# taz.de -- Besuch bei der Grünen-Basis: Sie wollen Rache an den Roten
       
       > Die Grünen sind in den Umfragen so stark wie nie zuvor. Doch was sagt die
       > Basis abends bei einem Bier dazu? Ein Ortstermin an zwei Stammtischen in
       > Berlin.
       
 (IMG) Bild: Das grüne Windrad dreht sich im Rausch des Umfragehochs schnell und schneller.
       
       BERLIN taz | Da stehen sie nun, ein gutes Dutzend Kreuzberger Grüne,
       draußen vor der Kneipentür. Armeschlenkernd, rauchend und unschlüssig.
       Einige halten ihre Fahrräder. Die schwierige Frage lautet: Wohin solls
       gehen?
       
       Jeden Dienstagabend treffen sich die Berliner Grünen aus dem Szenebezirk
       Friedrichshain-Kreuzberg auf ein Bier in derselben spanischen Eckkneipe.
       Aber heute ist ihr Tisch belegt, und ein neuer Beschluss muss her. Ein paar
       der Gruppenmitglieder sind hungrig, andere vor allem müde. Und so viele
       Vorschläge es gibt, so viele Einwände folgen auch. Bierhalle: zu laut.
       Pizzeria: nicht gemütlich genug. Ratlosigkeit und Schweigen, noch ein Blick
       in das Stammlokal. Schließlich geht die Gruppe einfach los, die Straße
       runter. Wo unerwartete Situationen auf Basisdemokratie treffen, wird es
       meist kompliziert.
       
       Schließlich findet der heimatlose Grünen-Stammtisch, etwas ausgedünnt, den
       Weg in ein vietnamesisches Lokal am Ende der Straße und gruppiert sich um
       vier zusammengeschobene Tische. Links am Tisch die jüngeren Mitglieder der
       Bezirksgruppe. Sechs, sieben junge Männer und eine Frau. Einige in
       Kapuzenpullis und Turnschuhen. Studenten, junge IT-Experten, ein
       ehrenamtlich engagierter Arbeitsloser. Und rechts die etwas älteren: einige
       Fastergraute in Wollpullovern, aus denen Hemdkrägen blitzen.
       
       Es trifft sich der dynamische Durchschnitt des Viertels. Die, die schon zu
       Westberliner Zeiten da waren, und die jungen, gut ausgebildeten
       Alternativen, die jetzt nachrücken. Und dann fehlen noch ein paar: Auf der
       vorausgegangenen Sitzung waren noch einige Migranten. Die kämen zu den
       Kreuzberger Grünen in Scharen, seit Thilo Sarrazin die SPD diskreditiert
       habe, berichtet einer aus der Ecke der Jüngeren:
       Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg ist auf der Suche nach den
       kneipenkulturellen Strukturen einer grünen Volkspartei die erste Adresse.
       
       Wenn für die Grünen in der Restrepublik 25 Prozent der Wählerstimmen ein
       Höhenflug sind, sind sie für die Friedrichshain-Kreuzberger Grünen
       Normalität. Sie sind die größte Bezirksgruppe der Stadt.
       
       Überall blamierten sich die etablierten Parteien, sagt Christian Honnens,
       der hauptberufliche Pressereferent der Kreuzberger Grünen. Mit
       Großbahnhöfen in Stuttgart oder sündteuren Autobahnprojekten in der
       Hauptstadt. Mit der Atomkraft bundesweit. "Die großen Parteien sagen, ,wir
       machen das jetzt', und nehmen die Leute nicht ernst", ergänzt Christian
       Könneke, studierter Jurist, aus der Ecke der Grünen im Familienalter. Das
       treibe den Grünen die Wähler in die Arme.
       
       Tatsächlich ist ein neues politisches Machtgefüge in der Republik sichtbar:
       Nächstes Jahr könnte Renate Künast Berliner Regierende Bürgermeisterin
       werden. Und Angela Merkel hat in ihrer Rede auf dem letzten CDU-Parteitag
       in Karlsruhe die Grünen zum Hauptgegner erkoren. Offenbar nimmt die
       Kanzlerin das Erstarken der grünen Konkurrenz sehr ernst.
       
       Diese neue breite Akzeptanz in der Bevölkerung ist den Kreuzberger Grünen
       vor allem Genugtuung für frühere Schmach. Besonders groß ist die Häme
       gegenüber dem alten Seniorpartner SPD. "Schrumpfpartei" nennt Christian
       Honnens die Sozialdemokraten. Fast alle am Tisch haben Geschichten über
       SPD-Bezirksverordnete und SPD-Ausschussmitglieder parat, die den
       Machtverlust bei der letzten Bezirksverordnetenwahl nicht verkraftet
       hätten.
       
       Und Könneke meint: "Wartet mal ab, wenn wir bei Rot-Grün nicht mehr der
       Kellner sind, sondern der Koch!"
       
       Der Schmerz aus der letzten Regierungszeit ist noch spürbar: "Die SPD hat
       uns ja nie ernstgenommen", klagt einer. Eines nicht allzu fernen Tages
       sollen die Sozialdemokraten einmal die andere Seite, die des kleineren
       Partners nämlich, kennenlernen. Darauf freuen sich die Berliner Grünen
       schon jetzt.
       
       Zumindest ihr eigenes kleines Stuttgart haben sie auch in
       Marzahn-Hellersdorf, dem Bezirk mit der kleinsten Grünen-Gruppe Berlins:
       Gegen heftige Bürgerproteste hat der Bezirk eine Reihe Bäume fällen lassen.
       Auch das lässt die Emotionen hochkochen: Von der "Arroganz der Macht" redet
       der Marzahner Kreisvorsitzende Nickel von Neumann. Die komme den Grünen
       auch hier zugute.
       
       Bei den Marzahner Grünen geht es etwas bescheidener zu als bei den
       Kreuzberger Parteikollegen. Auch hier trifft man sich im Anschluss an die
       Gruppensitzung - aber nicht in einer Kneipenmeile, sondern in der
       Geschäftsstelle an der vierspurigen Bundesstraße 1.
       
       Der informelle Teil beginnt, wenn von Neumann den Kasten Berliner Pilsner
       aus dem Abstellraum holt und auf den Sitzungstisch stellt. Wenn die
       Gespräche leiser werden, hört man die Laster in Richtung Polen über die
       Straße donnern.
       
       Marzahn-Hellersdorf, ganz im Osten der Hauptstadt, ist politisches Vorland
       der brandenburgischen Fläche, die in sechs Kilometer Entfernung an Marzahn
       grenzt: Es dominiert die Linkspartei, es gibt immer mal wieder ein paar
       Probleme mit Nazis, die Grünen sind eine eher marginale Gruppe.
       
       Zu feiern haben aber auch die Grünen im tiefsten Berliner Osten etwas.
       Neulich haben sie der alten und hier immer noch starken SPD einen kleinen
       Kompromiss abgerungen: Ab diesem Zeitpunkt wurden die Pressemitteilungen zu
       einem gemeinsamen Projekt von der SPD nur noch nach Rücksprache mit den
       Bezirksgrünen herausgegeben.
       
       Auch hier, bei der kleinsten Grünen-Gruppe Berlins, sind die Narben der
       Regierungszeit von Gerhard Schröder und Joschka Fischer noch sichtbar.
       Nicht nur als alte Verärgerung, sondern als strukturelles Problem. Die
       fehlende Mittelgeneration etwa. Von der sind in Marzahn-Hellersdorf viele
       im moralischen Konflikt über den Kosovoeinsatz ausgetreten. Also sitzen
       ergraute Bürgerrechtler aus dem alten Bündnis 90 neben einigen
       Zwanzigjährigen. Dazwischen ist nicht viel.
       
       Jetzt sei aber gerade ein Aufschwung spürbar, sagt von Neumann. Vor allem
       wegen der Politik der schwarz-gelben Koalition: "Wenn die etwas
       ökologischer wären, hätten sies auch leichter." Die Fehler der anderen und
       eine eigene Massenkompatibilität haben die Grünen in Marzahn zum Überleben
       nötig.
       
       Greifbar wird die wachsende gesellschaftliche Rolle der Grünen hier durch
       Dennis Kufner: Der frisch zugezogene Niedersachse greift sich ein Bier aus
       dem Kasten und erzählt, wie er nach seinem Umzug ausnahmslos alle
       relevanten Parteien vor Ort besucht hat. CDU, FDP, SPD. Überhaupt sei er
       eigentlich eher konservativ eingestellt - letzten Endes aber machten die
       Grünen das Rennen. Weil sie sich am offensten gezeigt hätten. Und der
       Atompolitik wegen: "Gegen Atomkraft war ich immer schon", sagt Kufner.
       
       Dass Menschen aus der politischen Mitte wie Kufner nun zu den Grünen
       finden, hilft der Partei vielerorts. Aber es bereitet ihr auch
       Bauchschmerzen, dort, wo sie stärker ist, in Kreuzberg etwa. Volkspartei -
       das wären sie schon gerne, die Grünen. Wenn es denn keine Kompromisse
       kosten würde. Wenn die Partei bei der baden-württembergischen Landtagswahl
       im März 2011 30 Prozent der Stimmen holen würde, dann jedoch eher, weil
       sich die Grünen im Bahnhofsstreit günstig postiert haben, denn weil sich
       das CDU-Ländle nun zu einem Hort libertärer und emanzipatorischer Ideen
       gewandelt hätte.
       
       "Stell dir vor, dort stimmen 30 Prozent der Leute für die Grünen. Und
       irgendwann sagen diese Leute: ,Wir haben euch gewählt, macht mal was wir
       wollen'", sagt Christian Honnens. Da könnte es schwer werden, noch der
       Stachel im Fleisch der etablierten Parteien zu sein, fürchtet Christian
       Könneke. Und der wollen sie in Friedrichshain-Kreuzberg eigentlich schon
       auch immer noch ganz gerne sein.
       
       Da lodert der alte Konflikt zwischen Fundis und Realos noch einmal auf.
       Dreißig Jahre nach ihrer Gründung und mitten im Höhenflug sind die Grünen
       immer noch auf Identitätssuche. Zwischen Idealen und Machtwillen. Zwischen
       den unterschiedlichen Bedürfnissen der Landesteile. Das ist an den
       Stammtischen spürbar.
       
       Schließlich gehen sie alle nach zwei, drei Bier nach Hause. Die Kreuzberger
       über die Oberbaumbrücke und die Spree, in der sich die Großstadtlichter
       spiegeln. Die Marzahner durch die ärmlichen Siedlungen des Ortsteils
       Biesdorf. Und hoffen auf noch bessere grüne Zeiten. Auf die Mehrheit in
       fünf von sechs Kreuzberger Stimmkreisen. Darauf, stärker zu werden als die
       Linkspartei beziehungsweise die SPD. Oder einfach darauf, Volkspartei zu
       werden und trotzdem ganz anders zu bleiben.
       
       17 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Florian Naumann
       
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