# taz.de -- Interview mit Wikileaks-Kopf Assange: "Ohne Medien ginge es uns besser"
       
       > Mit Enthüllungen zum Irakkrieg machte Wikileaks erneut weltweit
       > Schlagzeilen. Kritiker mahnen, der Chef des Internetportals, Julian
       > Assange, gefährde Menschenleben. Ein Interview.
       
 (IMG) Bild: Erheblich unter Druck: Julian Assange.
       
       taz: Herr Assange, es gibt Leute, die werfen Ihnen vor eher ein Aktivist
       als Journalist zu sein. Stört Sie das? 
       
       Julian Assange: Ich bin Redakteur und das Sprachrohr unserer Publikationen.
       Seit ich 25 war, bin ich in Journalismus involviert, da habe ich an dem
       Buch "Underground" mitgearbeitet. Angesichts des Zustands des Journalismus
       derzeit, empfinde ich es aber eher als beleidigend, Journalist genannt zu
       werden.
       
       Warum? 
       
       Weil der Journalismus missbraucht wird.
       
       Was genau meinen Sie damit? 
       
       Die Art, wie die Journalisten vom Krieg berichten. Sie sind Teil des
       Krieges, weil sie nicht hinterfragen und sich gegenüber der Regierung feige
       anbiedern.
       
       Dank Wikileaks wächst die Sammlung Ihrer Feinde. Wer ist Ihr größter Feind? 
       
       Wenn es darum geht, wer am meisten dafür ausgibt, unsere Schritte zu
       verfolgen, ist es das US-Militär. Abgesehen davon, haben wir auch sehr
       viele gute Freunde dort. Es gibt ein Team von vermutlich rund 120 Leuten,
       die in dem so genannten Wikileaks Warroom arbeiten und sich 24 Stunden mit
       uns beschäftigen. Sie werden geführt von einem Herrn namens Gates,
       Verteidigungsminister der USA. Sie sind hauptsächlich Mitglieder des
       militärischen Geheimdienstes und des FBI.
       
       Welche Feinde haben Sie noch? 
       
       Die Banken. Die meisten legalen Angriffe auf uns kamen von ihnen. Und aus
       China gab es welche, nachdem wir kritisches Material über Aktivitäten der
       Regierung veröffentlicht hatten.
       
       Fürchten Sie um Ihr Leben? 
       
       Es gibt Leute, darunter Daniel Ellsberg, der 1971 die Papiere des Pentagons
       über den Vietnamkrieg veröffentlichte, die sagen, dass mein Leben in Gefahr
       sei.
       
       Und was glauben Sie? 
       
       Ich glaube, dass es ein kleines, aber nicht signifikantes Risiko gibt, ja.
       Was es gibt, ist die erhebliche Gefahr einer Strafverfolgung und
       Verhaftung. Sie sind dabei, einen Spionagefall gegen mich und andere
       Mitglieder der Organisation zu stricken, und gegen Leute, mit denen wir in
       den USA Kontakt hatten. Das FBI hat Leute in Boston und anderen
       amerikanischen Städten besucht, die mit uns in Kontakt standen. Laut meiner
       Quellen hat die Finanzdirektion Australiens die Erlaubnis gegeben, um die
       Kommunikation unserer Leute zu überwachen. Die schwedische Regierung ist
       von US-Geheimdiensten unter Druck gesetzt worden, wie mir meine eigenen
       Quellen berichteten. Auch die Regierung in Island wurde von den USA unter
       Druck gesetzt, laut meiner Quellen dort und dem US-Senat. Und den
       isländischen Botschafter haben sie sogar aufgefordert, sich zu
       vergewissern, dass Island nicht zu einem Fluchtort für Julian Assange wird.
       
       Glauben Sie, dass die Anschuldigungen, die in Schweden gegen Sie erhoben
       wurden, etwas damit zu tun haben? 
       
       Das wissen wir nicht. Ich möchte darüber lieber in einem anderen Moment
       sprechen.
       
       Daniel Domscheit-Berg, ihr ehemaliger Pressesprecher in Deutschland, der
       die Organisation verlassen hat, hat gesagt, dass Sie wie der Staatsanwalt,
       der Richter und der Scharfrichter zugleich agierten. Er sagt, Sie würden
       Kritik nicht tolerieren. 
       
       Daniel Domscheit-Berg wurde aus vielen ernsthaften Gründen entlassen. Wie
       viele Menschen, die entlassen werden, hat er entschieden, diejenigen zu
       kritisieren, die ihn beschäftigten. Wir glauben, dass Vertrauen und
       integeres Handeln die essenziellen Komponenten unserer Arbeit sind. Aus
       diesem Grund habe ich beschlossen, Domscheit-Berg nicht zu kritisieren.
       
       Ihre Entscheidung, in den Dokumenten zu Afghanistan Namen von afghanischen
       Informanten zu veröffentlichen, hat eine Staubwolke aufgewirbelt. Bill
       Keller, Chefredakteur der New York Times, hat kritisert, sie hätten
       Menschen in Lebensgefahr gebracht? 
       
       Bei der Veröffentlichung von 76.000 von insgesamt 90.000 sortierten
       Dokumenten gibt es vieles, über das man sprechen muss. Diese Dokumente
       enthüllen Uhrzeit, Datum, Ort und Umstände des Todes von 20.000 Menschen.
       Punkt. In den zwei Monaten seit der Veröffentlichung, ist kein afghanischer
       Zivilist wegen der Veröffentlichung der Dokumente zu Schaden gekommen. Dies
       ändert nichts daran, dass dies sehr ernste und interessante Themen sind und
       aus diesem Grund haben wir eins von je fünf Dokumenten nicht
       veröffentlicht. Die Tatsache, dass Bill Keller seine Zeit damit verbringt,
       über dieses Thema, das nicht in Relation zu einem einzigen Tod steht, zu
       sprechen, verglichen mit den Themen, die zum Tod von 20.000 Menschen
       geführt haben und den Tod von Hunderten in den vergangenen zwei Monaten,
       zeigt wie schwer sich die New York Times damit tut, das US-Militär zu
       kritisieren.
       
       Alan Rusbridger, Chefredakteur des Guardian, hat uns vor ein paar Tagen,
       nicht ohne Ironie, gesagt, dass die traditionellen Medien den
       Investigativjournalismus aufgegeben haben, weil er sehr teuer und nicht
       besonders sexy ist. Stimmen Sie ihm zu? 
       
       Ja, sie haben den Investigativjournalismus fast ganz aufgegeben, das
       stimmt. Sein Preis ist hoch: Man macht sich Feinde, er verursacht Kosten,
       um juristische Attacken abzuwehren und es entstehen Offensiven gegen die
       Interessen der Redakteure. Ich glaube, dass die Leser
       Investigativjournalismus wollen, aber die Kosten pro Wort sind hoch,
       verglichen mit denen anderer Formen des Journalismus, insbesondere dem von
       Spezialinteressen subventionierten Journalismus.
       
       Sie glauben, dass die meisten der großen westlichen Medien von
       Spezialinteressen subventioniert sind? 
       
       Das ist nicht genau das, was ich sagen wollte, obwohl das auch ein Faktor
       ist. Ich bezog mich auf die Tausende Millionen von Dollar, die die US-Armee
       jedes Jahr für die Kommunikation von offiziellen Angelegenheiten ausgibt,
       um damit Inhalte wie Videos, Fotos und Nachrichten zu produzieren, die die
       Journalisten letztlich gratis bekommen. Das gilt auch für Inhalte von
       Unternehmen und der Regierung.
       
       Glauben Sie, dass die digitale Revolution und Initiativen wie Wikileaks
       einen unabhängigen Journalismus hervorbringen werden? 
       
       Es kann sein, dass wir zu einem System kommen, in dem es eine größere
       Kontrolle gibt, um die Pressefreiheit zu unterdrücken. Es kann aber auch
       sein, dass wir zu einem neuen Standard dessen gelangen, was die Menschen
       erwarten und verlangen - Material, das die Mächte offenlegt. Und ein
       kommerzielles Umfeld, in dem sich so etwas lohnt und ein legales Umfeld, in
       dem diese Arbeit geschützt ist.
       
       Sind Sie optimistisch? 
       
       Wir sind am Scheideweg zwischen diesen beiden Zukünften. Deswegen ist es so
       wichtig und so interessant, darin involviert zu sein. Mit unseren
       derzeitigen Aktionen bestimmen wir das Schicksal der internationalen Medien
       in den kommenden Jahren. Jeder Mensch hat einen einzigartigen Weg im Leben,
       aber ich hatte in den vergangenen Jahren eine wahrhaft einzigartige
       Erfahrung. Ich habe mehr gefilterte Dokumente gelesen als vermutlich
       niemand sonst auf der Welt. Mit sehr unterschiedlichen Themen. Natürlich
       gibt es Leute, die viel gelesen haben, aber vielleicht nicht von so vielen
       und so unterschiedlichen Organisationen der Welt. Ich habe mehr interne
       Filterungen über mich ergehen lassen und ich habe eine Organisation
       geleitet, die viel attackiert wurde, von gefährlichen, geheimen und
       neurotischen Organisationen. Bevor ich darin involviert war, dachte ich,
       ich wüsste einigermaßen gut, wie die Welt funktioniert, ich habe auch zuvor
       schon wichtige Dinge gemacht. Aber nichts hat mich auf diese Realität, auf
       die ich dann gestoßen bin, vorbereitet. Meine Perspektive hat sich sehr
       verändert seitdem.
       
       Was haben Sie denn gesehen? 
       
       Es gibt zwei Dinge, die mir einfallen. Das erste ist der Tod der
       Zivilgesellschaft. Schnelle Finanzströme über elektronische Überweisungen,
       die schneller sind als politische oder moralische Sanktionen und die die
       Zivilgesellschaft auf der ganzen der Welt zerstören. Die Wirtschaftsmacht
       erlaubt Opportunisten in jeder Gesellschaft, die an das globale
       Finanzsystem angeschlossen sind, Reichtümer auf unmoralische Weise zu
       erlangen und diese mit dunklen und schwer aufzuspürenden Finanzmechanismen
       an weit entfernte Orte zu bringen. In diesem Sinne ist die
       Zivilgesellschaft tot, sie existiert nicht mehr und es gibt eine große
       Klasse von Leuten, die das weiß und davon profitiert.
       
       Wie...? 
       
       Die zweite Sache, die ich gesehen habe, ist, dass es einen enormen und
       wachsenden versteckten Überwachungsstaat gibt. Jeder Staat, der überleben
       möchte, muss sich einem der drei Anbieter von Geheimdiensten und
       bewaffneten Systemen anschließen. Diese sind das westliche Imperium, das
       ehemalige sowjetische Imperium und China, das noch kein Imperium ist, sich
       aber in diese Richtung bewegt. Der versteckte Sicherheitsstaat, der sich
       über das westliche Imperium ausbreitet, hat sein Gravitationszentrum in den
       USA. Die wirtschaftliche Macht der USA ist seit den 1990er Jahren um 250
       bis 300 Prozent gestiegen, trotz des Kollapses des Finanzsystems. Um ein
       konkretes Beispiel zu geben, und hier zitiere ich Dana Priest, die
       zweifache Pulitzerpreisträgerin von der Washington Post: Es gibt 817.000
       Personen, die in Top-Secret-Angelegenheiten beschäftigt sind.
       
       Und diese Strukturen sind hauptsächlich dazu da, den Kapitalismus zu
       retten? 
       
       Die großen Unternehmen haben diesen versteckten Sicherheitsstaat und das
       politische System so sehr durchdrungen, dass sie den gesamten angehäuften
       Wert der Teilnehmer mitnehmen. Die internationalen Medien sind ein
       Desaster. Wir sind in einer guten Position um politisch und historisch
       relevantes Material zu bekommen. Wir veröffentlichen es und sehen, welche
       Medien ein Echo geben und mit wie viel Ernsthaftigkeit. Wir sehen außerdem
       die Anstrengung, mit der die Informationen, die wir geben, unterdrückt
       werden. Mein Fazit ist, dass das Umfeld der internationalen Medien so
       schlecht und verzerrt ist, dass es uns besser gehen würde, wenn es keine
       Medien geben würde.
       
       © El Pais S.L.
       
       Übersetzung aus dem Spanischen von Frauke Böger
       
       28 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joseba Elola
       
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