# taz.de -- Barack Obama vor einer Wahlschlappe: Amerika, wie bist du undankbar!
> Heute sind Kongresswahlen in den USA, eine Abstimmung auch über Obamas
> erste Amtsjahre. Er hat viele Versprechen eingelöst. Sein Problem: Es hat
> keiner gemerkt.
(IMG) Bild: Wird dieses Mal nicht gewinnen: Barack Obama.
WASHINGTON taz | Washingtons Hauptbahnhof, die Union Station, ist bekannt
für seine vielen Verkaufsstände mit politischen Andenken. Rechts oder
links, hier wird verkauft, was Käufer findet.
Noch vor zwei Jahren war dieser Bahnhof voll mit Obama-Devotionalien, das
Konterfei des frisch gewählten Präsidenten war ein Verkaufsschlager. Davon
ist heute nichts mehr zu finden. Stattdessen hängen T-Shirts an den
Ständen, von denen ein verschmitzt grinsender George W. Bush herabblickt
und fragt: "Vermisst ihr mich schon?" Nur ein T-Shirt hat überlebt, das
auch schon zu Bushs Zeiten ein Dauerläufer war: "Ich liebe mein Land",
steht da, "es ist die Regierung, vor der ich Angst habe."
Obamas Image hat sich gewandelt, die Kritik von rechts bestimmt den
politischen Diskurs. Und das wird sich bei den "midterm elections" an
diesem Dienstag, bei den Wahlen nach der ersten Halbzeit von Obamas
Präsidentschaft, niederschlagen. Zwar verbreiten die Demokraten bis zuletzt
Hoffnung. So sagte Parteichef Tim Kaine noch am Wochenende, er sei
zuversichtlich, dass es seiner Partei gelingen werde, die Mehrheit in
beiden Kammern des Kongresses zu behaupten.
Doch die Umfragen der letzten zehn Tage vor der Wahl sind für die
Demokraten immer schlechter geworden. Das konservative Wall Street Journal
sprach sogar davon, dass die Republikaner im Repräsentantenhaus 70 Size
hinzugewinnen könnten - 39 Zugewinne brauchen sie, um die Mehrheit zu
übernehmen. Und selbst im Senat scheint die demokratische Mehrheit nicht
mehr sicher. Die jüngsten Zahlen halten ein Patt im Senat für möglich. In
diesem Fall würde Vizepräsident Joe Biden die entscheidende Stimme
zufallen.
Allenthalben gilt diese Wahl als Abstimmung über die bisherige Amtsführung
des vor zwei Jahren so furios ins Amt gewählten Barack Obama. Ein gutes
Zeichen für die Demokraten ist das nicht, überwiegt doch seit Februar
dieses Jahres in den Umfragen der Anteil jener, die mit seiner Amtsführung
nicht einverstanden sind. Genau zu dem Zeitpunkt also, als die Debatte über
die Gesundheitsreform auf dem Höhepunkt war, verlor der Präsident die
Unterstützung der Öffentlichkeit.
Dabei hatte Obama zu diesem Zeitpunkt etliches erreicht, immerhin hatte er
inmitten einer der schwersten Wirtschaftskrisen die Amtsgeschäfte
übernommen. Ohne den "Stimulous Bill" etwa, das 787 Milliarden Dollar
schwere Programm zur Ankurbelung der Wirtschaft, das Obama am 17. Februar
2009 unterzeichnete, wären heute nach Schätzungen von US-Ökonomen rund 1,2
Millionen Menschen mehr arbeitslos, die Quote läge bei 10,8 Prozent
anstatt, wie gegenwärtig, bei 9,6 Prozent.
Und niemand bestreitet, dass die Automobilkonzerne General Motors und
Chrysler ohne den Eingriff von Obamas Wirtschaftsteam das Jahr 2009
vermutlich nicht überlebt hätten. Anerkennung dafür bekommt Obama jedoch
nicht - selbst General Motors verteilt seine Wahlkampfspenden gleichmäßig
an Republikaner und Demokraten.
Von seinen 501 Wahlversprechen, so ermittelte die mit dem Pulitzerpreis für
Recherche ausgezeichnete Webseite [1][Politifacts.com], hat Obama 122
gehalten, die Realisierung weiterer 236 ist in Arbeit, bei 41 wurden
Kompromisse erzielt, 82 Vorhaben sind festgefahren und lediglich 22
Wahlversprechen wurden rundheraus gebrochen - darunter auch jenes, in die
Gesundheitsreform die Möglichkeit einer staatlichen Versicherung in
Konkurrenz zu den privaten Versicherern einzubauen. Obamas Gegner im
Kongress hatten dieses Versprechen sterben lassen.
Wenn also die Regierung Obama im Wesentlichen ihre Versprechen eingelöst
hat, dann deuten die schlechten Umfragewerte auf ein enormes
Kommunikationsproblem hin. Ausgerechnet Barack Obama, der große Wahlkämpfer
und begnadete Redner, hat es nicht geschafft, einen Diskurs
aufrechtzuerhalten, der die Koalition aus linksliberalen, klassischen
Demokratenwählern, Hispanics, Schwarzen und ausreichend Wechselwählern, die
ihn ins Weiße Haus gebracht hat, einbezieht und ihm die Treue hält.
Stattdessen hat er in seinem ersten Amtsjahr nichts unversucht gelassen, um
im Kongress überparteiliche Zusammenarbeit zu organisieren - und ist daran
grandios gescheitert. Lediglich die eigene komfortable Mehrheit der
Demokraten hat dafür gesorgt, dass der 111. US-Kongress mehr Gesetze auf
den Weg gebracht hat als die meisten anderen vor ihm.
Allerdings: Die engagiertesten der eigenen Kernwählergruppen sind
vernachlässigt. Friedensbewegte Demokraten verabscheuen die
Truppenaufstockung in Afghanistan. Menschenrechtler kritisieren die
Fortführung der Militärtribunale gegen mutmaßliche Terroristen und das
Weiterbestehen von Guantánamo, Schwule und Lesben vermissen sowohl die
Aufhebung der "Don't ask, don't tell"-Gesetze, die ihnen den Militärdienst
vorenthalten, als auch die angekündigten Initiativen zur Gleichbehandlung
homosexueller Paare beim Adoptionsrecht. Die Organisationen der Hispanics
in den USA warten noch immer auf die angekündigte Reform der
Einwanderungsgesetzgebung, die Obama eigentlich im ersten Amtsjahr auf den
Weg bringen wollte.
Einige von ihnen rufen dennoch zur Wahl der Demokraten auf. Gustavo Torres
zum Beispiel, der Sprecher der Organisation "Casa en Acción". Der sagt:
"Wir wollen nicht noch so ein Gesetz wie das in Arizona." In dem
republikanisch regierten Bundesstaat gelten seit April verschärfte Regeln
zum Aufspüren illegal im Land lebender Einwanderer. Die Obama-Regierung
geht gegen das Gesetz juristisch vor.
Doch den Diskurs bestimmen ganz andere Leute. Und in dessen Mittelpunkt
stehen die zunächst von der Tea-Party-Bewegung vorgetragene und inzwischen
vom republikanischen Mainstream übernommenen Vorwürfe, Obama habe die
Staatsausgaben drastisch erhöht, verlange höhere Steuern und treibe das
Defizit in ungeahnte Höhen. Das hat zwar mit den Fakten wenig zu tun - in
Wirklichkeit hat die Obama-Regierung insgesamt 116 Milliarden Dollar
Steuererleichterungen für Einkommen unter 250.000 Dollar im Jahr
verabschiedet, die allermeisten US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner zahlen
heute weniger Einkommenssteuern als zuvor.
Das aber hat, wie eine Umfrage der New York Times kürzlich zeigte, niemand
bemerkt. Selbst Menschen, die beim Nachprüfen ihrer Kontoauszüge
feststellten, dass sie weniger Steuern bezahlt haben, waren zunächst fest
davon überzeugt, die Steuern seien gestiegen. Und das Defizit, das in den
acht Jahren Bush-Regierung tatsächlich von einem Surplus zu einem
Rekorddefizit gewachsen war, ist im letzten Finanzjahr sogar leicht
gesunken.
Diskurs besiegt Fakten - das ist die eigentliche Bilanz der bisherigen
Amtszeit Obamas.
2 Nov 2010
## LINKS
(DIR) [1] http://Politifacts.com
## AUTOREN
(DIR) Bernd Pickert
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