundertprozentiger Versorgung
       durch Erneuerbare zu sprechen, sagte Scheer schon: Es geht. Er schenkte
       ihnen nicht nur Argumente, sondern vor allem Selbstvertrauen. Das half
       denen, die die Auseinandersetzungen in Stadtparlamenten und Kreistagen
       angehen mussten. Jahrelang gegen das Argument: unmöglich. Die Vorbehalte
       galten speziell der Sonnenenergie, Scheers größtem Thema. "Sonnengott"
       nannten sie ihn - häufig verächtlich. Sie werden sich daran nicht mehr
       erinnern, wenn die Fotovoltaik auf jedem Dach installiert sein wird. Weil
       es günstiger sein wird, den Strom selbst zu machen, als von Konzernen zu
       kaufen. Weil Fotovoltaik weltweit Konsumenten zu Produzenten macht und
       damit unabhängiger und freier.
       
       In der Bundesrepublik haben viele Scheer allenfalls als "Lonesome Cowboy
       der SPD" wahrgenommen. Scheer war kein "SPD-Politiker". Er war
       Weltpolitiker. Darunter machte er es nicht. Und deshalb begegnete ihm so
       viel provinzieller Neid. Gerade in der SPD.
       
       Sozialdemokratischer 68er
       
       Scheer war ein sozialdemokratischer 68er, Autoritäten blieben ihm stets
       suspekt. Es sei denn, sie wären ihm fachlich voraus in Bereichen, die nicht
       die seinen waren oder ihm intellektuell ebenbürtig gewesen - aber wer
       sollte das aus seiner Sicht schon sein? Seit 1980 saß er für die SPD und
       den Wahlkreis Waiblingen im Bundestag. Von dem Tag an, da er die Dimension
       der Energiewende verstanden hatte, entwickelte er daraus ein Doppelkonzept:
       Er blieb im Betrieb, um mitmischen zu können. Und baute sich mit der
       Organisation Eurosolar eine Basis, die ihn unabhängig machen sollte.
       
       Scheer ein Querulant? Ach. Er war hartnäckig. Anstrengend. Fokussiert. Er
       ließ neun von zehn Dingen, die er für falsch hielt, ungerührt passieren -
       so wie die konventionelle politische Karriere als Außenpolitiker. Sie hätte
       ihn vielleicht das Amt des Bundesaußenministers erreichen lassen. Also
       nichts im Vergleich zu dem, was er geschafft hat.
       
       Wir reden hier nicht nur von seinen Leistungen als nationaler
       Energiepolitiker; wie er das Solarprogramm "100.000 Dächer" initiierte, wie
       er mit Hans Josef Fell und einigen anderen dem damaligen SPD-Kanzler
       Schröder das Erneuerbare-Energien-Gesetz unterjubelte - ein Meilenstein in
       Richtung Energiewende von globaler Bedeutung. Auch Auszeichnungen wie der
       Alternative Nobelpreis oder Titel wie "Hero for the Green Century" durch
       das US-Magazin Time sind nicht entscheidend. Scheers exzeptionelle Leistung
       war es, früher als fast alle anderen die Notwendigkeit und die Dimension
       einer globalen Energiewende von den fossil-atomaren zu den erneuerbaren
       Energien erkannt zu haben und sich dann trotz aller Widerstände nicht davon
       abbringen zu lassen. Obwohl er das nicht einmal oder vielleicht gerade
       nicht der eigenen Partei klarmachen konnte. Wenn die Energiewende morgen
       geht, dann auch deshalb, weil Scheer den Leuten auf der ganzen Welt
       klargemacht hat, dass sie geht. Und wie sie geht.
       
       Niederlage in Hessen
       
       Scheer ist der einzige deutsche Politiker, der die Energiewende bis zum
       letzten Solardach skizziert hatte. In Hessen war das, 2008. Dem Hermann sei
       doch himmelangst, wenn er tatsächlich regieren müsse, höhnten die Kollegen.
       Er sei sicher, dass es einigen "himmelangst" sei, sagte Scheer damals. Ihm
       nicht. Er kicherte dabei, wie er überhaupt viel lachte, sogar als er später
       darüber sprach, wie nach einem grandiosen Wahlsieg mit den bekannten
       moralischen Argumenten eine von Andrea Ypsilanti und ihm geführte Regierung
       in Hessen verhindert wurde. Aus seiner Sicht nicht nur von politischen
       Gegnern und Energiekonzernen, sondern vor allem aus der SPD-Zentrale in
       Berlin. Es wäre die politische Zuspitzung seines Lebensziels gewesen, er
       wollte es unbedingt. Es kam anders.
       
       Nach außen hat er den Rückschlag gut weggesteckt - wie die anderen auch.
       Scheer wusste um die Wichtigkeit von Institutionen. Er erfand die
       Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) und kämpfte
       jahrelang für ihre Etablierung. 2009 war es so weit. Und er wurde nicht
       Präsident. Dabei hätte ihn nur der damalige SPD-Umweltminister vorschlagen
       müssen.
       
       Wegbegleiter sagen, dies und die Erfahrungen in Hessen hätten in ihm stark
       nachgewirkt. Außen machte er unverdrossen weiter, zuletzt initiierte er den
       Strategiewechsel der SPD Baden-Württemberg in Sachen Stuttgart 21 hin zur
       Forderung eines Volksentscheids. Er war von Anfang an dagegen. Danach
       wollte er die Energieallee A7: dezentrale Windkraft neben der Autobahn -
       von Flensburg bis Bayern.
       
       Am Montag wollte er in München sein neuestes Buch vorstellen: "Der
       EnergEthische Imperativ". Darin hat er die sofortige Energiewende klarer
       als zuvor in ihrem globalhumanistischen Kontext dargestellt. Er hat gegen
       den Zeitgeist den Systemkonflikt als entscheidend benannt: dass es eben
       nicht mit den Konzernen geht, sondern nur gegen sie. Die vier großen
       Energiekonzerne in Deutschland wissen genau, wer ihr wichtigster und
       größter Gegner war. Das entscheidende Wort des Buches aber ist
       "Beschleunigung". 100 Prozent Erneuerbare - jetzt. Das kann man als sein
       Vermächtnis verstehen.
       
       Im Angesicht des Todes neigt man zum Pathos, aber dass die Welt nur einen
       Hermann Scheer hatte, ist kein Pathos, sondern ein Fakt. Vor allem ist es
       ein Problem.
       
       15 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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