# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Der Islam ist eine Hautfarbe
       
       > Stoppt die Zwangsislamisierung Deutschlands! Disco für meine Freundin!
       
       Eine Morddrohung habe ich erhalten. Meine erste. Ich sollte mich wohl
       geehrt fühlen. Eine Morddrohung ist ein Ritterschlag für jeden
       Meinungsmacher. Wer heutzutage was auf sich hält, schmückt sich mit seinen
       Kritikern und vor allem mit seinen Bedrohungen. Je gefährdeter die Person
       und Meinung, desto wichtiger wird man. Danke. Aber nun zum Thema.
       
       Aus gegebenem Anlass - quasi als Dankeschön - schließe ich mich meinen
       Kritikern an und fordere einen Stopp der Islamisierung Europas. Auch ich
       finde es erschreckend, wie viele Menschen nun plötzlich zu "Muslimen"
       gemacht werden.
       
       Unauffällige Bürger Deutschlands, die sich bis dato nie mit Religion oder
       dem Islam beschäftigt hatten, bekommen plötzlich ein "Muslim"-Etikett
       verpasst. Zack! Zum Beispiel meine atheistische iranische Freundin, die von
       vielen Deutschen pauschal unter der Kategorie "Muslimin" geführt wird.
       Deswegen muss sie ihnen gegenüber ihre Partygänge und ihren Alkoholkonsum
       verteidigen. Oder ein türkischer laizistischer Bekannter, dem kein
       Schweinefleisch mehr angeboten wird. Die beiden wurden quasi
       zwangsislamisiert und hocken nun in einem Boot mit praktizierenden
       Muslimen. Und wie viele andere müssen nun auch sie geradestehen für eine
       Religion, die sie weder kennen noch kennen wollen.
       
       Dass wir alle in einem Boot sitzen, ist für uns alle sehr ungewohnt. Einige
       ergeben sich der Rollenzuschreibung und gehen auf spirituelle
       Entdeckungsfahrt. Und - welch Überraschung! - entdecken die Religion für
       sich. Yes, die Zwangsislamisierung funktioniert wunderbar. Und die
       Kopftuchmädchenproduktion wird angekurbelt.
       
       Interessant ist doch, wie es zu dieser Etikettierung kommt: Nicht etwa der
       türkische Gemüsehändler nimmt sie vor, sondern ebene jene, die panisch vor
       der drohenden Islamisierung Europas warnen. Jene, die mit dem Finger auf
       jede phänotypisch undeutsche Person zeigen und "Moslem!" rufen. Sie sind
       es, die meinen Freunden eine muslimische Identität geben, um sie
       anschließend darauf zu reduzieren und anzugreifen. Lustigerweise merken die
       Pseudokritiker nicht einmal, wie sie die groß machen, die sie eigentlich
       klein halten wollen.
       
       Muslime in Deutschland sind schon lange nicht mehr nur religiöse Menschen
       islamischen Glaubens. "Muslime" in Deutschland sind die "Ausländer" von
       früher, die "Gastarbeiter" von damals. Und auch die Debatten und
       Diskussionen drehen sich nicht um den Islam als Religion, sondern um die
       Muslime als Ethnie. Der Islam wurde ethnisiert.
       
       Für manche meiner Freunde ist das Muslimsein inzwischen wie eine Hautfarbe.
       Eine fremdbestimmte Identität. Und die Gesellschaft lässt ein Ablegen
       dieser Identität nicht zu.
       
       Deshalb kann man bei Islamophobie sehr wohl von einer Form des Rassismus
       sprechen. Und der kann nicht durch die Aufklärung über den Islam bekämpft
       werden, sondern durch Aufklärung über Rassismus.
       
       Deshalb, lieber Absender meines ersten Morddrohbriefs: Du bist ein Rassist.
       Es ist mir wichtig, dass das hier steht. Schwarz auf weiß.
       
       10 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kübra Yücel
       
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