# taz.de -- Filmisches Denkmal für FC St. Pauli: Aber immer mitten in die Fresse rein
       
       > Der Regisseur Tarek Ehlail widmet sich nach "Chaostage" wieder einem
       > linken Thema. Mit seinem neuen Film über den FC St. Pauli will er dem
       > Hamburger Verein ein Denkmal setzen.
       
 (IMG) Bild: Fans des FC St. Pauli stehen mit einer Totenkopf-Flagge auf dem Hochbunker am Heiligengeistfeld.
       
       "Heute wird die deutsche Einheit volljährig und zum 18-jährigen Geburtstag
       gratulieren wir recht herzlich mit ein paar Flaschen in die Fresse, ein
       bisschen Scheiße auf der Straße und vielleicht 100 verletzten Polizisten."
       Mit diesen Worten in eine Fernsehkamera und einer kleinen echten
       Straßenschlacht zwischen Punks und Polizei in Hannover stellte Tarek Ehlail
       vor zwei Jahren seinen ersten großen Kinofilm "Chaostage" der
       Öffentlichkeit vor. Wie geplant diese Randale tatsächlich war, kann man
       schlecht sagen, als Marketinggag war sie perfekt. Das Werk des gelernten
       Piercers lief anschließend selbst organisiert in über 50 deutschen Städten.
       Für seinen zweiten großen Streifen setzt der Autodidakt nun wieder auf ein
       linkes Thema: den FC St. Pauli.
       
       "Wir machen einen Film über den einzigen Verein, der progressiv, tolerant
       und antifaschistisch ist und bei dem alle Fan-Milieus diesen Konsens
       teilen", sagt Ehlail, "in den 80er Jahren haben Nazis überall in den
       Fußballstadien versucht, Anhänger zu finden, in St. Pauli war das anders.
       Hier gab es erstmals Antifa-Fahnen."
       
       Dem Mythos des auf so unkonventionelle Art erfolgreichen FC St. Pauli will
       der 29-Jährige pünktlich zum hundertjährigen Geburtstag und zum Aufstieg in
       die erste Bundesliga nun ein filmisches Denkmal setzen, dass 2011 in die
       Kinos kommt. Ähnlich seinem letzten Projekt "Chaostage - We are Punks"
       zielt der Regisseur bei "Gegengerade - Niemand siegt am Millerntor" auf
       eine Mischung aus Authentizität und Promi-Faktor. Waren im letzten Werk
       jedoch vor allem B-Promis wie Martin Semmelrogge und Claude-Oliver Rudolph
       zu sehen, kann der Regisseur diesmal mit Schauspielstars wie Mario Adorf
       und Moritz Bleibtreu aufwarten. Ergänzt werden die großen Namen durch
       Laiendarsteller. Was beim Episodenfilm "Chaostage" die Punks waren, sind
       beim Episodenfilm "Gegengerade" die St.-Pauli-Fans - Komparsen aus der
       Szene. Das klingt nach Retorte. "Natürlich ist das eine gute Masche für
       einen jungen Regisseur, sich an große Themen zu machen, aber ich
       identifiziere mich ja auch damit. Das ist die größtmögliche Schnittmenge.
       Ich sehe mich nach wie vor als Punk und bin St.-Pauli-Fan", sagt Ehlail,
       der auch schon beim Vorgängerfilm keine Probleme damit hatte, sich von
       großen Firmen wie BMW und Coca-Cola sponsern zu lassen. Sein Argument
       damals: Ein Punk darf alles, weil er sich an keine Regeln halten muss. Eine
       Gratwanderung.
       
       Ohnehin ist die Linie zwischen Subkultur und Kommerz auch beim als
       alternativ geltenden FC St. Pauli ein schmaler Grat. Bis vor Kurzem hatte
       er mit Präsident Corny Littmann - einem dem Alkohol zugeneigten, linken
       Theatermann - den einzigen bekennenden schwulen Funktionär im deutschen
       Profifußball. Auch die Anhänger des FC St. Pauli gelten nach wie vor als
       besonders politisch. Als der Club im Jahr 2003 in einer finanziellen Krise
       steckte und der Entzug der Profilizenz drohte, gelang es der Führung
       zusammen mit den Fans, innerhalb kürzester Zeit die benötigten zwei
       Millionen Euro aufzutreiben. Eine Einnahmequelle waren die sogenannten
       Retter-Shirts. Eine Aktion, die zu Kontroversen führte, denn dass diese bei
       McDonalds verkauft wurden und der damalige CDU-Bürgermeister Ole von Beust
       die Rettungsaktion unterstützte, sorgte für Unmut in der Fan-Szene. Hier
       geriet auch Littmann in die Kritik. Inzwischen ist er zurückgetreten.
       
       Meinungsverschiedenheiten zwischen Unterstützern und Vereinsführung stehen
       aktuell mit dem Aufstieg in die erste Bundesliga trotzdem noch ins Haus.
       Der Neubau der Haupttribüne beispielsweise sorgte mit der Schaffung von
       2.400 Business-Seats und 28 Logen für Kontroversen. Zur Frage nach den
       Grenzen der Kommerzialisierung sagte der Vizepräsident des FC St. Pauli,
       Bernd Spies, kürzlich in der taz: "Auch oder gerade wenn der Club behutsam
       vermarktet wird, kann er erfolgreich vermarktet werden. Dabei muss die
       Balance zwischen den kommerziellen Erfordernissen und dem Charakter dieses
       Clubs immer wieder neu verhandelt und austariert werden."
       
       Das ist beim FC St. Pauli nicht immer ganz einfach, denn alles ist hier mit
       den Fans nicht zu machen, das weiß auch die Vereinsführung. Spies weiter:
       "Es wird hier kein Maskottchen auf dem Platz herumrennen und kein Sponsor
       die Eckbälle präsentieren - das passt nicht zum Verein. Und ich bin der
       Auffassung, dass der Stadionname nicht veräußert werden sollte." Letzteres
       ist ein Verdienst der Fans, die auf einer Mitgliederversammlung gegen eine
       Namensänderung am "Millerntor" stimmten.
       
       Und ein Kinofilm mit großen Namen? Für die Anhänger des FC St. Pauli
       offenbar kein Problem: "Als das Filmteam das erste Mal im Stadion war,
       haben unsere Skins Claude-Oliver Rudolph, der auch vor Ort war, erst mal
       ein Bier übergekippt, weil der sich in einer Fernsehtalkshow gegen Schwule
       im Fußball ausgesprochen hatte. Das Ganze kam uns erst mal komisch vor",
       sagt der Fanbeauftragte Stefan Schatz, "wir wussten nicht, um was es ging.
       Aber als dann die eigentlichen Macher zum Fantreffen kamen, haben die uns
       überzeugt. Da gab es auch private Connections über die Punkszene. Der
       Verein ist ein Stück weit sowieso beim Mainstream angekommen. Das gehört
       eben dazu, wenn man großen Fußball spielen will."
       
       Eine pragmatische Einstellung, die vielleicht sinnbildlich für die
       zeitgemäße Linke steht. Ohnehin verwischen mittlerweile häufig die Grenzen.
       Stuttgart 21, Anti-AKW-Bewegung, Heiligendamm, Castor - längst sind auch
       hier nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen aktiv.
       
       Wird also der Mainstream links oder gar die Linke Mainstream? "So einfach
       ist das nicht", sagt der Kulturwissenschaftler Rudi Maier, "zum einen ist
       die klassische Bewegungslinke eher im Niedergang, wie ich glaube, zum
       andern gibt es punktuell große Projektgruppen, die sich engagieren. Links
       gilt heute in der Breite der Gesellschaft als sexy, weil es das
       Individuelle nach vorne stellt, das Nichtunterordnen, das Außergewöhnliche,
       das Wilde - das repräsentiert ja auch der FC St. Pauli - aber eine linke
       Subkultur in dem Sinn gibt es gar nicht mehr, sondern mobilisierbare
       Menschen, die sich punktuell engagieren."
       
       Vielleicht steht der FC St. Pauli genau für dieses neue Miteinander - als
       Projekt, an dem alle Schichten Gefallen finden. "Man kann nicht sagen, was
       ein authentischer St.-Pauli-Fan ist", sagt Ehlail, "die Summe einzelner
       Teile macht den Verein aus. Wir glauben an unseren Film und dass er
       dieselbe Kraft hat wie der Verein." Ähnlich sehen es wohl auch die Fans.
       
       Und so war es für Ehlail auch kein Problem, Darsteller aus der Szene für
       seinen Film zu gewinnen. "Wir haben am Set nach abgedrehten Szenen auch
       St.-Pauli-Lieder gesungen", sagt Ehlail, der inzwischen auch im Verein als
       Boxer trainiert, "darum geht es ja. Im Film sieht man gar keine Ausschnitte
       aus den Spielen selbst. Die Fans stehen im Vordergrund." In einer
       90-minütigen Echtzeitklammer will Ehlail so eine fiktive Geschichte um das
       Spiel herum entstehen lassen. "Da ist der Arbeiter, da ist der Arzt vom
       Kiez, da ist der Typ aus Blankenese in unserer Story. Alle sind Freunde.
       Fußball", so Ehlail weiter, "kann bei St. Pauli manchmal sogar sekundär
       sein."
       
       15 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Ackermann
       
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