# taz.de -- die wahrheit: Jungfernhaut statt Kopf
       
       > Neue Formen der Stadtentwicklung: Die Gentrifizierung für Dummies.
       
       Ob in Gelsenkirchen-Horst, Kassel-Jungfernkopf oder Rostock-Lichtenhagen,
       immer mehr Bürgermeister, Makler und Citymanager fragen sich: Wie zum
       Henker läuft das eigentlich mit dieser "Gentrifizierung"? Wie Verzuckert
       man ein Viertel? Steigert man die Mieten? Entmischt die Bevölkerung? Kurz,
       wie wird ein Stadtteil vom Moloch zum "Must-see", wo die Leute jammen statt
       jammern, feiern statt reihern, simsen statt einander verbimsen? Wo die
       Kneipen nicht mehr Urin verströmen, sondern Urigkeit? Wie nur? Ja, wie
       bloß? Die Wahrheit zeigt: Mit einem raffinierten Fünf-Punkte-Plan lässt
       sich so einiges erwirken. 
       
       1. Umbenennen 
       
       Das A und O ist die Verpackung, sprich, der richtige Name. Einer, der
       Modernität kommuniziert, einer, der Lebensfreude versprüht, der vor
       positiven Konnotationen fast platzt. Taufen Sie Ihren Stadtteil um:
       Gelsenkirchen-Horst in Gelsenkirchen-Leon, München-Hadern in
       München-Juchzen oder Kassel-Jungfernkopf in Kassel-Jungfernhaut. Auch ein
       cooler Kosename erfüllt seinen Zweck, wie es die Berliner Trendviertel
       Prenzlauer Berg aka Prenzlberg und Kreuzberg alias X-Berg illustrieren. Die
       schwäbische Einöde Ettlingen zum Beispiel bekäme als @-Lingen einen ganz
       neuen Drive zum Trend.
       
       2. Pioniere anheuern 
       
       Ein unverzichtbarer Bestandteil sind die Lockvögelchen, sprich, die
       "Pioniere". Ohne sie läuft nichts. Wenn Künstler, Studenten und andere
       krasse Typen nicht von selbst herbeipilgern, kann man sie auch gezielt
       ansiedeln. Die deutsche Boheme ist jedoch schwierig zu bekommen,
       anspruchsvoll und häufig überteuert. Kostengünstiger ist die aus dem
       Ausland: irakische Konzeptkünstler, jordanische Jazzkontrabassisten oder
       staatenlose Poetry Slammer lassen sich gegen freie Kost und Logis nicht
       lang bitten. Oder gleich eine ganze kasachische Künstlerkolonie? Die jungen
       Wilden müssen nur ein wenig Präsenz zeigen, in Cafés, in den leeren
       Schaufenstern der verwaisten Fußgängerzonen oder in Käfigen überm
       Marktplatz. Alternativ lassen sich auch erfahrene Pioniere aus den neuen
       Bundesländern anheuern, die durch die Straßen flanieren und immer ein Lied
       auf den Lippen haben: "Pionier zu sein, fetzt ein" oder "Allzeit breit -
       immer breit!", mit dunkelblauen Käppis und vollgereiherten Blusen.
       
       3. Neue Ideen entwickeln 
       
       Diavorträge über die namibische Wüste oder Töpferkurse an der
       Volkshochschule - damit lassen sich weder Investoren noch zahlungskräftige
       Neumieter ködern. Entwickeln Sie freche Geschäftsideen, fahren Sie ganz
       groß auf: Ob Autokino auf Häuserdächern, Flashmobpartys auf öffentlichen
       Toiletten oder eine Karaokebar für Taubstumme, Ihrer Fantasie sind keine
       Grenzen gesetzt. Wichtig sind auch die Accessoires. Zebrastreifen aus
       echtem Marmor: Was die einstige Boomtown Sindelfingen vor dreißig Jahren
       vorgemacht hat, können Sie doch toppen. Wie wäre es mit Kanalrohren aus
       Platin?
       
       4. Altmieter abschieben 
       
       Was braucht der Erkan einen Erker? Das fragen sich viele Vermieter von
       innenstadtnahen Gründerzeitvillen schon seit geraumer Zeit. Die Altmieter
       auslagern ist keine böse Sache. Wichtig ist nur, dass Sie für das Wohl der
       Altmieter sorgen. Einfach ein paar Waggons bereitstellen. Mitzubringen sind
       lediglich eine Wolldecke und Verpflegung für acht Tage. Die neuen
       schwindelerregend hohen Mieten wollen und können die Altbewohner sowieso
       nicht zahlen. Ihre Wohnungen werden umbenannt in Lofts, und die jetzt dort
       einquartierten Eventmanager und Irgendwas-mit-Medien-Leute werden dafür
       kräftig geschröpft, bevor sie weiterziehen in das nächste schicke
       Stadtviertel.
       
       5. Fertig 
       
       Fertig ist die Gentri-Laube!
       
       25 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ella Carina Werner
       
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